Käse mit Laib und Seele

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Rohmilchkäse und Käse aus pasteurisierter Milch – mit freiem Auge lassen sie sich kaum auseinanderhalten, den großen geschmacklichen und qualitativen Unterschied machen die inneren Werte.

Für Franzosen und Italiener sind sie Kulturgut, in der Schweiz Alltagsprodukte, in einigen Staaten Amerikas sogar verboten. In Deutschland und Österreich teilen sich Rohmilchkäse die Käsetheke mit ihren pasteurisierten Artgenossen und geben sich zunächst lediglich auf dem Etikett zu erkennen.

Bereits in der Jungsteinzeit 5.500 v. Chr. sollen Menschen archäologischen Funden zufolge Käse erzeugt haben. Das Verfahren der Pasteurisierung wurde erst rund 7.500 Jahre später entwickelt. Bis zu besagter Entwicklung von Louis Pasteur wurde jeder Käse aus dem unbehandelten Naturprodukt hergestellt. Lebensmittelvergiftungen, die mit Rohmilchkäse in Verbindung gebracht wurden, und eine Häufung von Tuberkulose-Erkrankungen bei Kühen machten dem vielerorts ein Ende. Heute besteht für alle Käse aus Rohmilch Kennzeichnungspflicht. Was für Schwangere und Personen mit angegriffenem Immunsystem einen Warnhinweis darstellt, gilt unter Käsekennern als Qualitätsmerkmal.

Pasteurisierter Käse, eine Geschmacklosigkeit?

»Wenn man Käse pasteurisiert, beraubt man ihn seiner Seele«, sagt Carlo Petrini, Gründer von Slow Food. Tatsächlich gehen beim Erhitzen der Milch auf über 70 Grad Celsius zehn Prozent der Vitamine und der ursprüngliche Geschmack verloren. Angesichts weitestgehend gesunder Kuhbestände und intensivierter Kontrollen profitiert heute vor allem die Industrie von dem Verfahren, die dadurch große Mengen lagern, transportieren und verarbeiten kann. Käse aus pasteurisierter Milch sind leichter zu handhaben, sie reifen langsamer und liefern ein besser kontrollier- und berechenbares Endprodukt, da bei den hohen Temperaturen die natürliche Flora der Rohmilch zerstört wird. Bei Rohmilch, die nicht höher als 40 Grad erhitzt werden darf, bleibt diese erhalten und der daraus gefertigte Käse ein »lebendiges« Lebensmittel. Während sich pasteurisierter Weichkäse selbst bei längerer Lagerung im Supermarktregal und Kühlschrank kaum verändert, nehmen bei Rohmilchkäse Geschmack und cremige Konsistenz zu.

SlowCheese_©Eventolive

BILD Eventolive

The good, the bad and the tasty

Man darf nicht alle Bakterien in einen Topf werfen. Während Milchsäurebakterien in der Käseherstellung die Milchsäuregärung in Gang setzen, die Reifung vorantreiben und jedem Käse sein charakteristisches Aroma verleihen, sind Campylobacter jejuni, E.Coli, Listerien und Salmonellen für den Großteil aller Lebensmittelvergiftungen verantwortlich. Die Pasteurisierung macht diesen »Verhängnisvollen Vieren« den Garaus, allerdings werden dabei auch sämtliche nützliche und geschmacksbildende Enzyme und Bakterien abgetötet. Um trotzdem einen passablen Geschmack zu erzielen, ist die Zugabe von extra gezüchteten Bakterienstämmen nötig. Der Nachteil: Gelangen durch Hygienemängel Keime in die bereits pasteurisierte Milch, sind darin keine natürlichen gutartigen Bakterien mehr vorhanden, um das Wachsen und Vermehren ihrer Gegenspieler zu verhindern.

Für die Regierung der USA gilt Rohmilch aufgrund ihrer bakteriologischen Beschaffenheit als gefährliche Substanz und ist deshalb verboten. Forschungsarbeiten des amerikanischen Mediziners und Pathologen Dr. Ted Beals anhand von Regierungsstatistiken haben jedoch ergeben, dass es 35.000-mal wahrscheinlicher ist, durch den Verzehr anderer Lebensmittel als Rohmilch zu erkranken.

Hart aber hochqualitativ

Die Pasteurisierung soll vor gefährlichen Krankheitserregern schützen. Aber ist das bei Milch von Tieren, die artgerecht gehalten und gefüttert werden, überhaupt notwendig? Da die Hygienevorschriften der Europäischen Union für Rohmilchkäse besonders streng sind – Kontrollen werden sogar häufiger durchgeführt als bei Käse aus pasteurisierter Milch – kommt nur die beste Milch zum Einsatz. Ausschließlich silagefreie Rohmilch von Tieren, die mit Gras und Heu gefüttert werden, darf verarbeitet werden. Durch Gärung haltbar gemachtes Gras, sogenanntes Silage-Futter, ist verboten, da es den Anteil an Sporen in der Milch erhöht und eine Fehlgärung im Käse hervorrufen kann.

Bereits kleine Abweichungen in der Herstellung, die milchgebende Rasse sowie die Witterung und das Futter zu den Jahreszeiten, haben wesentlichen Einfluss darauf, welcher Käse letztendlich entsteht. Diese Tatsache macht das Liefern von konstanter Qualität zur Herausforderung, gleichzeitig aber die rund 5.000 verschiedenen Käsesorten weltweit überhaupt möglich. Eine Vielfalt, die es zu bewahren gilt – für die nächsten 7.000 Jahre.

BILD Sarah Krobath

BILD Sarah Krobath

Unpasteurisierte Fakten:

Rohmilch gemäß EU-Recht: »das unveränderte Gemelk von Nutztieren, das nicht über 40°C erhitzt und keiner Behandlung mit ähnlicher Wirkung unterzogen wurde«.

Bekannte Vertreter: Emmentaler AOC, Camembert de Normandie, Brie de Meaux, Comté, Parmigiano Reggiano DOP, Gorgonzola DOP, Roquefort

AOC-Käse (mit geschützter Herkunftsbezeichnung) müssen vorschriftsmäßig aus Rohmilch hergestellt werden.

Hartkäse gilt gegenüber Weichkäse als unbedenklicher, da der Käsebruch bei über 50°C »gebrannt« wird und die Reifungsdauer mehrere Monate beträgt.

Die mikrobische Vielfalt in Käsen wurde durch die Pasteurisierung und Zugabe von selektionierten Bakterienstämmen in den letzten Jahren stark verringert.

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