Design like you give a damn!

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»We Are One« Market and Youth Center in Ishinomaki, Japan
BILD: Akinobu Yoshikawa

Über Menschlichkeit in der Architektur und die Rolle von Design für Katastrophenhilfe und Entwicklungszusammenarbeit. 

Wo immer eine Naturkatastrophe wie Wirbelsturm Katrina, das Erdbeben auf Haiti oder der Taifun auf den Philippinen geschieht, wird man auch Architecture for Humanity (Architektur für die Menschlichkeit) finden, ein weltweit tätiges, nicht profitorientiertes Studio für Design, Wiederaufbau und Entwicklungszusammenarbeit. BIORAMA hat Eric Cesal in San Francisco zum Interview getroffen.

Wie ist Architecture for Humanity strukturiert?

Eric Cesal: Unser Hauptsitz ist in San Francisco. Darüber hinaus gibt es regionale Büros in Haiti, Japan, Ruanda, Südafrika und New York und ein Netzwerk von 58 Lokalorganisationen weltweit. Diese lokalen Vereinigungen sind organisch gewachsen und werden von Architekten, die an Projekten für die lokale Bevölkerung arbeiten wollen, gegründet. Sie arbeiten selbstständig und selektieren ihre eigenen Projekte. Im Fall von Naturkatastrophen gibt es eine wechselseitige Unterstützung. Die Zusammenarbeit funktioniert über das »Open Architecture Network«, eine Open-Source-Plattform für Entwürfe und Projekt-Management-Tool in einem. Nehmen wir zum Beispiel die Taifunkatastrophe auf den Philippinen: Auf der Plattform können wir nach einem nachhaltigen Design für ein Schul- oder Wohngebäude suchen und 50 Entwürfe finden, die zu genau dem Klima, der Katastrophe und der Kostenstruktur passen. Früher arbeitete jeder in Isolation, es gab keinen Zugang zu bestehenden Entwürfen. Viele Designer wollten helfen, aber haben im Endeffekt nur das Rad neu erfunden, weil sie nicht wussten, dass auf der anderen Seite der Welt jemand bereits etwas Ähnliches entworfen hatte.

Wie kann man sich den Ablauf eines Katastrophenhilfsprojekts vorstellen?

Der erste Schritt ist es, Kontakt zum lokalen Verein aufzunehmen – sofern es einen gibt. In Manila gibt es beispielsweise eine Lokalorganisation mit 50 Architekten. Lokale Architekten sind unsere beste Ressource, um den Wiederaufbau zu steuern. Sie sind technisch versiert und kennen die Umgebung, Gepflogenheiten und Kultur. Vom Hauptsitz aus bringen wir als Mentoren und Trainer langjährige Erfahrungen in der Katastrophenhilfe und dem Wiederaufbau. Nach dem Wirbelsturm Sandy bin ich nach New York geflogen und habe ein Training für Architekten der lokalen Organisation gegeben, um sie für den Wiederaufbau nach Naturkatastrophen vorzubereiten und zu zeigen, wie sie ihre Fähigkeiten als Architekten auf diese spezifische Situation umlegen können. Es braucht dann durchschnittlich sechs bis zwölf Monate, bis der Wiederaufbau beginnen kann. Zuerst muss eine Beziehung zwischen der Gemeinschaft und den lokalen Architekten aufgebaut werden, um kollektiv eine Strategie zu entwickeln, wie der neue Ort aussehen soll. Im Fall einer Naturkatastrophe ist sozialpsychologisch gesehen der erste Reflex der Betroffenen, wieder aufbauen zu wollen, was verloren ging. Das ist aber nicht möglich, wir können nicht in denselben Risikokonditionen bauen, vor allem, wenn die Gefahr zukünftiger Katastrophen besteht. Es gibt daher einen Prozess mit lokalen Architekten und der Gemeinschaft, um zu definieren, wie ihre Gebäude aussehen könnten, damit sich solch eine Katastrophe nicht wiederholt.

Was sind die Zutaten für erfolgreiche humanitäre Designprojekte?

