Der österreichische Weg ist gesichert

Brigitte Reisenberger, Landwirtschaftssprecherin der NGO Global 2000, im Gespräch über Regionalität, Diversität und Glyphosat.

Die neu verhandelte Gemeinsame Europäische Agrarpolitik soll mit 1. Jänner 2023 in Kraft treten. Ihr werden von 2023 bis 2027 387 Milliarden Euro zur Verfügung stehen. Bild: Istock.com/Przemysaw Iciak

Der größte Bereich im Budget der Europäischen Union wird alle 7 Jahre neu verhandelt – und doch kommt am Ende meist etwas dem Vorgängerprogramm allzu Ähnliches dabei heraus. Im Kern handelt es sich bei der Ende 2021 nun vom Europäischen Parlament beschlossenen Gemeinsamen Europäischen Agrarpolitik (GAP) um ein großes Landwirtschaftsförderungsprogramm, das auf Basis gemeinsamer europäischer Zielsetzungen durch Umsetzungspläne der Mitgliedsstaaten seine Wirkungen entfalten soll. Zum Ziel hat man sich diesmal gesetzt, die GAP »fairer, grüner und stärker leistungsorientiert« zu gestalten. Das ist nicht selbstverständlich, in früheren Entwürfen war beispielsweise geplant, sie erstens grüner, erst zweitens fairer und drittens stärker leistungsorientiert zu machen. Details, von deren Ausgestaltung allerdings maßgeblich abhängt, in welchem Ausmaß die Landwirtschaft zum Schutz von Klima und Biodiversität oder zur weiteren Verschärfung beider Krisen beiträgt. Dabei ist die erste Variante eigentlich schon fix eingeplant: Eine ambitionierte Ökologisierung des Agrarsektors ist notwendig, um den bereits 2020 beschlossenen European Green Deal (für eine »moderne, klimaneutrale, ressourceneffiziente, nachhaltige und wettbewerbsfähige Wirtschaft«) einhalten zu können, und ist in diesem auch schon vorgesehen. Denn geschätzt zehn Prozent der in der EU freigesetzten Treibhausgase gehen von der Landwirtschaft aus. Wenn der Plan für die Agrarpolitik bis 2027 nicht für eine relevante Reduktion dieser Treibhausgasemissionen sorgt, wurde der zumindest finanziell stärkste Hebel der EU zur Erreichung der Klimaziele nicht genutzt.

Bis zum Ende des Jahres 2021 mussten nationale Strategiepläne – unter Inkludierung von »Stakeholdern« wie Interessensvertretungen der LandwirtInnen, aber auch NGOs – ausgearbeitet und bei der Kommission eingereicht werden. Nach etwaigen Nachbesserungen müssen sie bis Ende 2022 von ihr genehmigt werden, bis sie dann mit 1. 1. 2023 in Kraft treten und nur mehr wirken müssen.

Gerade Umweltschutz-NGOs warnen allerdings vehement davor, dass die angekündigte Agrarwende sich hier nicht abzeichnet. Das österreichische Bundesministerium für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus hat im Juni 2021 auf seiner Website die Verhandlungsergebnisse auf europäischer Ebene für Österreich zusammengefasst: »Der österreichische Weg ist gesichert.« Brigitte Reisenberger, Landwirtschaftssprecherin der NGO Global 2000, im Gespräch zu Zielsetzungen, die zuerst verwässert und dann höchstwahrscheinlich verfehlt werden.

»Die Biolandwirtschaft wird in Zukunft auch Biodiversitätsflächen anlegen müssen – ohne das finanziell abgegolten zu bekommen.«

Brigitte Reisenberger, Global 2000

BIORAMA: Handelt es sich bei der nächsten GAP um den großen Paradigmenwechsel, der angekündigt wurde?

Brigitte Reisenberger: Die Ambitionen waren wohl relativ hoch, de facto wurde das Ganze
ziemlich verwaschen.

Woher kamen denn im EU-Gefüge die Ambitionen, und wer bremst?

