Kann Fischkonsum überhaupt nachhaltig sein?

 

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Martin Kainz erforscht an der Biologischen Station Lunz Nahrungsketten in Seen, Flüssen und künstlich angelegten Aquakulturen. Wie Fischzucht und Fischkonsum nachhaltiger werden können und welche Rolle dabei Kürbiskernkuchen und Karpfen spielen, erklärt er im Interview.

Die Meere sind überfischt. Aber Fisch ist gesund und wir sollen und wollen weiterhin Fisch essen. Um den Bedarf zu decken, wird bereits rund die Hälfte des weltweit konsumierten Speisefisches in Meeres- und Süßwasserzuchten, sogenannten Aquakulturen, gezüchtet. Dabei kommt wiederum Fischfutter, das aus Meeresfischen erzeugt wird, zum Einsatz. BIORAMA hat das Paradoxon nachgefragt.

BIORAMA: Herr Kainz, kann Fischkonsum – auch der von heimischen Fischen – jemals ökologisch nachhaltig sein?

Martin Kainz: Als achtsamer Konsument sollte ich wissen, welchen Fisch ich bedenkenlos essen kann. Das sind alle Friedfische. Der Karpfen, der keine anderen Fische frisst, ist mit Sicherheit der nachhaltigste Fisch, den wir in etwa in Mitteleuropa genießen können. Aquakultur von Raubfischen wie Forelle und Saibling ist zurzeit nicht nachhaltig. Ein Raubfisch muss andere Fische fressen. In Raubfischen aus Aquakultur wird daher immer ein gewisser Teil, auch wenn er minimal ist, von einem anderen Fisch drinnen sein.

Wenn Raubfische von Natur aus auf Fischnahrung angewiesen sind, welche Möglichkeiten gibt es dann überhaupt, eine Aquakultur nachhaltiger zu gestalten?

Unsere Forschung hat gezeigt, dass man dem Fischfutter noch immer viel zu viel an Fischmehl, Fischproteinen und hochwertigem Fischöl beimengt, um von den Fischen 1:1 aufgenommen werden zu können. Eine Lösung ist also, Fischfutter an sich sinnvoll zu konzipieren und nur genau soviel zu verwenden, wie der Fisch braucht. Wenn man den Anteil an Fischproteinen verringert und durch Futter aus terrestrischen Pflanzen, wie zum Beispiel Kürbiskernkuchen, ersetzt, kann ein ähnliches oder gleichwertiges Produkt herauskommen. Eine zweite Möglichkeit ist, die Schlachtkörper der in Aquakultur gezogenen Fische wiederzuvergelten.

Wie sieht die Situation in europäischen Aquakulturen derzeit aus?

In der kommerziellen Aquakultur hat sich sehr viel getan in letzter Zeit. Hat man noch vor einigen Jahren viele Kilo an Meeresfischen gebraucht, um einen Kilo atlantischen Lachs zu produzieren, kommt man heute mit weniger als einem Kilo Seefisch aus. In Süßgewässern ist das sehr ähnlich. Ist das nachhaltig? Nein, natürlich nicht. Aber es wird besser. Für die menschliche Gesundheit ist es sehr wichtig, Fisch zu essen. Aquakultur hat weltweit ein hohes Potenzial und wir können damit rechnen, in zehn Jahren einen gleich guten Fisch mit hohem Gehalt an Omega-3-Fettsäuren verzehren zu können – aber im Wissen, dass weniger Meeresfische dran glauben müssen.

Wie gelangen denn die berühmten Omega-3-Fettsäuren, die für unseren Stoffwechsel so wichtig sind, in die Fische?

Fische profitieren von der gesammelten Energie, die in Algen und in Kleintieren wie Zooplankton vorhanden ist. Algen bauen aus Sonnenenergie Zucker, Proteine und Fette auf. Verschiedene Algen stellen dabei unterschiedliche Produkte her. Für die Fische ist wichtig, an der Basis der Nahrungskette jene Algen zu haben, die diese wichtigen Fette erzeugen. Der Zustand der Gewässer diktiert die Zusammensetzung der Algen. In sauberen, nährstoffarmen Gewässern zum Beispiel finden Fische zwar weniger, aber qualitativ bessere Nahrung.

Aber neben Fettsäuren reichern sich doch auch weniger erfreuliche Substanzen wie Schwermetalle über die Nahrungskette an …

Von den Schwermetallen reichert sich im Prinzip nur Quecksilber an. Quecksilber und andere Schwermetalle sind in weiten Teilen Mitteleuropas kaum problematisch. Die Konzentrationen liegen meist um das 20-fache unter den Konzentrationen, die von der Weltgesundheitsorganisation als bedenklich gelten. Wir können also sehr beruhigt unsere Fische essen.

Welcher Fisch ist nun gesünder: Meeresfisch oder Süßwasserfisch?

Sowohl bei Salzwasser- als auch bei Süßwasserfischen enthalten Raubfische immer etwas mehr Quecksilber als Friedfische, die sich vorwiegend von Plankton ernähren.

In Bezug auf Fettsäuren gibt es keine großen Unterschiede. Süßwasserfische mögen zwar etwas weniger an Omega-3 haben, aber genug für den Menschen. Der Mensch könnte sich absolut von Forellen oder Karpfen ernähren und hätte zusätzlich die Sicherheit, dass – zumindest in Österreich – keine Schwermetalle drinnen sind.

An Friedfischen finden sich im Handel fast ausschließlich Karpfen. Andere wie Rotauge, Brachse oder Schleie sind relativ selten vertreten. Was wäre Ihrer Meinung nach notwendig, um die Aufmerksamkeit der Produzenten und Konsumenten weg von den Raubfischen hin zu diesen ebenso gesunden und obendrein nachhaltigeren Fischen zu lenken?

Sicherlich das Wissen, dass auch Friedfische reich an Omega-3 sind, wenig Schadstoffe haben und außerdem hervorragend schmecken. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen: Ich genieße Fisch umso mehr, je mehr Vielfalt an nachhaltigen Fischen auf der Zunge zergeht.

 

Pro-Kopf-Fischkonsum

In Österreich: 7,5 kg pro Kopf und Jahr, 5% davon aus heimischer Erzeugung (Quelle: www.lebensministerium.at)

In Deutschland: 15,7 kg pro Kopf und Jahr, 12% davon aus heimischer Erzeugung, etwa ein Viertel davon Süßwasserfische (Quelle: www.fischinfo.de)

In der Schweiz: 9,3 kg pro Kopf und Jahr, 5% davon aus heimischer Erzeugung (Quelle: www.wwf.ch)

In Europa: 22 kg pro Kopf und Jahr (Quelle: www.fao.org)

Weltweit: 18,8 kg pro Kopf und Jahr (Quelle: www.fao.org)

Durchschnittliche jährliche Wachstumsrate des weltweiten Fischkonsums: 3,2 % (1961-2009)

 

Biologische Station Lunz:

www.wassercluster-lunz.ac.at

 

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