„Obstbäume sind wie Denkmäler“

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Am 11. März startet mit Birnenkuchen mit Lavendel eine sehr französische Feel-Good-Komödie in den österreichischen Kinos. Wir haben Regisseur und Autor Éric Besnard zum Interview getroffen. 

Die Begegnung zwischen Louise und Pierre ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Unfall: Pierre läuft der gestressten Louise vors Auto und wirkt unfallbedingt verwirrt. Louise nimmt ihn also kurzerhand mit nach Hause und hat sich damit, so scheint es zunächst, ein Problem ans Bein gebunden. Denn Pierre ist eigentlich nicht verwirrt, sondern ein bisschen autistisch – Asperger-Syndrom – und ziemlich anhänglich. Und Louise hat auch ohne ihn genug Probleme: Der geerbte Birnenhof ist wenig rentabel, die Bank will den Kredit zurück, der Nachbar giert nach ihrem Land und Leib, die Tochter ist pubertär und der Sohn auch nicht einfach. Doch die spezielle Sensibilität von Pierre ermöglicht Louise langsam einen Perspektivwechsel auf ihr persönliches Disaster.

Éric Besnard ist als Autor und Regisseur seit den 1990er Jahren sehr umtriebig im französischen Film und in den verschiedensten Genres von Komödie bis Thriller zu Hause. Mit Birnenkuchen mit Lavendel ist ihm nun eine sehr sinnliche Liebeskomödie gelungen. Man kann den Lavendel riechen, wenn Pierre durch üppige lila Felder geht, und den Birnenkuchen schmecken, den Louise bäckt. Der Sommer in der Provence ist der eigentliche Star in diesem Film.

Biorama: War Ihnen von Anfang an klar, dass Birnenkuchen mit Lavendel eine Liebeskomödie werden würde, oder hat sich das erst im Schreibprozess entwickelt?

Besnard: Ich wollte ursprünglich einen Film über Sinnlichkeit machen. Dazu gehört das Staunen und das Leben im Moment, das wollte ich zeigen. In der Drehbuchphase ist mir dann bewusst geworden, dass dieser Ansatz viel zu technisch ist. Darum habe ich das alles über Bord geworfen und habe mich auf das Wesentliche der Geschichte konzentriert: die Beziehung zwischen einem Mann und einer Frau. Aber der Ausgangspunkt ist natürlich immer noch zu spüren.

Ein Autist ist ja auch ein ungewöhnlicher „Love Interest“. Steht die Figur wegen ihrer speziellen Sensibilät auf eine gewisse Art für eine „reinere“, „perfektere“ Liebe?

So habe ich das noch gar nicht betrachtet. Aber was Liebesgeschichten beim Drehbuchschreiben häufig ausmacht, sind Widerstände und Hindernisse, die es zu überwinden gilt. Denken Sie nur an Romeo & Julia. Man setzt also einen Farbigen in ein rassistisches Umfeld, oder einen Homosexuellen in ein homophobes. Das Asperger-Syndrom, das ja eine mildere Form von Autismus ist, ist in diesem Fall das Hindernis für die gesellschaftlichen Konventionen.

Konnten Sie durch den Film auch autistische Eigenschaften an sich selbst entdecken?

Auf jeden Fall. Ich glaube, dass wir alle bis zu einem gewissen Grad autistische Verhaltensweisen haben, besonders wir Künstler. Glenn Gould und Wassily Kandinsky hatten zum Beispiel Asperger Syndrom. Die Figur des Pierre kann man auch als Metapher für meinen Beruf als Regisseur verstehen, jeder in diesem Geschäft lebt in gewisser Weise in einer Blase. Als Regisseur am Set muss ich zwar oft als Chef fungieren, da kommen dann die autistischen Züge nicht so zum tragen. Aber wenn ich im Schreibprozess bin, werfen mir meine Kinder oft vor, nicht anwesend zu sein, obwohl ich physisch da bin.

Wie haben Sie zum Thema Asperger-Syndrom recherchiert?

Meine Frau ist Psychoanalytikerin und hat viel mit autistischen Kindern gearbeitet. Sie hat mir auch viele Kollegen vorgestellt, denen gab ich das fertige Drehbuch, um zu überprüfen, ob das Verhalten der Hauptfigur auch authentisch ist. In der Vorbereitungsphase haben wir uns dann gemeinsam mit Hauptdarsteller Benjamin Lavernhe getroffen, um mehr darüber zu erfahren. Er hat sich außerdem viele Interviews von Menschen mit Asperger-Syndrom angesehen und gemerkt, dass es unendlich viele Möglichkeiten gibt Menschen mit Asperger-Syndrom akkurat darzustellen, da es so unterschiedliche Formen gibt. Es gibt keine klassische Verhaltensweise, sondern eine große Vielfalt.

Wenn es eine Antagonistin in Ihrem Film gibt, dann ist es eine Psychologin, die beharrlich Bedenken äußert, ob Pierre alleine zurechtkommt. Sind ihre Sorgen berechtigt?

Ich wollte das Gut-Böse Schema vermeiden. Ich wollte Menschen mit verschiedenen Meinungen und verschiedenen Subjektivitäten aufeinandertreffen lassen. Ihre Sorgen sind berechtigt, aber eines hat die Psychologin einfach nicht mitbedacht: die Liebe. Das ist nicht Teil ihrer professionellen Wahrnehmung und das merkt sie erst gegen Ende.

Es gibt interessanterweise keine Dokumentation über die Sexualität von Menschen mit Asperger-Syndrom. Den ganzen Film über gibt es keine Berührung zwischen den beiden Hauptfiguren, da Pierre das nicht will. Aber mir ist die Frage nach der Sexualität sehr wichtig. Es gibt ja Autisten, die zusammenleben und da gibt es natürlich eine Sexualität!

