Der Büffel, ein bulliger Europäer

Eine imposante Erscheinung, genügsam und gutmütig: Warum der Wasserbüffel als Landschaftspfleger an Bedeutung gewinnt

Zwei Wasserbüffel im Feuchtgebiet.
Der Wasserbüffel könnte in der Europäischen Landschaft in Zukunft häufiger angetroffen werden. Bild: Axel Schmidt.

Die Milchkühe hatten niemanden gestört. Dass dort, wo bis vor drei Jahren seine Kühe auf der Weide standen, heute Wasserbüffel grasen, »das finden manche, die hier vorbeikommen, nicht gut«, erzählt Manfred Forthofer. Warum, das reimt er sich zusammen: »Sie wirken fremd und exotisch.« Tatsächlich handelt es sich eher um eine Rückkehr der robusten Riesen, vielleicht nicht unbedingt auf Forthofers mageren Hangwiesen, hier im südlichen Waldviertel, aber in Mitteleuropa hat die Haltung der gutmütigen Hornträger eine lange Tradition. In Deutschland wurden sie im Hochmittelalter als Haustiere gehalten, in der ungarischen Tiefebene, im Burgenland, vor allem aber im westlichen Ungarn blieben sie bis heute erhalten. In Wien sind Wasserbüffel bis in die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen als Arbeitstiere einer Brauerei dokumentiert. In Rumänien ist von seinen einst Millionen Büffeln immerhin noch ein Restbestand von 15.000 Tieren erhalten. Und der italienische Büffelmozzarella ist eine Spezialität von Weltrang. Manfred Forthofer hält seine 51 Büffel aber nicht als Milch-, sondern als Fleischlieferanten. Den Ackerbau hat er aufgegeben, weil die anspruchslosen Tiere kein Getreidefutter brauchen. Damit sie sich wohlfühlen, hat er ihnen am tiefsten Punkt seiner Wiesen einen Teich gegraben. Im Sommer verbringen die sanftmütigen Wiederkäuer einen Gutteil des Tages darin. Das Bad kühlt und unter Wasser nerven keine blutsaugenden Bremsen.

Der Büffel als Landschaftspfleger

Auf dem Horn eines mächtigen Bullen, der noch im Wasser ruht, während sich der Rest der Herde gemächlich bergauf bewegt, wippt lauernd eine Bachstelze und schnappt sich ein Insekt nach dem anderen. Wären nicht die von der EU vorgeschriebenen Ohrmarken unterhalb der Hörner und ein Elektrozaun, der den Teich vom ihn speisenden Bach trennt, die Szene könnte aus einem Land vor unserer Zeit stammen; als wären die Büffel nie weggewesen. Denn die domestizierten Karpatischen Wasserbüffel haben auch einen wilden prähistorischen Vorläufer: den Europäischen Wasserbüffel. Archäologische Funde zeigen sein Hauptverbreitungsgebiet im heutigen Deutschland. Er verschwand, als sich der moderne Mensch breit machte, – vermutlich – durch intensive Bejagung vor etwa 10.000 Jahren.

Ein Porträtfoto von Herbert Nickel.

Begleitet als Fachmann Graslandmanagement- und Weideprojekte in ganz Deutschland: der freiberufliche Biologe und Zikadenforscher Herbert Nickel. Bild: Privat.

