Winterweizen: Brot und Semmeln

Welcher Weizen in Österreich wächst, wo das »Getreide Nummer 1« am besten gedeiht und wo die meisten Biosemmeln gegessen werden.

Semmeln.
Der jährliche Pro-Kopf-Verzehr von Hartweizen entspricht in Österreich in etwa dem von Fleisch und Wurst. 2021/2022 lag er bei 59,1 Kilogramm. Bild: Istock.com/Anna Bobrowska.

Die Felder sind längst bestellt. Ein paar Rehe liegen als dunkle Punkte in der Landschaft. Auch die Windräder stehen still. Doch die Ruhe täuscht. Die Pflanzen wachsen auch im Winter; langsam, doch selbst unter der schützenden Schneedecke. Sichtbar ist das nur für diejenigen, die ganz genau darauf achten. Denn das Wachstum spielt sich größtenteils unterirdisch ab, wo die Wurzeln des Weizens immer tiefer in den Boden vordringen. Der Winterweizen wurde im Herbst ausgesät, bald nach der Ernte des Vorjahres. Die Wurzeln des Wintergetreides reichen tiefer hinunter als die des Sommergetreides, das ein halbes Jahr später zeitig im Frühling angebaut wird. Darum kommt Wintergetreide besser mit oberflächlicher Trockenheit zurecht, wenn es weiter unten noch feucht ist; wenn Sommergetreide bereits unter Trockenstress leidet. Der Klimawandel ist einer der Gründe, warum die Landwirtschaft immer häufiger auf Wintergetreide setzt, nicht nur hier im Marchfeld, das immer noch als die »Kornkammer Österreichs« gilt. Diese Entwicklung gibt es auch bei anderen Getreidearten. Beim Weizen – als Getreide flächenmäßig die klare Nummer eins in Österreich – belegt das auch das Spektrum der zugelassenen Sorten. Landwirtschaftlich angebaute Pflanzen müssen von der staatlichen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) zugelassen werden: jede Sorte einzeln. Quer durch alle genutzten Pflanzenarten waren mit Stand 1. April 2023 insgesamt 956 Sorten in Österreich zugelassen. »Bei vielen Arten war eine Tendenz zur Erhöhung der Sortenzahl im Lauf der Jahrzehnte festzustellen«, sagt Clemens Flamm, der bei der AGES die Sortenbücher führt. Beim Weizen sind die Zahlen besonders eindrucksvoll: Im Jahr 1950 waren beim Weizen acht Sorten registriert, 1960 waren es bereits 24 Sorten, 1970 dann 27 Sorten. Seit der Jahrtausendwende (2000: 44 Sorten) hat sich die Zahl sogar auf 88 Sorten verdoppelt. Von den 88 zuletzt zugelassenen sind 75 Winterweizen- und nur acht Sommerweizensorten. »Die geringe Sortenanzahl beim Sommerweizen spiegelt sich auch im Anbau am Ackerland wieder«, sagt Clemens Flamm. Laut Statistik Austria wurde 2022 auf 241.398 Hektar Winterweizen angebaut, Sommerweizen nur auf 3.158 Hektar. Insgesamt entsprechen die Äcker, auf denen in Österreich jedes Jahr Weizen angebaut wird, etwa sechs Mal der Fläche des Wiener Stadtgebiets. Wobei, um im Bild zu bleiben, nur in der Wiener Innenstadt Sommerweizen angebaut wird.

»Wir leben beim Weizen in Österreich von den Spitzenqualitäten und vom guten Exportgeschäft nach Italien.«

Christian Geßl, AMA-Marktbeobachter

Qualitätsweizen als Exportgut

In Wien selbst gibt es freilich nur noch überschaubar Ackerland und das nur in den Außenbezirken. Wirtschaftlich am attraktivsten ist der Anbau von Weizen aber tatsächlich vor allem im Osten des Landes. »Tirol, Vorarlberg und Salzburg sind keine klassischen Ackerbaugebiete und auch beim Weizen nicht nennenswert«, sagt Christian Geßl. »Auch in der Steiermark und Kärnten gibt es nur ein paar tausend Hektar.« Die Bäuerinnen und Bauern haben bei der AMA zwar längstens gemeldet, was sie auf ihren Feldern angebaut haben und dort 2024 voraussichtlich ernten werden. Aufbereitet werden die Zahlen aber erst Anfang 2024 vorliegen, so Geßl. Der Marktbeobachter schätzt, »dass die Weizenanbaufläche in etwa gleich bleiben wird«. Denn Weizen aus Österreich ist nicht nur im Binnenmarkt gefragt. Ein großer Teil des sogenannten Qualitätsweizens geht in den Export, nach Deutschland, vor allem aber nach Italien. Entscheidend für die Qualität ist der Proteingehalt. Beim sogenannten Mahlweizen, der von heimischen Mühlen verarbeitet wird, liegt er zwischen 11,5 und 12,5 Prozent. Darüber spricht man von Qualitätsweizen (12,5 bis 13,5 Prozent), beim Premiumweizen kann der Proteingehalt auch bis zu 16 Prozent oder darüber reichen. Weizen mit einem Proteingehalt von unter 10 Prozent gilt als Futterweizen oder landet – etwa für die Erzeugung von Bioethanol – in der Stärkeindustrie. Theoretisch entscheidet sich ein Bauer, eine Bäuerin bereits bei der Wahl der Sorte, die angebaut wird, ob im darauffolgenden Juli Mahl- oder Qualitätsweizen geerntet werden soll. Praktisch machen Wetter und Witterung oft einen Strich durch die Rechnung. »Wenn es bei der Ernte regnet, wird auch das beste Premiumsaatgut wahrscheinlich keinen Premiumweizen bringen«, weiß Christian Geßl. In eher niederschlagsreichen Gegenden ist es deshalb schwer, Premium- oder Qualitätsweizen zu produzieren.