Wie haben sie ihren Hauptdarsteller, Benjamin Lavernhe, für diese schwierige Rolle gefunden?

Viele Schauspieler träumen ja davon so eine Rolle zu spielen, da sie eine große Herausforderung ist, auch Stars. Aber ich wollte einen unbekannten Schauspieler. Es war keine leichte Aufgabe, das gegen die Geldgeber durchzusetzen. Ich wollte einfach keinen Star, der Klamauk abliefert. Denken Sie an Rain Man – ich finde den Film sehr gut, aber man merkt, dass Dustin Hoffman am Anfang die Komödie bedient. Das wollte ich vermeiden, man würde nur den Superstar sehen und nicht die Figur. Mir war aber wichtig, dass sich während des Filmes nicht die Figur des Pierre sondern unser Blick auf Pierre ändert. Der Zuschauer soll am Ende möglicherweise sogar sagen, „Ich möchte so wie er sein“.

Ich suchte also beim Theater und habe sehr, sehr viele Schauspieler angesehen. Ich wollte aber nur die Besten, also suchte ich am französischen Nationaltheater Comédie Française. Als ich Benjamin Lavernhe dort fand, wusste ich einfach, dass er der richtige für diese Rolle ist.

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War es dann wichtig, zumindest für die weibliche Figur einen Star zu finden? Virginie Efira ist in Frankreich sehr bekannt und es wirkt beinahe, als wäre die Rolle für sie geschrieben worden …

Sehr gut, wenn es so wirkt! Aber so war es nicht. Es gibt zwei Gründe warum ich mich für Virginie Efira entschieden habe. Erstens brauchte ich in der Tat eine bekannte Schauspielerin um die Geldgeber zufriedenzustellen. Zweitens soll sich der Zuschauer mit ihrer Figur identifizieren und eine Entwicklung mit ihr mitmachen, die bei Pierre nicht stattfindet. Darum war es wichtig, jemanden zu finden, die diese Empathie spielen kann. Virginie besitzt eine sonnige Sinnlichkeit, die in diese Landschaft gehört, genau wie all die Obstbäume.

Die Landschaft der Provence spielt eine weitere Hauptrolle in Ihrem Film. Haben sie zu der Region eine persönliche Beziehung?

Ich fürchte ich muss Sie enttäuschen, ich habe gar keinen persönlichen Bezug zur Provence (lacht). Es war auch nicht von Anfang an geplant, dort zu drehen. Ich war einfach auf der Suche nach einer Gegend, in der viele Obstbäume stehen und es sollte nicht viel regnen. Daher habe ich mich dazu entschieden, südlich der Loire zu suchen. Ausschlaggebend war für mich aber schlussendlich die Buchhandlung. Als ich die gefunden habe, sagte ich zu meinen Location-Scouts, das ist unser Ausgangspunkt. Die anderen Schauplätze haben wir in der Nähe von dieser Buchhandlung gesucht. Beim Landgut hätten es auch andere Früchte hätten sein können, als Birnen. Mir waren die Obstbäume als Symbol wichtig. In einer Zeit der Umbrüche stehen sie als eine Art Denkmal da, die allem standhalten. Stellen Sie sich die Provence ohne Olivenbäume vor. Ohne sie wäre die Gegend tot und die Häuser rundherum nichts mehr wert. Die Obstbäume stehen für den Charakter eines Ortes.

In einer schönen Szene im Film werden die Obstbäume nachts mit kleinen Feuern vor Frost geschützt. Ich stelle mir Frostnächte in der Provence sehr schön vor, wenn das alle Obstbauern gleichzeitig machen …

Auf großen Plantagen stehen lange Reihen von Obstbäumen, da funktioniert das anders. Aber bei so kleinen Betrieben unter 10 Hektar wird wirklich mit Parafin geheizt und das wird so gehandhabt, wie es im Film gezeigt wird.

Regionale Landwirtschaft spielt in Ihrem Film eine große Rolle. Wollten Sie eine gesellschaftskritische Botschaft in ihrem Film unterbringen?

Ja. Ich komme ursprünglich aus der Politik und ich finde, dass neoliberale Werte alles kaputt machen. Es muss alles rationalisiert und in Geld aufgewogen werden. Alles braucht einen Wert. Das gilt sogar für die Zeit. Zeit ist Geld. Eine der Haupteigenschaften von Pierres ist es, Zeit dehnen zu können. Er hat einen anderen Umgang mit Zeit. Der französische Philosoph Michel de Montaigne hat gesagt, wovon man am meisten ausgibt, davon hat man am wenigsten. Zeit.

Möchten Sie eine lustige Anekdote vom Dreh mit uns teilen?

Der Film sollte im Mai und Juni spielen, zur Blütezeit der Obstbäume, aber aus verschiedenen, auch finanziellen Gründen, musste ich im September und Oktober drehen. Darum mussten wir einzeln künstliche Blüten auf die Bäume stecken, damit es so aussieht, als wären sie in voller Blüte. Landwirte aus der ganzen Gegend kamen vorbei und staunten, wie das möglich ist. Bis auf eine Distanz von 2 Metern merkte man einfach nicht, dass es sich um künstliche Blüten handelt.

Und noch etwas fällt mir ein! Es gibt eine Szene in der Pierre über ein Feld voller Bienenstöcke geht. Ich ließ einen Imker kommen, um zu erfahren, wie man sich in so einer Situation richtig verhält. Der Imker meinte, er hätte nur zwei Ratschläge: Tragen Sie nichts Blaues und nichts aus Wolle. Pierre trägt aber in dieser Szene einen blauen Wollanzug.

 

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