Mochovce: »Um auf Veränderungen zu reagieren, braucht es den Designer«

Das Atomkraftwerk Mochovce in der Slowakei ist nur 180 Kilometer von der österreichischen Grenze entfernt. 2019 soll ein weiterer Reaktor in Betrieb genommen werden – obwohl das Kraftwerk veraltet und laut KritikerInnen nicht ausreichend gesichert ist.

Das Atomkraftwerk in Mochovce. Credit: CC BY-SA 2.0. Bild: János Korom/Flickr.

In Mochovce wird seit 34 Jahren an einem Atomkraftwerk gebaut. 1998 und 1999 sind die ersten beiden Reaktorblöcke in Betrieb gegangen, die anderen beiden sollen dieses und nächstes Jahr aktiviert werden. Der Zustand des Kraftwerks und das Risiko, das von ihm ausgeht, werden in Österreich seit Jahren von NGOs, AktivistInnen und PolitikerInnen kritisiert. 

Österreich könnte betroffen sein

Sollte es im AKW Mochovce zu einem Unfall kommen, könnte sich das verstrahlte Material auf Österreich ausbreiten: »Bei einem schweren Unfall könnte es zu über hunderte Kilometer reichenden langzeitig unbewohnbaren Verstrahlungsbereichen kommen. Wenn die radioaktiven Partikel mit dem Wind transportiert werden und runterregnen, dann können wir sehr hohe Bodenkontaminationen haben. Ob und wie sehr wir in Österreich betroffen wären, kommt darauf an, in welche Richtung der Wind geht«, sagt Wolfgang Kromp, Risikoexperte an der BOKU Wien. 

Kritikpunkte am derzeitigen Zustand des AKW Mochovce gibt es viele. Einer davon sind die veralteten, nicht ausreichenden Sicherheitsvorkehrungen: Absicherungen gegen Abstürze größerer Flugzeuge seien beispielsweise nicht getroffen worden. KritikerInnen wie die Wiener Umweltstadträtin Ulli Sima bemängeln zudem, dass ein Containment fehlt. Das Containment ist eine bauliche Maßnahme, die im Fall eines Unfalls verhindern soll, dass radioaktives Material in die Umgebung gelangt. Das AKW Mochovce hat kein Containment, verfügt aber über ein anderes – schwächeres – »Confinement«-Sicherheitssystem. 

Zudem wird kritisiert, dass das AKW Mochovce auf einem Erdbebengebiet steht – einer Bruchzone, die sich vom Wiener Becken in den Nordosten zieht. Ein weiteres Problem ist die Kühlung des Kraftwerks: Das Kühlwasser stammt aus einem kleineren Fluss, der mit der Donau verbunden ist. Bei einem kleinen Fluss gibt es allerdings das Problem, dass Vereisungen oder Muren die Verbindung zur Donau blockieren und so die Kühlkapazitäten reduzieren könnten. 

In einer Studie wurde in verschiedenen Wetterlagen der radioaktive Niederschlag simuliert, der sich bei einem schweren Unfall des dritten Reaktors des AKW Mochovce über Europa verbreiten könnte. Hier sieht man ein mögliches Szenario, bei dem Österreich betroffen wäre. Bild: Screenshot flexRISK BOKU.

Langjährige Bauzeit und fehlende Transparenz

Begonnen hat der Bau der Reaktorblöcke 3 und 4 im Jahr 1986. In den 1990er-Jahren kam es aus finanziellen Gründen zu einem Baustopp, 2007 hat die slowakische Regierung dann gemeinsam mit dem damaligen italienischen Mehrheitseigentümer ENEL doch die Fertigstellung beschlossen. Die Bau- und Änderungsbewilligung ist 2008 von der slowakischen Atomaufsichtsbehörde ÚJD ausgestellt worden. 