Die Anbauflächen von Weizenarten in Österreich.
Mahlweizen für den heimischen Bedarf wird v. a. in Oberösterreich und im westlichen Niederösterreich südlich der Donau an­gebaut. Der in Italien und der Schweiz begehrte Qualitätsweizen wächst im Weinviertel, im Wiener Becken und im Burgenland. Bild: Biorama.

Grob lässt sich Österreich in zwei große Weizenanbaugebiete aufteilen (siehe Grafik). Mahlweizen wird in nicht zu feuchten Teilen Oberösterreichs und im Westen Niederösterreichs südlich der Donau geerntet. Qualitätsweizen wächst im Weinviertel, im Wiener Becken, im nördlichen und im mittleren Burgenland. Während der Mahlweizen meist regional verarbeitet und direkt zu Backwaren, Teiglingen und Fertigmischungen wird, wird der teurere Qualitätsweizen exportiert und später als »Aufmischweizen« dem lokal produzierten Getreide minderer Qualität beigemengt, um dem Mehl die nötigen Backeigenschaften zu geben. »Wir leben beim Weizen in Österreich von den Spitzenqualitäten und – trotz Konkurrenz aus Bayern, Ungarn und den USA – vom guten Exportgeschäft nach Italien«, sagt AMA-Marktbeobachter Christian Geßl, »Futterweizen importieren wir im Gegenzug oft aus Ungarn, der Slowakei und Tschechien«.

Weichweizen

Einfuhr: 1.427.288 t
Ausfuhr: 1.114.858 t
Erzeugung: 1.441.242 t
Inlandsverwendung: 1.702.046 t
Top Importländer Weizen und Mengkorn
1. Ungarn
2. Tschechien
3. Slowakei
Quelle Statistik Austria, Versorgungsbilanz 2021/22 AMA Marketing

Züchtung und Fruchtfolge

Egal ob im Winter oder zur Erntezeit: Wer als Laie durch die heimischen Anbaugebiete spaziert, wird nicht erkennen, welche gewaltigen Fortschritte die Züchtung gerade bei Allerweltsarten wie dem Weizen macht. Das gilt nicht nur für die Widerstandsfähigkeit gegen Schädlinge oder für verbesserte geschmackliche Eigenschaften fürs Endprodukt, sondern vor allem auch was den Ertrag angeht. »Bei Getreide liegt der jährliche züchtungsbedingte Ertragsanstieg zwischen 0,4 bis 1,2 Prozent«, sagt Clemens Flamm (AGES). »Überwiegend wurde dies durch eine Verlagerung der Trockensubstanz vom Stroh ins Korn als Folge der Wuchshöhenreduktion, eine günstigere Nährstoffverwertung und eine höhere Krankheitstoleranz erreicht.«
Weizensorten mit klingenden Namen wie Adamus, Advokat, Aloisius, Arminius, der im Biobereich vorherrschende Capo oder Sorten wie Edda, Enrico, Mandarin oder Thalamus überzeugen beispielsweise im Krankheitsanfälligkeitsindex. »Der Anbau von Sorten, die gegen Krankheiten und Schädlinge widerstandsfähig sind, ist eine kostengünstige und umweltschonende Maßnahme des Pflanzenschutzes«, sagt Flamm. »Die Einsparung an fungiziden Wirkstoffen trägt wirkungsvoll zur Verminderung von Umweltbelastungen bei.« Neuere Weizensorten sind deutlich weniger krankheitsanfällig als die gebräuchlichen Züchtungen der 1960er, 1970er oder 1980er Jahre. Das gilt für den Bioanbau ebenso wie für die konventionelle Landwirtschaft. Wobei der Ertrag im Bioanbau in schlechten Jahren um bis zu 50 Prozent geringer ausfallen kann. Vor allem in trockenen Gebieten gibt es allerdings Biobetriebe, die im langjährigen Schnitt dieselben Erträge einfahren wie ihre konventionellen KollegInnen. Möglich ist das allerdings nur durch eine durchdachte Fruchtfolge, die den Boden nicht nur schont, sondern gezielt aufbaut. »Es geht nur um den Boden«, sagt Robert Harmer vom Landgut Alt Prerau. Er ist seit 40 Jahren Biobauer bei Laa an der Thaya, direkt an der tschechischen Grenze, in einem ausgesprochenen Trockengebiet. Seit 17 Jahren bewirtschaftet er 400 Hektar Ackerfläche nach den strengen Kriterien des Demeter-Verbands. Um gute Weizenerträge zu erzielen, arbeitet er mit einer ausgeklügelten Fruchtfolge. Zuerst baut er zwei Jahre Luzerne an, die über ihre Knöllchenbakterien Stickstoff im Boden einlagern – ein idealer Dünger für den im dritten Jahr angebauten Weizen. Danach sät er über den Winter Dinkel aus, im Frühjahr Körnermais, danach ein aufbauendes Erbsengemenge, dann wieder Weizen und schließlich humuszehrende Kulturen wie Karotte oder Erdäpfel. »Das schafft resilienten Boden, der Fruchtbarkeit und Feuchtigkeit erhält«, sagt Harmer. Bislang schwört der Demeter-Bauer auf Weizen der Sorte Capo. Eines Tages werde aber auch im nördlichen Weinviertel eine trockenheitsresistentere Genetik nötig sein, schätzt er.

