Die Biene, die wir meinen

Kaum ein Firmenflachdach, auf dem nicht öffentlichkeitswirksam Bienen fleißig Honig eintragen. Dabei sind Maßnahmen zum Schutz der Honigbiene nicht immer auch anderen Insekten zuträglich. Über ein – gut gemeintes – Missverständnis.

Blaue Holzbiene
Die Blaue Holzbiene ist groß wie ein e Hornisse - und eine der auffäligsten Wildbienen. Bild: istock.com/ Arsgera, Gerstenberg Verlag.

Wenn wir von Bienen sprechen, wird schnell alles in einen Honigtopf geworfen. Doch es ist ein Missverständnis, das Bienensterben einfach mit dem Insektensterben gleichzusetzen. Das eine beklagen seit Jahren jedes Frühjahr die ImkerInnen, wenn sie weniger Honigvölker als früher über den Winter gebracht haben. Das andere wird – eher im Sommer – von der Zunft der EntomologInnen, die sich der Erforschung von Insekten widmet, in die Debatte eingebracht, um auf die Gefährdung der Artenvielfalt und der Nahrungspyramide hinzuweisen. Weil bedrohte Vögel keine Nahrung mehr finden, um ihre Küken aufzuziehen.

Zwar gehen die beiden Sphären ineinander über; doch das eine ist Agrikultur und die Biene ein Nutztier. Das andere ist Natur und der überwiegende Teil aller Insekten sind letztlich »wilde« Tiere. Mittendrin sind die Wildbienen – meistens mitgemeint, was ihnen aber nicht immer zum Vorteil gereicht. Sie sehen aus wie Bienen, und sterben wie die Fliegen.

»Bienenschutz passiert auch, wenn Feldwege nicht asphaltiert werden. Etwa 60% der in Österreich lebenden 700 Wildbienenarten nisten im Boden.«

Johann Zaller, Zoologe

Was ist das Bienensterben?

Dass jeden Winter viele Honigbienenvölker sterben, hat mehrere Gründe. Welcher der gewichtigste ist, bleibt in der Fachwelt umstritten. Die intensivierte moderne Landwirtschaft mit ihren weitläufigen Monokulturen, ausgeräumten Landschaften und dem Einsatz von Insektiziden macht der Honigbiene jedenfalls zu schaffen. Als »Bienenkiller« werden von Umwelt-NGOs seit einem Jahrzehnt Neonicotinoide bekämpft. Sie töten nicht nur massenhaft auftretende Schädlinge, sondern beeinträchtigen auch das Nervensystem – und damit den Orientierungssinn der Honigbiene. Zwar sind viele dieser »Pflanzenschutzmittel« mittlerweile verboten. Per Notverordnung werden sie für die konventionelle Landwirtschaft aber regelmäßig zugelassen, um Missernten zu vermeiden.

Auch der Klimawandel setzt der Honigbiene zu. Warme Perioden im Winter und vorzeitige Blühphasen bringen ihren Jahreskreislauf durcheinander und machen sie anfälliger für Krankheiten. Als siegreicher Endgegner hat es deshalb die Varroamilbe, ein vor Jahrzehnten eingeschleppter Parasit, oft leicht. Aber wirklich bedroht ist die Honigbiene nicht.

In Österreich ist die Zahl der Völker stabil. 2019 hielten 30.237 ImkerInnen insgesamt 390.607 Völker. Im Jahr 2000 waren es 363.967 Völker und 25.541 behördlich gemeldete ImkerInnen (Quelle: Dachverband Biene Österreich). In Deutschland steigt, über einen längeren Zeitraum betrachtet, die Gesamtzahl der Bienenvölker seit Langem sogar wieder an. Zwar waren 1992 laut dem Verein »Deutscher Imkerbund« auf dem Bundesgebiet noch 1,2 Millionen Völker aktiv gewesen. Doch nach einem Tiefstand – mit 600.000 Völkern 2009 – sammeln derzeit wieder annähernd eine Million Bienenvölker Pollen und Nektar. Auch in Deutschland ist die Zahl der ImkerInnen signifikant gestiegen. Gleichbleibend viele Völker bei deutlich mehr ImkerInnen lassen vermuten, dass Honigbienen heute häufiger einmal als Hobby gehalten werden und nicht immer als »Wirtschaftsvölker«. Das ist insofern relevant, als es eine weitaus sanftere, bienenschonendere Produktionsweise ermöglicht, wenn man nicht auf ein Einkommen durch den Verkauf von Honig angewiesen ist.

