Mondsüchtig

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Fakt oder Fiktion? Um den Mond und seine Wirkung ranken sich viele Geschichten und Vorstellungen. Wirklich unstrittig sind neben seiner Existenz nur Ebbe und Flut.

Wann nur ist der richtige Zeitpunkt, um diesen Artikel zu schreiben? Der Blick in den Mondkalender von Tageszeitungen und Frauen-Magazinen hält dazu nur wenige Informationen bereit. Es ist ein guter Tag zum Putzen, Waschen und Blumen gießen. Aber ein schlechter, um Haare zu schneiden. Für schlankere Fesseln soll ich die Waden heute mit Entschlackungsöl einreiben und beim Laufen auf die Sprunggelenke achten. Feiern ist heute auch eher ungünstig – das könnte aber auch daran liegen, dass es mitten unter der Woche ist. Und überhaupt: »Wie man am angegriffenen Nervenkostüm so vieler Zeitgenossen ablesen kann, ist Vitamin-B-Mangel heute schon fast trauriger Normalzustand.« Abhilfe verspricht aber, »Sellerie über längere Zeit im Speiseplan willkommen zu heißen.«

Jahrhundertealtes Wissen?

Mondkalender bauen vor allem auf vier Erklärungsansätzen auf:

  1. Der Mond wirkt auf die Flüssigkeiten in Zellen von Menschen, Tier und Pflanzen wie auf das Wasser der Ozeane. Würde das so stimmen, könnte man in der Wanne ganz gut Ebbe und Flut beobachten. In den Ozeanen funktioniert das auch nur aufgrund der riesigen Wassermengen. Selbst die Wassermenge der meisten Seen ist nicht ausreichend.
  2. Abnehmender Mond wird allgemein mit Entfernen gleichgesetzt – egal ob Bauch, Haare, Mitesser, Schmutz oder Früchte vom Baum. Alles, was mehr werden soll, hat im zunehmenden Mond zu passieren.
  3. Der Mond verändert das Magnetfeld der Erde und das wirkt ja auf alles – wie genau ist nebensächlich.
  4. Man spricht überhaupt nur vage von Energien und hält sich erst gar nicht mit Erklärungsversuchen über deren Beschaffenheit auf.

Der Hinweis darauf, dass es sich dabei um jahrhundertealtes Wissen handelt, das die moderne Welt nur allzu gern verdrängen würde, reicht, um den einschlägigen Lebensratgebern Glaubwürdigkeit zu verleihen. Die suggerierte Kontinuität dieses Wissens ist aber faktisch falsch: »Das in den heutigen Mondkalendern vermittelte ,Wissen‘ ist kein uraltes, empirisches Bauernwissen, wie in den Kalendern zur Legitimation der Regeln behauptet wird. Vielmehr sind es die Versatzstücke ehemals elitekultureller Welterklärungssysteme, die mehrmals aus dem jeweiligen Zusammenhang genommen und neu kontextualisiert wurden«, schreibt Helmut Groschwitz, Kulturwissenschaftler der Universität Regensburg.

Gesicherte Mondeffekte

Der Mond hat keinen Einfluss auf die Geburtenhäufigkeit, das Wachstum von Pilzen oder die Qualität des Holzes. Interessant ist aber, dass erste Studien zu letzterem Thema aus dem frühen 18. Jahrhundert stammen. Auch zu diesem Zeitpunkt konnte kein Effekt nachgewiesen werden. Und um das etwas zu beschleunigen: Edgar Wunder, Geschäftsführer der Gesellschaft für Anomalistik e.V. in Heidelberg, hat mehr als 600 Studien über die Zusammenhänge von Mond und menschlichem Alltag untersucht. Ergebnis: Sie existieren nicht oder basieren auf unwissenschaftlicher Methodik. Auch die meisten Vollmond-Alltags-Anekdoten lassen sich durch »selektive Wahrnehmung« und »bestätigende Erwartung« erklären. Einzelne Phänomene wie Schlafstörungen bei Vollmond können sich gar zu »sich selbst erfüllenden Prophezeiungen« auswachsen.

Bild: flickr.com/Martin Kalfatovic – CC BY-NC-SA 2.0

Bild: flickr.com/Martin Kalfatovic – CC BY-NC-SA 2.0

Als gesicherte Effekte des Mondes können nur die Gezeiten und der Einfluss des Mondlichts auf nachtaktive Spezies gelten. Neben diesen beiden ist der sicherste Effekt des Mondes der auf das Kaufverhalten der Konsumenten. Das allerdings mit wechselndem Erfolg. Das Buch »Vom richtigen Zeitpunkt« von Johanna Paungger und Thomas Poppe wurde in 22 Sprachen übersetzt und verkaufte sich mehr als 2,5 Mio. Mal. Auch nach dem Mondkalender geschlagene Christbäume verkaufen sich recht gut, ebenso wie Demeter-zertifizierte Nahrungsmittel. Das kann aber auch einfach daran liegen, dass deren Herstellung nicht nur einem anthroposophischen Kalender folgt, der »irdische und kosmische Lebenszusammenhänge und Rhythmen berücksichtigt«, sondern gleichzeitig eben biozertifiziert ist. Weniger Glück ist dagegen Red Bulls »Lunaqua«-Wasser beschieden, das nur bei Vollmond abgefüllt wird. »Wissenschaftliche Messungen belegen, dass die bioenergetischen Qualitäten des Wassers bei Vollmond die stärkste Ausprägung erfahren.« Die Studien dazu sucht man genauso vergebens wie die offizielle Website, auf der dieser Satz noch vor einiger Zeit zu lesen stand. Abgefüllt wird das Mond-Wasser aber nach wie vor.

Und zum Ende noch die unumstößlichen Fakten über den Mond: Erstens – er existiert. Zweitens – er besteht aus Material der Erde und drittens – die Amerikaner haben ihn wirklich besucht. So, jetzt ist es Zeit für Entschlackungsöl und Vitamin B gegen das angegriffene Nervenkostüm.

Supermoon, August 2014. Bild: flickr.com/Omaar Osmaan – CC BY-NC-SA 2.0

Supermoon, August 2014. Bild: flickr.com/Omaar Osmaan – CC BY-NC-SA 2.0

Mondfakten

Ivan Kelly, James Rotton und Roger Culven haben in »The Moon was full – and nothing happened« mehr als hundert Studien untersucht und fanden keinerlei signifikante Effekte des Vollmonds. Hier eine Liste von Dingen, die der Mond nicht beeinflusst:

  • Aggressionen bei Hockeyspielern
  • Alkoholismus
  • Einweisungen in Nervenheilanstalten
  • Entführungen
  • Geburten
  • Gefängnisgewalt
  • Gewalt in der Familie
  • Katastrophen
  • Lykanthropie
  • Messerstechereien
  • Mordanschläge
  • Mordrate
  • Notaufnahmen
  • Notrufe an Polizei oder Feuerwehr
  • Schlafwandeln
  • Schusswunden
  • Selbstmord
  • Überfälle
  • Unruhe in Pflegeheimen
  • Vampirismus
  • Verkehrsunfälle

 

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