Kaufhaus Niederösterreich

Lässt sich durch Ab-Hof-Einkäufe das Bauernsterben stoppen? Von Tortendiagrammen, Kilokalorien und möglichen Learnings aus dem Lockdown.

Verkaufsstand mit Gemüse
Der Anteil der Direktvermarktung steigt – eigene Onlineshops und die Vermarktung über Plattformen ergänzt auch durch den Lockdown immer häufiger die Ab-Hof-Verkäufe. Bild: iStock.com/KenWiedemann.

Rein auf die Zahlen runtergebrochen könnte das größte Bundesland ganz Österreich ernähren; zumindest annähernd. Das belegen die Zahlen des im Spätherbst 2020 erschienenen »Grünen Bericht Niederösterreich«: Rund 5800 Milliarden Kilokalorien haben seine Bäuerinnen und Bauern 2019 erzeugt. »Bei einem mittleren Pro-Kopf-Tagesverbrauch von rund 2040 kcal hätte die niederösterreichische Agrarproduktion im Jahr 2019 für die Ernährung von 7,8 Mio. Menschen gereicht.« Bei einer bundesweiten Gesamtbevölkerung von 8,6 Millionen ist das eine beachtliche Produktivität. Kaufen können sich die bäuerlichen Betriebe von solchen Zahlenspielereien freilich wenig. Durch steigende Kosten und den laufenden Bedarf an Investitionen, um irgendwie am Weltmarkt bestehen zu können, reichen die Einnahmen auf vielen Höfen nicht aus – trotz Nebeneinkünften und Ausgleichszahlungen für erbrachte »Umweltleistungen«. 38.054 bäuerliche Betriebe gab es bei der letzten amtlichen Erhebung 2016 in Niederösterreich. 1990 waren es noch 70.011 gewesen. Auch 2020 werden es wieder weniger geworden sein.

Anonym bedeutet austauschbar

Was aber sagen uns solche Zahlen, außer dass sich durch sie der anhaltende Strukturwandel der europäischen Lebensmittelproduktion auch auf lokaler Ebene in Kurven und Tortendiagrammen nachzeichnen ließe? Die Höfe werden weniger, größer, produktiver. Nichts Neues. Wirklich spannend zu sehen wird erst sein, ob eine Entwicklung aus dem Coronajahr auch langfristig an Dynamik behält: der offensichtliche Trend zum Direkteinkauf. Bereits 2019 setzte ein Viertel aller Betriebe auf Direktvermarktung – vom Gemüsestand am Wochenmarkt über den Eierautomaten in der Hofeinfahrt bis zur Buschenschank. Aus dem alljährlichen »Grünen Bericht« des Bundesministeriums – also aus der »großen«, überregionalen Bestandsaufnahme – wissen wir, dass es Bäuerinnen und Bauern tendenziell umso besser geht, je mehr sie ihre Erzeugnisse selbst vermarkten, sprich: je besser sie es schaffen, keine anonymen, austauschbaren ProduzentInnen von Kilokalorien zu sein. Wichtige Verbündete dabei sind normalerweise Tourismus und Gastronomie. 2020 mussten diese zweimal über Nacht für länger geschlossen halten. Weshalb spontan nicht nur Tausende bäuerliche Websites um Onlineshops aktualisiert wurden, sondern plötzlich auch Plattformen breit wahrgenommen wurden, die das vielfältige Angebot an direkt Vermarktetem übersichtlich bündeln. Plattformen wie Markta oder MyProduct, Nahgenuss, »ÖGreissler« oder »Bauernladen.at« sind mittlerweile allgegenwärtig.
Was davon bleibt oder ob das Bauernsterben gleichsam als Naturgesetz weitergeht, wird wesentlich davon abhängen, ob breite Bevölkerungsschichten nach den Lockdowns wieder zu ihren weniger reflektierten Ernährungsgewohnheiten zurückkehren.

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