An die Anwesenheit von Wasserbüffeln wird man sich in Zukunft wieder gewöhnen, nicht nur in der Nachbarschaft von Manfred Forthofers Biohof. Das hat direkt mit dem Green Deal der Europäischen Union zu tun. Das »Nature Restoration Law«, gegen das konservative und rechtsradikale Parteien gekämpft hatten, sieht vor, dass 20 Prozent aller europäischen Land- und Meeresflächen ökologisch verbessert werden. Dabei geht es einerseits um aktiven Artenschutz, bei der Wiederbewässerung von Mooren und Sumpflandschaften als CO2-Senken aber auch um konkreten Klimaschutz. Europa soll wieder wilder werden, dabei aber nicht verwalden. Auf widerstandsfähige Weidetiere, die weitläufige Wiesenlandschaften freihalten, und ganz besonders auf den Wasserbüffel kommt dabei eine große Aufgabe zu.
»Der Wasserbüffel wird gerade richtig sexy«, sagt Herbert Nickel, freiberuflicher Biologe und als Naturschutzfachmann deutschlandweit in viele Weideprojekte involviert. Man könne den Büffel auch auf einstigen Sumpf- und Moorflächen halten, die renaturiert werden sollen, sagt Nickel: »Dadurch kannst du Moore wiedervernässen, dabei COim Boden konservieren und speichern und die Flächen gleichzeitig in der landwirtschaftlichen Förderkulisse behalten.« Das heißt: Nur wegen den Wasserbüffeln gehen diese Naturschutzflächen der Landwirtschaft nicht verloren und können – zumindest extensiv – weiter genutzt werden. Dass diese Flächen beweidet werden, ist wichtig. Sonst verbuschen und verwalden sie, werden zu Schilfwüsten und Gewässer verlanden wieder. »Büffel (…) eignen sich sehr gut für die Pflege von Feuchtgebieten, wenn eine Öffnung dichter Vegetation und eine Freihaltung von Gewässern gewünscht ist«, heißt es im Handbuch Beweidung der Bayerischen Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege: »Durch die Anlage von Suhlen werden Pionierarten gefördert. Bereits geringe Besatzdichten reichen in Feuchtgebieten aus, die Vielfalt an Tier- und Pflanzenarten enorm zu fördern.«

Wilder Fluss und sanfte Büffel: Die einstmals monotonen Überschwemmungswiesen entlang der Lainsitz bei Gmünd werden seit 2018 von Wasserbüffeln ökologisch aufgewertet. Eine Attraktion: Die Waldviertelbahn fährt fürs Safari-Feeling extra langsam. Bild: Axel Schmidt.

Der Büffel und der »Green Deal«

Im Zuge der Renaturierung stellt sich die Wissenschaft seit einiger Zeit auch verstärkt die Frage, wie Europa naturgemäß ausgesehen hat – also bevor fast überall Ackerbau und Viehzucht betrieben wurden. Die Annahme, früher wäre überall mehr oder weniger dichter Urwald gewesen, war auch in Naturschutzkreisen lange verbreitet, ist aber nicht mehr haltbar. Viel spricht für die sogenannte »Megaherbivoren-Theorie«; also die Annahme, dass Europas Wildnis durch prägende große Pflanzenfresser wie Elch, Rothirsch, Nashorn, Wildpferd, Wisent und Auerochs eigentlich eher eine Offenlandschaft war – also letztlich eine gigantische Wildtierweide mit Buschwerk, Baumgruppen und nur vereinzelten Wäldern. Dafür spricht beispielsweise, dass 80 Prozent aller in Europa nicht ausgestorbenen Arten von Säugetieren, Insekten, Vögeln, aber auch Pflanzen und Pilzen sogenannte Freilandarten sind. Viele von ihnen verschwinden wo Wald wächst. Bekanntestes Beispiel: die Eiche. Einige der Megaherbivoren wurden nach der Sesshaftwerdung des Menschen zwar ausgerottet oder konnten nur in Rückzugsräumen überleben. Dass die Vielzahl der Arten, die sich im Laufe von Jahrmillionen an die von großen Pflanzenfressern gestalteten Landschaften angepasst hatten, trotzdem nicht verschwand, erklärt die Megaherbivoren-Theorie damit, dass sich durch die vorindustrielle Landwirtschaft mit ihrer sanften Beweidung von Heiden und Wäldern wenig änderte. Statt Wildtieren hielten nun Rinder, domestizierte Büffel, Ziegen, Schafe, Schweine und Pferde die Landschaft offen. Das große Artensterben begann als die Weidepraxis verschwand und die Tiere, vor allem die davor dominanten Rinder, in Ställe gesperrt wurden. Noch 1900 gab es auf dem Gebiet des heutigen Deutschland geschätzt zwischen 25 und 30 Millionen Rinder und Pferde, großteils als zumindest zeitweise Weidetiere. Die heute verbliebenen 12 Millionen Rinder verlassen den Stall meist nur für Tiertransporte oder auf dem Weg zum Schlachthof.

Megaherbivore

Deutsch: Große Pflanzenfresser bezeichnet teilweise ausgestorbene Huf-, Rüssel- und Beuteltiere, die urzeitliche Landschaften prägten und mehr als eine Tonne wogen.
Heute werden auch Rinder, Pferde und Rotwild als Megaherbivoren erachtet.