Kurze Zeit später, 2009/10, ist eine – laut Kromp mangelhafte – Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) als Voraussetzung für die noch nicht erteilte Betriebsbewilligung durchgeführt worden. Diese UVP wurde als positiv abgeschlossen bewertet und der Bau und Betrieb des AKW fortgeführt. Von der Vertragsstaatenkonferenz der Aarhus-Konvention [die Aarhus-Konvention ist ein völkerrechtlicher Vertrag, der jeder Person Rechte im Umweltschutz zuschreibt – dazu gehören auch Informationsrechte, Anm.] wurde die Slowakische Republik 2011 kritisiert, weil sie keine rechtzeitige und ausreichende Öffentlichkeitsbeteiligung ermöglicht hat. Bis jetzt fehlt Transparenz in Bezug auf den Sicherheitszustand des Kraftwerks: Wichtige Daten und Dokumentationen werden nicht oder nur geschwärzt publiziert. 

Technologie in der Sowjetunion entwickelt

Die Technologie, die im AKW Mochovce angewendet wird, wurde vor 60 Jahren in der Sowjetunion entwickelt. »Wenn der Designer einer Technologie abhanden kommt, dann gehen wesentliche Aspekte verloren. Man kann diese Technologie zwar nachbauen – das Wissen wird sozusagen als Rezept verkauft – aber was fehlt, sind Informationen darüber, warum das so gemacht wird. Das ist das Entwicklungsgeheimnis der Sowjets. Das führt dazu, dass heute Veränderungen, die unter Modernisierungszwang ohne Mitwirkung der Designer unternommen werden, riskant sind«, erklärt Kromp. 

Credit: CC BY-ND 2.0. Bild: Christopher Glanzl/Global 2000/Flickr.

Reinhard Uhrig von der Umweltschutzorganisation GLOBAL 2000 kritisiert die Technologie und die Zustände auf der Baustelle des AKW. Der zeitweilige italienische Mehrheitseigentümer ENEL hat die Ausbauarbeiten geleitet und laut Uhrig dabei Fehler gemacht, die den Zustand des Kraftwerks nochmals verschlechtert haben. »Vom Design ist dieser Reaktor nicht nachrüstbar. Aufgrund der langen Bauzeit war beim Weiterbau keine Expertise mehr da. Außerdem wissen wir von Whistleblowern, dass die Italiener beim Ausbau den Reaktor kaputtgebohrt haben«, sagt er und spricht damit ein weiteres Mal die bereits erwähnten Fehler bei bisherigen Instandhaltungsmaßnahmen an. 

Politisch Druck machen 

»Mangelhaft gerüstete Kernkraftwerke wie Mochovce sind auf jeden Fall eine Bedrohung für die Nachbarländer. Völkerrechtlich ist da allerdings nicht viel zu machen: Die Nationalstaaten entscheiden selbst und die anderen haben praktisch kein Mitspracherecht. Die bestehenden Konventionen [wie die Aarhus-Konvention oder die Espoo-Konvention, Anm.] greifen nicht wirklich – viel wird da nicht bewegt«, sagt Kromp. Für die Nachbarstaaten gibt es allerdings schon Möglichkeiten, Druck auf die Slowakei zu machen. »Das Problem ist aber, dass – wie leider auch anderswo – die Lobby in der Slowakei bei der Durchsetzung ihrer Interessen meines Erachtens hohe Risiken auch für die eigene Bevölkerung in Kauf nimmt. Mittlerweile ist es ja weithin bekannt, dass Kernenergie nicht nachhaltig ist und die Allgemeinheit mit sehr hohen Kosten belastet. Nicht zuletzt gibt es für den Atommüll bisher keine Lösung«, argumentiert Kromp. 