Europäische Kommission und das Parlament waren hier ambitionierter als die Mitgliedsstaaten: Die wollten und konnten ihre eigenen Interessen und die der Agrarkonzerne durchsetzen.

Aus den Ausgangsvorschlägen der Europäischen Kommission ist im Trilog mit Mitgliedsstaaten und Parlament die neue GAP entwickelt worden.

Was waren und sind die Strategien der Mitgliedsstaaten Deutschland und Österreich, die den hehren angekündigten Zielen entgegenstehen?

An der deutschen Linie hat sich nun (durch den Regierungswechsel, Anm.) einiges geändert, Julia Klöckner (CDU) war hier in erster Linie eine Interessensvertreterin der Agrarindustrie. Deutschland hat den nationalen Plan (Stand Redaktionsschluss, Anm.) noch gar nicht eingereicht. Hier will man sich wohl noch Möglichkeiten offenhalten. Das österreichische Landwirtschaftsministerium kommuniziert in Österreich regelmäßig anderes, als es in Brüssel vertritt. Das war auch in der Trilogphase so. Klar ist: Österreich ist da vorgeprescht, was genau allerdings im Rahmen des Trilogs verhandelt wurde, wissen wir nicht, denn das ist ja nicht öffentlich. Die österreichische Regierung hat versucht, sicherzustellen, dass die Biolandwirtschaft weitermachen kann wie bisher und die konventionelle auch. Das Motto war, Stillstand zu bewahren.

Weder konventionelle noch Biolandwirtschaft haben also in Österreich höhere Anforderungen für dieselben Fördergelder zu erfüllen?

»Speziell das Pestizidreduktionsziel ist in den Augen der Interessensvertretungen der LandwirtInnen das Ende von allem.«

Brigitte Reisenberger, Global 2000

Es hat sich nicht rasend viel verändert. Allerdings wird die Biolandwirtschaft in Zukunft auch Biodiversitätsflächen anlegen müssen – ohne das finanziell abgegolten zu bekommen. Bei einem Blick auf die Aussendungen und Statements der großen Interessensvertretungen der LandwirtInnen (etwa der österreichischen Landwirtschaftskammer) der letzten Monate wird deutlich, dass speziell das Pestizidreduktionsziel in deren Augen das Ende von allem ist. Das war in den meisten Mitgliedsstaaten so. Stattdessen steht Regionalität an höchster Stelle. Doch Regionalität allein greift viel zu kurz. Sie ersetzt keine Tierschutzstandards, keine Ökologisierung, keine Reduktion des Fleischkonsums und klärt auch nicht, welche Futtermittel eingesetzt werden. Manchmal hat man im Diskurs das Gefühl: Hauptsache, es wird in Österreich produziert.

Ist es als Ziel des GAP-Regelwerks und hier der ersten – voll EU-finanzierten – Säule erkennbar, neue Ökologisierungsschritte zu belohnen?

Grundsätzlich wurde ein Regelwerk präsentiert, das in diese Richtung steuern kann. Österreich hat sich außergewöhnlich viele Ausnahmeregelungen rausgehandelt – die Gegenrechnung der Maßnahmen im Agrar- und Umweltprogramm (ÖPUL) zum Beispiel: damit möglichst viel dessen, was schon im Rahmen des ÖPUL gefördert wird, mit den Öko-Regelungen der EU gegengerechnet werden kann. Die Kommission – und das betone ich so, weil wir NGOs immer wieder gefragt werden, warum wir das so nennen – bezeichnet das als »Rabattsystem« der Gegenanrechnung. Solche Detailverhandlungen ziehen einem Regelwerk die Zähne. Bürokratisch aufwendiger wird es dadurch für die, die Förderungen bekommen wollen, auch.

Das Österreichische Programm zur Förderung einer umweltgerechten, extensiven und den natürlichen Lebensraum schützenden Landwirtschaft (ÖPUL) wird etwa zur Hälfte aus europäischen Mitteln finanziert. Die andere Hälfte tragen wiederum zu rund 60% der Bund und zu 40% die Bundesländer

Davon profitiert vor allem Österreich und hier jene, die auch zuvor profitiert haben?