Bauer Robert Harmer (mit Familie) wirtschaftet seit 40 Jahren biologisch. Wichtigste Kultur des Guts Prerau: Weizen der Sorte Capo. Bild: Altprerau.

Hitze bereitet Stress

Züchter wie Johann Birschitzky von der Probstdorfer Saatzucht Donau arbeiten bereits heute daran. Denn die Züchtung einer neuen Getreidesorte dauert 10 bis 15 Jahre. Und der Klimawandel macht der Landwirtschaft durchaus zu schaffen. Bereits seit längerem nimmt der Anbau wärmeliebender Pflanzen wie Mais und Soja zu. Beim Getreide gewinnen frühreife Sorten an Bedeutung. »Wobei es eine Illusion wäre zu glauben, es gäbe Pflanzen, die unter perfekten Bedingungen genauso wie in Trockenstressjahren gute Erträge liefern«, sagt Birschitzky. »Wenn ein Bauer im Oktober anbaut, weiß er natürlich nicht, wie das Wetter im Mai und Juni wird, den beiden wichtigsten Monaten für die Ertragsbildung beim Getreide.« Regen zur Erntezeit ist immer schlecht. Die im pannonischen Raum vorherrschenden Trockenheit liefert hohe Qualität. Problematisch ist allerdings die Hitze. »Temperaturen über 27 Grad bereiten dem Weizen Stress«, sagt der Pflanzenzüchter. Das verkürzt seine Vegetationszeit. »Wir dreschen das Getreide in unseren Breiten mittlerweile um zwei Wochen früher als Anfang der 90er Jahre. War der Weizen früher meist gegen Ende Juli erntefreif, ist er das heute manchmal schon Anfang Juli.«

»Wenn ein Bauer im Oktober anbaut, weiß er natürlich nicht, wie das Wetter im Mai und Juni wird.«

Johann Birschitzky, Saatzucht Donau

Ist es heiß, erhöht das manchmal zwar die Qualität, minimiert aber den Ertrag. »Wie sehr sich das Klima auf das Getreide auswirkt, sehen wir allein schon an den Erträgen in den unterschiedlichen Teile der Welt«, sagt Hermann Bürstmayr vom Boku-Institut für Biotechnologie in der Pflanzenproduktion. »Beim Weizen sind das zum Beispiel 9 bis 10 Tonnen pro Hektar in Westeuropa und Neuseeland bis etwa eine Tonne pro Hektar und darunter in den Halbwüsten, zum Beispiel in Teilen von Australien«.

Bioexportmarkt Schweiz

Was und wie auf den Feldern angebaut wird, hängt allerdings nicht nur an der klimatischen Großwetterlage, sondern auch an der wirtschaftlichen Entwicklung. Sie war 2023 beispielsweise dafür verantwortlich, dass nicht die gesamte österreichische Bioweizenernte auch zu Biopreisen vermarktet werden konnte. Das heißt: Das Angebot war größer als die Nachfrage. »Wir sind beim Getreide Biospitzenreiter in Europa«, sagt Christian Geßl von der Agrarmarkt Austria. Der Bioanteil liegt hierzulande bei durchschnittlich 21 Prozent – wobei beispielsweise 75 Prozent des angebauten Dinkels biologisch produziert werden und nur 17,6 Prozent des Weichweizens. Anders als am konventionellen Sektor wird Bioweizen allerdings in Italien kaum nachgefragt. Entscheidend ist vielmehr, ob in Österreich weiterhin gerne Semmeln und Mischbrot in Bioqualität gekauft werden; und in der Schweiz. Denn die Schweiz ist kein klassisches Getreideanbauland und braucht deshalb Importware. Und in der Schweiz ist man bereit, die höheren Preise für Bioqualität zu bezahlen. Gewiss ist nur eines: Die Felder sind längst bestellt.

Mehr zum Thema Weizen und anderen Mehlsorten haben wir an dieser Stelle geschrieben.

BIORAMA BIOKÜCHE #4

Dieser Artikel ist im BIORAMA BIOKÜCHE #4 erschienen

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