Gefundenes Fressen #13: Von Bürgern und Konsumenten

Bild: honey & bunny

Hier schreiben Sonja Stummerer und Martin Hablesreiter über Essen als essentielles politisches und kulturelles Thema. Teil 13. 

Durchschnittliche EuropäerInnen konsumieren etwa 550 Kilogramm Lebensmittel pro Jahr. Salopp addiert ergibt das für die gesamte Union etwa 278.000.000 Tonnen oder auch fast dreihundert Millionen Euro. Da soll nochmal jemand sagen, Essen sei ein Rand- oder Frauenthema.

Essen ist Geld. Dreihundert Millionen Umsatz brauchen aber auch Investitionen. Und damit sind nicht nur die Errichtung von Supermärkte oder der Bau von Verpackungsmaschinen gemeint. Zum Beispiel braucht man zur Produktion von Essen fruchtbare Erde. Europa ist mit nutzbarem Boden gesegnet. Wir haben, wonach sich viele Andere verzweifelt sehnen. Dennoch versiegeln wir alltäglich 70 Fussballfelder. Bevor der Klimawandel richtig zuschlägt sorgen wir lieber für die Reduktion von Ackerland. Ein Parkplatz scheint schöner und wichtiger zu sein, als ein Weizenfeld. Abgesehen davon ist Boden in Entwicklungsländern viel, viel, viel billiger und (recht günstige) Arbeitsplätze ohne lästige Lohnnebenkosten werden großzügigerweise auch noch geschaffen. Arbeiter braucht man also auch. Gerecht entlohnte Landarbeiter mit bäuerlichem Wissen wollen wir in Europa aber auch nicht mehr haben. Die sogenannte Primärproduktion von Essen – also die Agrarwirtschaft – erledigen zum Beispiel 80.000 Illegale Arbeiter in Andalusien. Diese Menschen dürfen nicht Europa sein. Dafür arbeiten sie schwarz – also steuerfrei. Oder wir überlassen die Arbeit Erntehelfern aus Osteuropa. Die dürfen zwar im gemeinsamen Europa leben, aber sie krümmen sich auch schwarz – also steuerfrei über unsere Spargelstangen und Kürbisse. Was würde denn eigentlich ein Kilogramm Brot oder Tomaten kosten, wenn tatsächlich alle Beteiligten nach europäischen Standards entlohnt werden würden und wenn keine Subventionen flößen? Von Bodenkontaminationen, Luftverschmutzung, Klimawandel – ziemlich teure Umstände, deren Kosten ohnehin von der Allgemeinheit getragen werden, reden wir hier noch gar nicht.

Oft und gerne werden wir zu KonsumentInnen degradiert. Durch unser Kaufverhalten – so heisst es – könnten wir den Markt dazu zwingen die Welt zu verändern. Sind wir tatsächlich nur KäuferInnen? Nein! Wir sind BürgerInnen. Als solche erschufen unsere demokratischen Ahnen universelle Werte, wie Gleichheit, Freiheit und Bürgerlichkeit. Es ist unsere verdammte Pflicht, neue nachhaltige Werte – also solche die die Zukunft sicher stellen – zu kreieren und vorzuleben.


Über Gefundenes Fressen:

Jeder Bissen ist ein politischer Akt. Was wir wann wie und warum essen, kann unwürdige Arbeitbedingungen, Bodenerosion in Zentralafrika oder brennende Amazonasflächen auslösen. Die Frage des täglichen Essens hat nichts mit Diäten, Rezepten oder Gourmetkritiken zu tun sondern mit CO2 Emissionen, Fracking oder Gentechnologie. Jeder Biss ist Kultur. Jedes Schlucken ist Politik. Sonja Stummerer und Martin Hablesreiter wollen in ihrem Blog das Essen als essentielles politisches Thema in der Mitte der Gesellschaft positionieren, weil die Aufnahme der alltäglichen Kalorien nicht nur eine Frage von Genuss und Geschmack sondern auch der Lebenseinstellung und Denkweise einer Gesellschaft ist. Erst das Fressen, dann die Moral? Nein.

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