Politischen Druck machen will auch GLOBAL 2000. Mit einer Postkartenaktion und einer Petition, die mittlerweile von mehr als 134.000 BürgerInnen unterzeichnet wurde, fordert die Organisation die Regierung dazu auf, sich für einen Baustopp der 3. und 4. Reaktorblöcke einzusetzen. »Aufgrund der Tatsache, dass das AKW Mochovce so weit weg davon ist, die Standards zu erfüllen und wegen des Chaos auf der Baustelle, bin ich überzeugt und zuversichtlich, dass wir zum ersten Mal seit Zwentendorf es schaffen können, ein bestehendes AKW in Europa nicht in Betrieb zu nehmen«, sagt Uhrig. 

Credit: CC BY-SA 2.0. Bild: IAEA Imagebank/Flickr.

Kaum Protest in der Slowakei… 

In der Slowakei wird das AKW Mochovce bisher nur von wenigen kritisch gesehen. »Protest ist in der Slowakei schwierig, man denke an den Mord an dem Journalisten Ján Kuciak im letzten Jahr. Auch mit den Whistleblowern muss man vorsichtig sein«, berichtet Uhrig. In der Politik kommen Proteste nicht richtig in Gang: »Im slowakischen Parlament gab es einen Aufstand gegen das AKW, aber die Betreiber schmeißen ihnen Sand in die Augen.« 

… dafür umso mehr aus Österreich 

In Österreich wird seit Jahren auch von politischer Seite aus Kritik geübt. Ulli Sima hat die Bundesregierung wiederholt aufgefordert, mit der slowakischen Regierung in Kontakt zu treten: »Seit 34 Jahren wird an diesem Atomkraftwerk herumgepfuscht, der Zustand ist mehr als dramatisch und daher müssen wir gemeinsam alles unternehmen, um die für Juli geplante Inbetriebnahme zu verhindern, es herrscht Alarmstufe rot«, sagt sie in einer Presseaussendung. Geht die Slowakei nicht auf die Forderungen ein, will Sima bis zur Klage gehen. 

Die österreichische Regierung hat bereits mehrmals interveniert und gefordert, dass Sicherheitsprüfungen durchgeführt und internationale Übereinkommen eingehalten werden. Am 13. März hat der Ministerrat beschlossen, dass sich die Regierung abermals dafür einsetzen wird, eine Aktivierung der beiden neuen Reaktorblöcke in diesem Zustand zu verhindern: »Wir respektieren die nationale Souveränität unserer Nachbarstaaten. Gleichzeitig sehen wir uns dazu verpflichtet, unseren Bedenken Ausdruck zu verleihen und unsere legitimen Sicherheits­inter­essen mit allem Nachdruck zu vertreten«, sagt Umweltministerin Elisabeth Köstinger im Ministerratsvortrag.

Credit: CC BY-ND 2.0. Bild: Global 2000/Flickr.

Köstinger fordert, dass die beiden Blöcke erst dann in Betrieb genommen werden dürfen, wenn »alle Unzulänglichkeiten und Mängel nachweislich behoben wurden«. Die Prüfungen und Verbesserungen müssen laut ihrer Forderung den jüngsten Forschungsergebnissen und internationalen Normen entsprechen. 

Neue Umweltverträglichkeitsprüfung

Uhrig sieht die ersten Maßnahmen der Regierung positiv: »Ich glaube, die meinen das schon ernst – aber insbesondere dann, wenn die Bevölkerung sagt: Tut was! Im Atombereich war das bisher immer so: Der Protest der Bevölkerung wurde gehört und hatte Wirkung. Da muss man dranbleiben.« 

GLOBAL 2000 fordert aber, dass Köstinger sich für eine erneute Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) einsetzt: »Was noch fehlt, ist die Forderung nach einer neuen UVP. Die, die damals gemacht wurde, wurde einseitig – ohne Österreich – abgeschlossen und basierte auf Dokumenten, die teilweise aus dem Jahr 2003 stammten. Das sind uralte Klimadaten, und auch die Sicherheitskultur hat sich geändert. Das fehlt im Minististerratsbeschluss [vom 13.03., Anm.] noch – und das muss kommen.«

Die Zahlen zur GLOBAL 2000-Petition wurden am 11.04.2019 aktualisiert.  

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