Die Rückkehr von Wisent und Elch

Im Zuge der europäischen Nature Restoration gewinnt auch die Idee von »Rewilding Europe« an Bedeutung. Sie möchte Gegenden großflächig natürlichen Prozessen überlassen, intakte Lebensräume und Nahrungsketten wiederherstellen. Raubtiere wie Wolf, Luchs und Bär haben darin ebenso ihre Rolle wie die verbliebenen großen Pflanzenfresser Elch, Wisent (der europäische Bison) und Rotwild. Ein Ansatz, der noch für Diskussionen sorgen wird. Im Oktober 2023 erscheint ein Buch von Sebastian Brackhane und Klaus Hackländer von der Deutschen Wildtierstiftung über »Die Rückkehr der großen Pflanzenfresser« (Oekom Verlag). Auch wenn der Untertitel offenlässt, ob die Rückkehr der Riesen eher »Konfliktfeld oder Chance für den Artenschutz« ist. Die Beiträge tendieren zur optimistischen Sichtweise. Zwar seien die Herausforderungen für ein Zusammenleben »immens«. Dennoch schließt das Vorwort mit einer Betonung der Chance: »Gelingt es uns aber, die Rückkehr von Wisent und Co. in unserer Kulturlandschaft nachhaltig zu ermöglichen, schaffen wir Ansätze, die zur Lösung einer der großen Herausforderungen unseres Jahrhunderts beitragen können – dem Erhalt unserer Artenvielfalt.« Für das Buch wurde auch ermittelt, wo Elch und Wisent wieder heimisch werden könnten. Lebensraumpotenziale für beide Arten wurden in der deutschen Schorfheide, im südlichen Brandenburg oder in den Wäldern der Mecklenburgischen Seeplatte sowie in einer Reihe von Mittelgebirgsregionen (Spessart, Thüringer Wald, Pfälzerwald) sowie im deutschen und österreichischen Alpenvorland erkannt. Für viele Regionen wären allerdings Auswilderungen nötig. Das wird für Kontroversen sorgen.

Ein Porträtfoto von Axel Schmidt.

Engagiert als Moorschutzaktivist, Wiedervernässer und Wasserbüffelpionier: der Waldviertler Biologe Axel Schmidt. Bild: Privat.

Das Nutztier als extensiver Kompromiss

Als Nutztier kann der Wasserbüffel als lebender Kompromisskandidat erachtet werden. Doch zumindest als sanfter Naturschützer ist er ohne Förderung im 21. Jahrhundert nicht wettbewerbsfähig, ist seine Haltung nicht wirtschaftlich. Manfred Forthofer hält seine Tiere auf einer biozertifizierten extensiven Koppelweide, verzichtet auf Kraftfutter, schlachtet seine Tiere erst ausgewachsen und vor Ort, verkauft ihr Fleisch zu einem guten Preis ab Hof und über die Direktvermarktungsplattform Nahgenuss.at. Doch den Winter verbringen sie im Laufstall. Und der Büffelbauer weiß: »Würde ich meine Tiere auf Naturschutzflächen halten, wäre mein Herde halb so groß und das wäre wirtschaftlich alles nicht tragbar.« Trotzdem bringt selbst sein Kompromiss eine Verbesserung: Weil er die robusten Tiere entgegen der in der Rinderhaltung weit verbreiteten Praxis nicht vorbeugend entwurmt, ist jede einzelne Kuhflade ein Lebensraum für sich. Dungkäfer, Fliegen- und Insektenlarven – selbst auf der kahlgefressenen Koppelweide wimmelt es von Insekten. Folglich finden hier nicht nur Bachstelzen Nahrung, sondern auch andere Vögel. »Der Biokontrolleur hat sich gefreut, dass er bei seinem letzten Besuch einen Wiedehopf gesehen hat«, sagt Manfred Forthofer. »Sonst kommt der Vogel bei uns in der Gegend eigentlich nicht vor.«

Lebensraum Kuhflade

1 Tonne Rinderbiomasse erzeugt im Jahr etwa zehn Tonnen Dung und darin 100 Kilogramm Insekten, die 10 Kilogramm Kleintiere ernähren, diese wiederum ein Kilogramm größerer Raubtiere und Greifvögel. Voraussetzung: Die Weidetiere werden nicht präventiv entwurmt.