Einerseits ist das wachsende Interesse an der Imkerei sicher mit ein Erfolg der allgemeinen »Retten wir die Bienen«-Stimmung. Andererseits hat wohl auch die breite Diskussion über das Insektensterben das Interesse an den Honigsammlerinnen als Haustiere geweckt.

Was ist das Insektensterben?

Plötzlich ins Bewusstsein rückte das Problem 2017, als ein Fachartikel von Krefelder EntomologInnen Forschungsergebnisse der zurückliegenden 27 Jahre veröffentlichte und publik wurde, dass die Insekten-Biomasse in 60 untersuchten deutschen Naturschutzgebieten binnen drei Jahrzehnten um mehr als 75 Prozent abgenommen hatte. Kaum ein Medium, das nicht berichtete. Immerhin stammten die Daten aus Schutzgebieten – und nicht etwa aus frisch gespritzten Weingärten. Zwar wurde kritisiert, ob sich die Ergebnisse aus Nordrhein-Westfalen, Brandenburg und Rheinland-Pfalz wirklich auf ganz Deutschland umlegen ließen und überregional aussagekräftig wären. Doch die infolge der Debatte finanzierten und seither erschienenen weiterführenden Studien stützen die Ergebnisse des Krefelder EntomologInnenvereins tendenziell: Um Deutschlands Fluginsekten ist es schlecht bestellt. Nicht nur seltene Schmetterlinge, Käfer und Nachtfalter, auch viele einstige Allerweltsarten sind fast flächendeckend verschwunden. Im Süden des Landes hat das zuletzt zu zwei erfolgreichen Volksbegehren geführt: für »Artenvielfalt & Naturschönheit in Bayern«, das 2019 auch als »Rettet die Bienen!« bekannt wurde und mit 1,7 Millionen Unterschriften als bisher erfolgreichstes aller bayerischen Volksbegehren zu Änderungen im Landesnaturschutzgesetz führte – etwa zu einer stärkeren Förderung von Streuobstwiesen, zu größeren Waldschutzgebieten und zu Änderungen in Schullehrplänen. Ähnliches passierte in Baden-Württemberg. Nach einem Volksbegehren pro Artenvielfalt und adaptierten Naturschutzgesetzen zog im Frühjahr die CDU mit Bildern von Bienen in den Landtagswahlkampf gegen die den Ministerpräsidenten stellenden Grünen.

Und was ist mit Wildbienen?

Aber nicht nur der plakative Einsatz der Biene zeigt, wie die Grenzen zwischen Honigbienen- und Artenschutz verschwimmen. Auch bei den beiden Organisatoren des Artenschutzvolksbegehrens in Baden-Württemberg handelt es sich um überzeugte Demeter-ImkerInnen. Die agieren mit ihren Nutztieren zwar noch einmal deutlich behutsamer als die durchschnittlichen BioimkerInnen und würden im Traum nicht daran denken, ihren Königinnen die Flügel abzuschneiden, damit diese nicht mit einem Teil des Volks ausschwärmen (und sich dadurch der Honigertrag mindert). Wer x-beliebigen regionalen Honig kauft, kann diese Praxis schon einmal unterstützen. Doch diese Differenzierung kommt in der breiten Bevölkerung – nachvollziehbarerweise – nicht an. Dort ist eine Biene einfach eine Biene. Unterschied zwischen einer vom Aussterben bedrohten, solitär auf offenen Erdflächen nistenden und auf ein seltenes Ackerbeikraut spezialisierten Wildbiene und einer Arbeitshonigbiene, die ein mehrere Hektar großes Rapsfeld anfliegt oder mit ihrem Volk zur Zeit der Obstbaumblüte als Bestäubungsdienstleister in eine Apfelplantage gebracht wurde, wird keiner gemacht. Das kann man niemandem verübeln. Das macht die Sache aber kompliziert.