Davon profitieren viele, auch Deutschland, aber Österreich profitiert mehr. Fairerweise muss man dazusagen, dass wir besonders profitieren, weil wir ein sehr großes Agrarumweltmaßnahmen-Programm haben.

Das europäische System bringt also in Mitgliedsstaaten wie Österreich keine Anreize für eine andere Landwirtschaftsweise?

Kaum. Vieles, das bereits im ÖPUL gefördert wird, kann sich Österreich schon anrechnen lassen. Beim ÖPUL wiederum wird in erster Linie immer wieder hervorgehoben, wie viele Bauern und Bäuerinnen hier irgendwie mitmachen. Es wird immer nur gesagt: »Über 80 Prozent der LandwirtInnen machen mit!«

Nicht so sehr, ob die Teilnahme am Programm Veränderung bewirkt?

Mit messbaren Erfolgen konnte das ÖPUL bislang nicht alle überzeugen. Auch der österreichische Rechnungshof kritisiert wiederholt, dass das ÖPUL teuer ist, aber sehr geringe Auswirkungen auf Klima und Umwelt hat. Im Green Deal hat sich die Europäische Union dazu entschieden, den Einsatz von Pestiziden bis 2030 zu halbieren. Gleichzeitig wird mit dem ÖPUL ein Förderprogramm weitergeführt, das Glyphosateinsatz ermöglicht.

In der ÖPUL-Periode 2015–2020, die in die derzeitige Übergangszeit bis zum neuen ÖPUL verlängert wurde, waren jährlich rund 434 Millionen Euro budgetiert, 112 Millionen davon für die »Maßnahme Biologische Wirtschaftsweise« – die größte mehrerer, kombinierbarer Förderungsgrundlagen.

Die GAP ist ein Rahmenprogramm, das unter Beteiligung unterschiedlicher Akteure entstehen muss. Wie funktionierte der Konsultationsprozess?

2019 war der Kick-off für den Beteiligungsprozess. Der Nationale Strategieplan wird parallel zum europäischen Gesetzgebungsprozess, dem Trilog, gestartet – andernfalls wäre die Zeit zu knapp – und wenn sich die Entwürfe auf europäischer Ebene ändern, dann ändert das auch die Voraussetzungen für die nationalen Pläne.

Förderobergrenze bei Direktzahlungen
In den europäischen Rahmen hat es die Obergrenze für Direktzahlungen von 100.000 Euro nur als »Option« geschafft – in Österreich hat sie aber trotzdem den Weg in den nationalen Strategieplan gefunden

Wie sind NGOs auf europäischer und auf nationaler Ebene eingebunden?

Es gibt einerseits schon Kontakt zur Kommission, der ist aber sehr überschaubar und findet vor allem über die europäischen Dachorganisationen der NGOs statt – in unserem Fall also über Friends of the Earth Europe. Wir sind auf nationaler Ebene eingebunden, indem wir, wenn Teildokumente veröffentlicht werden, Stellungnahmen einschicken können. Zusätzlich gibt es Webinare, in denen Inhalte präsentiert werden, bei denen man Fragen stellen kann, und vereinzelt auch Arbeitsgruppen, in die auch NGO-VertreterInnen geladen werden.

Was wird aus dem Nationalen Strategieplan veröffentlicht und wie läuft der Dialog ab?

Es werden alle paar Monate schrittweise Dokumente veröffentlicht, mitunter sind sie Hunderte Seiten lang, und dann gibt es die Möglichkeit für zivilgesellschaftliche Akteure, Stellungnahmen abzugeben. Was wir aber oft nicht wissen, ist, was mit unseren Stellungnahmen passiert. Der Beteiligungsprozess ist EU-Vorgabe. Für mich hat das insgesamt einen Informations- und keinen Dialogcharakter. Für uns ist es daher schon ein Erfolg, dass jemand drüber spricht. Wir haben etwa lange zum ÖPUL-Programm nur Dokumente ohne die Fördersummen bekommen für den Konsultationsprozess. Es hängt aber der Effekt des ganzen Programms davon ab, ob eher die »harmlosen« – wir nennen sie hellgrünen – Maßnahmen mit hohen Prämien versehen werden oder eher die besonders ökologisch wirksamen, dunkelgrünen. Das blieb aber leider eines der bestgehüteten Geheimnisse bis zur Fertigstellung des Nationalen Strategieplans.