Beweidung meist unwirtschaftlich

Auch wenn Forthofer seine Herde naturnah hält. Natürlich ist ihr Lebensraum nicht. Dafür bräuchte es größere Flächen, auf denen sich die Tiere frei und im Idealfall ganzjährig bewegen können. »Professionellen Bauern muss es um den Fleischertrag gehen«, erklärt Erhard Kraus. Kraus war Beamter des Landes Niederösterreich und betreute vor seiner Pensionierung Gewässer- und Flussrenaturierungen. Er sagt: »Bauern müssen wirtschaften, die haben kein Interesse, dass ihre Tiere im Winter abmagern, wie es eigentlich natürlich ist.« »Für die sehr extensive Beweidung von Naturschutzflächen findet man fast niemanden zur Bewirtschaftung«, weiß auch Axel Schmidt, der als Biologe und Moorschutzaktivist ein Wasserbüffelprojekt im nördlichen Niederösterreich aufbauen half. Die Büffel für die Pflege einiger Hektar Überschwemmungswiesen der Stadt Gmünd wurden von »Blühendes Österreich« finanziert, der Naturschutzstiftung von Rewe Österreich. »Aus ökologischer Sicht entwickeln sich die Flächen fantastisch«, sagt Schmidt. Wirtschaftlich möglich sei das Projekt trotzdem nur durch Rückhalt in der Region, ein jährliches Büffelfest und Büffelwochen in der Gastronomie.

Mehrere Wasserbüffel auf einer Weide.
Gutmütig, aber wehrhaft: Probleme mit dem Wolf und der Büffelhaltung sind in den Wolfsgebieten in Brandenburg keine bekannt. Bild: Axel Schmidt.

»Der Naturschutz will einen geringen Besatz mit Tieren, weil er in der Landschaft Strukturen zum Ziel hat, keinen Kahlfraß«, sagt Biologe Herbert Nickel, der 2022 für die Stiftung Naturschutzfonds Baden-Württemberg eine Studie über das »Potenzial der Wasserbüffelbeweidung für die Förderung arten- und biomassereicher Insektengemeinschaften« verfasst hat. Die Rechnung sei denkbar einfach: »Bei einer Ganzjahresbeweidung mit etwa 0,5 Tieren pro Hektar verdienst du halt nix. Du darfst nicht düngen, weil es um Naturschutz geht. Und wenn du nur zehn Hektar hast sind die Zaunkosten und der Betreuungsaufwand höher als der Ertrag.« Ideal seien deshalb Flächen von mindestens zwanzig Hektar. »Im Naturschutz brauchen solche Extensivweiden insgesamt mindestens 1.000 Euro Förderung pro Hektar und Jahr«, sagt Herbert Nickel, »sonst ist das Liebhaberei«. Die Vermarktung des wohlschmeckenden Büffelfleischs ändert daran wenig.

Und was ist mit Mozzarella?

Milchwirtschaft ist unter solchen Vorzeichen schwer denkbar. Weit in der Landschaft verstreute Büffel mit Jungtieren und Bullen im Herdenverband, die sich einzig von dem ernähren, was Vegetation und Jahreszeit hergeben, ermöglichen kein effizientes Wirtschaften. Würde Biobauer Manfred Forthofer seine Büffel nicht nur fürs Fleisch nutzen, sondern wie früher sein Fleckvieh auch melken wollen, »dann müsste ich sie anders füttern«. Auch wenn wir uns bei Überlandfahrten also an den Anblick weidender Wasserbüffel gewöhnen dürfen. Mozzarella wird weiterhin exotisch bleiben.

Wir haben bereits hier einen Büffelexperten befragt.

Buchtipps

»Die Rückkehr der großen Pflanzenfresser«

Die Rückkehr von Wisent, Elch & Co. garantiert Konflikte, bietet aber Chancen für den Artenschutz. Ein Sammelband, herausgegeben von Sebastian Brackhane und Klaus Hackländer (Deutsche Wildtierstiftung), lotet sie aus. Erscheint im Oktober 2023 im Oekom Verlag.

Das Cover von »Wilde Weiden«

»Wilde Weiden«

Gedruckt ist der »Praxisleitfaden für Ganzjahresbeweidung in Naturschutz und Landschaftsentwicklung«, herausgegeben von Margret Bunzel-Drüke, vergriffen. Als PDF gibt es ihn kostenlos.

abu-naturschutz.de

Damit, dass der Wasserbüffel als Weidetier wieder an Bedeutung gewinnt, hat sich BIORAMA schon an dieser Stelle beschäftigt.

BIORAMA #86

Dieser Artikel ist im BIORAMA #86 erschienen

Biorama abonnieren

VORGESCHLAGENE ARTIKEL DER REDAKTION