Denn was anderen Insekten nützt, dient immer auch dem Wohl der Honigbiene. Wer sich allerdings einzig für das Wohl der Honigvölker einsetzt, schadet dabei mitunter aber den Wildbienen. 560 Wildbienenarten gibt es in Deutschland. In Österreich mit seinen vielfältigen Lebensräumen von den Alpen bis zu den artenreichen Trockenrasengebieten im pannonischen Raum leben sogar 702 verschiedene Arten. Manche davon wurden allerdings zuletzt in den 1940er-Jahren nachgewiesen. Flächendeckende Daten und Forschung gibt es keine. In Deutschland sind 26 Arten als »extrem selten« eingestuft, sieben Prozent gelten als verschollen. Mehr als 50 Prozent finden sich auf der »Roten Liste« der gefährdeten Arten. Der unlängst von österreichischen ForscherInnen zur Erstellung einer eigenen »Roten Liste« gegründete Wildbienenrat geht davon aus, »dass bei uns bis zu 60 Prozent der Arten gefährdet sind« (Dominique Zimmermann).

»Wer ein ernstzunehmendes Bekenntnis zur Biodiversität abgeben mag, kann das mit einer biozertifizierten Kantine im Unternehmen tun. Das wäre weit wirksamer als ein Alibibienenvolk am Dach der Firmenzentrale«

Dietmar Niessner, Imker

Das Problem: Unbedacht aufgestellte Honigbienenvölker können diese Gefährdung mitunter verschärfen. Bereits Mitte der 90er-Jahre wurde auf die Nahrungskonkurrenz zwischen dem Nutztier Honigbiene und Wildbienen hingewiesen. Denn Honigbienen tragen eine enorme Menge an Nektar und Pollen ein. Von einem starken Volk fliegen im Frühjahr bis zu 60.000 Arbeiterinnen aus, um die Gegend um den Bienenstock abzugrasen. 2008 fanden ForscherInnen heraus, dass 30 Honigbienenvölker in nur zwei Wochen so viel Pollen von Ackersenf und Raps einsammelten, wie ausgereicht hätte, um 44.070 Brutzellen der solitär lebenden Rostroten Mauerbiene zu versorgen.

Die Bienenstöcke am Dach, die auf vielen Firmenzentralen schick geworden sind und stolz in Presseaussendungen und Nachhaltigkeitsberichten erwähnt werden, ändern nichts am Systemfehler in Landschaft und Lebensraum rundum. Und unbedacht platzierte Honigbienen richten, was Naturschutz und Artenvielfalt angeht, womöglich sogar Schaden an. Bioimker und Imkerlehrer Dietmar Niessner rät ernsthaft interessierten Unternehmen deshalb seit Langem, solche »Alibibienenvölker« besser sein zu lassen und stattdessen die Kantine biozertifizieren zu lassen. »Eine Biokantine wäre ein deutliches Zeichen – und von der Biolandwirtschaft profitieren Bienen, Wildbienen und alle anderen Insekten auch.«

»Ich bau dir ein Haus, kleine Wildbiene!« von Bärbel Oftring und Jana Walczyk stellt die am weitesten verbreiteten Wildbienen und Hummeln vor (und dem Nutztier Honigbiene gegenüber), zeigt, was im Inneren eines Insektenhotels passiert (auch im Winter), und weckt nicht nur in Kindern Lust, die Vielfalt draußen zu fördern. Gerstenberg, 2021.

BEITRAG ZUR DEBATTE »Evolution der Bienenhaltung. Artenschutz für Honigbienen« von Torben Schiffer stellt die gute imkerliche Praxis grundlegend infrage und plädiert für eine neue, artgerechte Bienenhaltung – gerade in der Hobbyimkerei. Ein Buch, das gelesen haben sollte, wer sich mit Bienen, Ökologie und Landwirtschaft beschäftigt. Ulmer, 2020.

Weiteres zu Thema Bienenschutz: Was macht Imkerei wirklich nachhaltig? – Ein Interview mit Dominique Zimmermann, Insektenforscherin und Kuratorin am Naturhistorischen Museum Wien.

Der Rasen und sein Roboter: Feind der Bienen und der Biodiversität – wie Mähroboter die Gärten um ihre Biodiverität bringen.

BIORAMA #73

Dieser Artikel ist im BIORAMA #73 erschienen

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