Im neu entstandenen Bereich »Konditionalität« soll sichergestellt werden, dass nur gefördert wird, was Umwelt-, Klima- und Tierwohlauflagen erfüllt. Sind es höhere Standards geworden?

Bei Weitem nicht ausreichend, da sind sich eigentlich alle europäischen Umweltorganisationen einig, dass sich außer dem Namen nichts ändert und dass von der Zielsetzung der Kommission, die GAP mehr auf die Green-Deal-Zielen auszurichten, kaum etwas übriggeblieben ist. Es wurde von den Mitgliedsstaaten vor allem daran gearbeitet, die Green-Deal-Ziele schlechtzureden. Und die Ziele zu beschädigen. Da gab es erstaunlich viele Studien, die sich damit auseinandergesetzt haben, welche negativen Auswirkungen die Pestizidreduktion auf die landwirtschaftliche Produktivität in Europa haben werde. Es müsste dann alles importiert werden, denn man würde in Europa nichts mehr produzieren können. Wer das aller mitträgt, wundert einen schon, denn es werden neben ökologischen auch soziale Ziele verfolgt, um Bauern und Bäuerinnen eine bessere Wirtschaftsgrundlage zu bieten. Sie werden nämlich die Ersten sein, die von Überschwemmungen, aber auch von Trockenheit massiv betroffen sein werden. Eigentlich sollte die GAP die europäische Landwirtschaft so umbauen, dass LandwirtInnen nicht Opfer des Klimawandels werden und aber auch ihre Verur- sacherInnenrolle verkleinert wird.

Diversifizierung der angebauten Feldfrüchte wird als zentrale Maßnahme angeführt und der Erhalt einer Prämie ist daran gebunden. Ist das das zentrale Instrument zur Förderung von Biodiversität oder von Klimawandelanpassungsmaßnahmen?

Die Diversifizierung von Fruchtfolge und Anbau wäre ein extrem wichtiger Hebel, weil nur eine vielfältige Landwirtschaft sich auf Wetterwechsel und Extremwetter einstellen kann. Sich nur auf einige wenige Feldfrüchte zu verlassen ist eine sehr riskante Strategie. Die Diversifizierung ist einfach eine Risikostreuung für ProduzentInnen.

Warum benötigen LandwirtInnen dazu Anreize – wäre das nicht im ökonomischen Eigeninteresse?

Mit der Förderung hat man Lenkungseffekte, die scheint es zu brauchen.

Betriebe zwischen 10 und 30 Hektar Ackerfläche müssen mindestens zwei Kulturen anbauen, Betriebe mit mehr als 30 Hektar mindestens drei Kulturen. Die Hauptkultur darf einen Anteil von 75 Prozent nicht überschreiten. Wird das die Landschaft maßgeblich verändern?

Nein, wir werden weiterhin Maiswüsten haben. Wie da »Fruchtfolge« niederverhandelt wurde, macht diese Vorgaben wenig wirksam. Dabei wäre eine wirklich diverse Fruchtfolge mit stickstoffbindenden Pflanzen unumgänglich, um Nährstoffverlusten vorzubeugen und chemisch-synthetische Düngemittel zu ersetzen.

Brigitte Reisenberger ist Landwirtschaftssprecherin der NGO Global 2000. Die nächste GAP ist dort einer ihrer zentralen Arbeitsbereiche.
Bild: Evelyn Knoll.

BIORAMA #77

Dieser Artikel ist im BIORAMA #77 erschienen

Biorama abonnieren

VERWANDTE ARTIKEL