Mitgefühl, Empathie, Demut und Staunen. Ohne Mitgefühl kann man nicht beginnen. Man muss sich die humanitäre Situation ansehen und verinnerlichen, dass das nicht etwas ist, das den Leuten einfach passiert ist, weil sie es verdienen oder weil sie schlecht sind oder einfach am falschen Ort leben. Das ist etwas, das uns alle betrifft und durch den globalen Klimawandel zukünftig noch mehr betreffen wird. Demut bedeutet, an ein Designproblem heranzugehen und zu wissen, dass es viel gibt, das man nicht weiß und nicht einmal erkennen kann, ganz einfach, weil man nicht von diesem Ort ist. Empathie – man kann keine humanitäre Designarbeit leisten, ohne zu akzeptieren, dass es nicht allzu viele Unterschiede zwischen den Menschen gibt und dass wir im Grunde alle dieselben Dinge im Leben wollen: ein besseres Leben für unsere Kinder, einen sicheren Ort zum Schlafen, ein Gefühl von Selbstverwirklichung. Die fundamentalen Wünsche und Herausforderungen eines Taifunüberlebenden auf den Philippinen sind nicht viel anders als jene der Menschen hier in San Francisco. Staunen, da man als Designer immer danach streben muss, Umstände zu verbessern. Ob man nun ein Gebäude für das Zentrum von Manhattan entwirft oder Notunterkünfte auf den Philippinen – man muss immer über den Tellerrand blicken. Das ist wahrscheinlich die wertvollste Fähigkeit von Designern und Architekten: imstande zu sein, Menschen Dinge aufzuzeigen, die sie alleine nicht sehen könnten, verschiedenste Visionen, Möglichkeiten wie ihre Gemeinschaft aussehen könnte und einen Dialog zu starten.

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Football for Hope Centre in Maseru, der Hauptstadt des afrikanischen Königreichs Lesotho BILD: Kick4Life

Was ist der Anteil von Entwicklungsprojekten bei Architecture for Humanity?

Circa 50 Prozent unserer Projekte sind humanitäre Hilfsprojekte. Diese reichen von Sport für sozialen Wandel über Armutsbekämpfung bis zu Kultur und Bildungsprojekten. Ein Beispiel ist unser »Football for Hope«-Programm. Es startete in Afrika. HIV-Infektionsraten explodierten, vor allem unter der jungen Bevölkerung. Gleichzeitig sind Sex, Aufklärung und Kondome häufig Tabuthemen. Durch die Errichtung von Sportzentren konnten wir einen neutralen Raum schaffen, der die Community anzieht, an dem diese Themen adressiert und Aufklärungsarbeit und medizinische Versorgungen durchgeführt werden können. Fußballspielen hat kein Stigma.

Was kann Katastrophenhilfe in Industrieländern von humanitären Hilfsprojekten in Entwicklungsländern lernen?

Viel! Vor allem Nachhaltigkeit, Resilienz und Ressourcenerhalt. Wenn eine Naturkatastrophe in den USA geschieht, trifft uns das so schwer, weil wir abhängig von überlappenden Infrastruktursystemen sind, um unseren gewohnten Lebensstil zu erhalten: Elektrizität, Wasser, Handynetze, etc. Ressourcenknappheit zwingt Menschen, nachhaltiger zu leben. In diesem Sinne gilt es weniger zu konsumieren und sich der vielschichtigen Abhängigkeiten, die unsere Existenz ermöglichen, bewusst zu werden.

Architecture for Humanity ist jetzt 15 Jahre alt, wie sieht die Zukunft aus?

Es gibt momentan zwei globale Trends, die uns betreffen: Massenurbanisierung und Klimawandel. Mehr und mehr Menschen leben in Städten mit überflüssiger und wechselseitig abhängiger Infrastruktur. Zusätzlich sind die meisten Metropolen an Küsten gelegen und am unteren Ende des sozioökonomischen Spektrums. Kombiniert man das mit den zunehmenden Auswirkungen des Klimawandels sind Katastrophen unausweichlich. In der Vergangenheit hat sich Architecture for Humanity sehr auf Katastrophenhilfe konzentriert. Unsere Erfahrungen und Verfahrensweisen haben wir nun mit dem Design-Studio für Katastrophenhilfe und Resilienz formalisiert, und versuchen jetzt auch vorbeugende Widerstandsfähigkeitsprogramme für Risikostädte zusammen zustellen.

Das Interview entstand im Rahmen von »Design like you give a damn! Live«, eine jährliche Konferenz für humanitäres Design und Resilienz in San Francisco, ins Leben gerufen von Architecture for Humanity. BIORAMA sprach mit Eric Cesal, Leiter des Design-Studios für Katastrophenhilfe und Resilienz bei Architecture for Humanity.

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