Sozialökologische Transformation: Kommt der dritte große Umbruch?

Der Klimawandel sitzt uns im Nacken, der Verlust von Biodiversität ist dramatisch, die soziale Ungleichheit wächst. Viele sehen nur einen Ausweg aus der multiplen Krise: Wir brauchen eine Transformation.

Es ist ein kalter Freitagabend in Graz. Die festliche Aula der Universität ist fast bis zum letzten Platz gefüllt. »Wer hier arbeitet in einer NGO, wer in der Wissenschaft, und wer studiert noch«, fragt der Moderator. Ungefähr je ein Drittel hebt die Hand. »Wer hier ist Vegetarier?« – Auffallend viele Hände schießen nach oben, vielleicht die Hälfte. »Und wer glaubt, dass es bis 2030 gelingt, eine sozialökologische Transformation auf Schiene zu bringen?« – Stille. Eine Hand hebt sich, dann zögerlich noch ein paar weitere, vielleicht zwanzig, begleitet von ungläubigem Kichern und Tuscheln.

Drei Tage lang werden auf der diesjährigen Entwicklungstagung in Graz »sozialökologische Transformationen« besprochen. Der Plural weist auf die vielen Perspektiven, Ebenen und Akteure des Themas hin, sagt man uns. Niemand sollte gleich hinausgehen, wie er hergekommen ist, so der Appell von der Bühne. Ein Polylog mit Wissenschaftlern aus drei Kontinenten startet, auch ein Konzernchef ist dabei. In diesem Format sollen alle Meinungen Platz haben, doch schon nach wenigen Minuten wird deutlich, wie wenig eigentlich klar ist.

Vor 250 Jahren erlebte Europa die Industrielle Revolution: Durch ein neues Energiesystem wurde dabei, der Produktion von Waren und Gütern neue Grenzen gesetzt. (Bild: Welcome Arnold Greene)

Transformation – was heißt das?

Unter den Wissenschaftlern scheiden sich bereits bei der Definition die Geister. Man kann von einer fundamentalen Änderung biophysischer, sozialer und wirtschaftlicher Teile eines Systems sprechen. Anschaulicher ist die Beschreibung als Regimewechsel, wie es ihn bisher erst zweimal in der Menschheitsgeschichte gegeben hat.

Erstmals, als vor ungefähr zwölftausend Jahren nomadische Gruppen zu einer sesshaften, agrarischen Gesellschaft geworden sind. Und dann noch einmal, als die natürliche Grenze der landwirtschaftlichen Produktivität überwunden wurde – durch ein neues Energiesystem, basierend auf fossilen Brennstoffen. Diese zweite »große Transformation« der Geschichte haben wir in Europa seit ein paar Hundert Jahren hinter uns.

In den reichen, industrialisierten Ländern des globalen Nordens vergisst man deshalb oft, dass ungefähr zwei Drittel der Weltbevölkerung in den Ländern, die nach westlichen Standards noch nicht entwickelt sind, diesen Umbruch gerade erst durchlaufen, während wir schon von der dritten großen oder sozialökologischen Transformation sprechen – einem Wandel in die Zukunftsfähigkeit.

Die brasilianische Aktivistin Moema Miranda: »Es ist für Europa bequem zu denken, dass es eine Entwicklung vorlebt, die für alle gut ist. Dieses Narrativ der Erleuchtung aller ist sehr stark, aber wirklich nicht wahr.« (Bild: Doris Fröhlich)

Worüber wird noch gestritten?

Die Notwendigkeit einer umfassenden Veränderung ist von Wissenschaftlern wie politischen Beratern weitgehend anerkannt. Die ökologische bzw. multiple Krise ist allgegenwärtig, es muss etwas getan werden. Aber wie soll das genau aussehen? Drei Fragestellungen zur Transformation:

Wohin wollen wir?

Wenn es darum geht, ein Zukunftsbild für alle zu entwerfen, müssten auch die Meinungen aller Völker zählen. In wirtschaftsstarken, historisch gewichtigen Nationen wird das gern vergessen und im Alleingang an einem Idealbild gebastelt. Die brasilianische Aktivistin Moema Miranda sieht das als Problem der Kolonialisierung, die in vielen Köpfen noch immer festsitzt: »Es ist für Europa bequem zu denken, dass es eine Entwicklung vorlebt, die für alle gut ist. Dieses Narrativ der Erleuchtung aller ist sehr stark, aber wirklich nicht wahr.«

Können wir das planen? Zur Sesshaftwerdung hat sich die Menschheit nicht aktiv entschlossen, auch zur Auflösung der Produktivitätsbegrenzung in der Landwirtschaft nur indirekt. Als globaler Umbau der Gesellschaft war keine dieser Entwicklungen geplant. Doch jetzt müsste ein Wandel verstandesgemäß, demokratisch legitimiert und gesteuert erfolgen – etwas, das noch nie dagewesen ist. Es ist unklar, ob so eine international koordinierte Veränderung überhaupt geplant durchgeführt werden könnte, und wenn ja, von welchen Akteuren.

Andreas Novy, Leiter des Institute for Multi-Level Governance and Development: »Ich bin überzeugt, die Transformation muss über den Kapitalismus hinausgehen.« (Bild: Doris Fröhlich)

Welches Wertesystem ist zukunftsfähig?

Besonders die Frage, ob eine Transformation innerhalb unseres kapitalistischen Wertesystems möglich ist, gibt Diskussionsstoff. Andreas Novy, Leiter des Institute for Multi-Level Governance and Development, zweifelt daran: »Ich bin überzeugt, die Transformation muss über den Kapitalismus hinausgehen. Die Erfolgsfaktoren des Kapitalismus machen sie ja erst nötig. Kapitalismus ist nicht böse. Aber seine Logik der Expansion und Ausgrenzung sind ein Gefahrenpotenzial für die Zivilisation. Die Herausforderung ist, ihn zu überwinden, obwohl er Vorteile hat.«

Wo stehen wir?

Komplex ist das Ganze also, vielschichtig und langwierig. Wir wissen, es gibt Probleme, humanitäre und ökologische. Wir wissen, es ist dringend. Wir kennen umwelt- und entwicklungspolitische Bewegungen, die jeden Tag für unsere Zukunft kämpfen. Noch besser kennen wir wahrscheinlich die gesellschaftlichen Machtverhältnisse, die Wandel blockieren. Wie schaffen wir es, eine Transformation zu erwirken, die mehr Nachhaltigkeit und mehr soziale Gleichheit bringt?

Ein Redner bringt es auf den Punkt: Für vieles haben wir heute keine Lösung. Aber zumindest das Bewusstsein wächst. Das muss es auch, wenn nicht »neben uns die Sintflut« kommen soll, wie Stephan Lessenich sie schon in einem Buch beschrieben hat.


BIORAMA #52

Dieser Artikel ist im BIORAMA #52 erschienen

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