Ein Europa der Großstädte

Europa der Großstädte, Anders Sundell

Europa der Großstädte, Anders Sundell

Wie sähe Europa aus, wenn seine Landkarte nicht Staatsgrenzen zeigen würde, sondern Gebiete, die sich um Großstädte gruppieren? Ein schwedischer Politikwissenschaftler hat eine solche Karte erstellt.

Der schwedische Politikwissenschaftler Anders Sundell hat eine Europakarte gebastelt, die auf alle Staatsgrenzen Europas verzichtet, und stattdessen ein Europa der Großstädte zeigt. Dabei wird die Fläche Europas so aufgeteilt, dass sich Gebiete rund um die jeweils nächstgelegene Stadt mit mehr als einer Million Einwohnern ergeben.

Anders Sundell forscht im schwedischen Göteburg zur Qualität von Regierungs-Strukturen. Seine alternative Karte Europas hat damit allerdings nur am Rande zu tun. Erarbeitet und über seinen Twitter-Account verbreitet hat er sie in seiner Freizeit, einfach so, ohne wissenschaftlichen Anspruch. „Die Grundidee der Karte ist es, Europa einmal aus einer anderen Perspektive zu zeigen. Städte sind für Europäer schließlich wichtiger als nationale Grenzen“ erklärt Sundell seine Karte. „Ich war dabei inspiriert von Europas Vergangenheit, in der Städte auch als politische Organisationsform immer Gewicht hatten. Man denke an Mailand, Venedig, die Kaiserstädte im Heiligen Römischen Reich . Aber hauptsächlich habe ich die Karte zum Spaß gemacht. Ich mag schöne Karten.“

Im Internet sind sich viele Leute einig, dass die Karte in der Form, wie Sundell sie angelegt hat, keinen Sinn macht. Schließlich lässt sich darüber streiten, welche Stadt in Europa eine Millionenstadt ist und welche nicht. Welche Zahlen legt man zugrunde, wo endet eine Agglomeration? Darüber kann man verdammt lang diskutieren. Sundell erklärt, dass seine Daten von der Website naturalearthdata.com stammen. Überprüft hat er sie nicht – schließlich sei die Karte kein wissenschaftliches Projekt. Um den Großstädten jeweils Gebiete zuzuordnen, wählte er ein Voronoi-Diagramm. Jeder Punkt der Karte Europas wurde dabei der nächstgelegenen Menge – in diesem Fall einer Stadt – mit einem Wert von über einer Million zugeordnet. Ganz streng war Sundell dabei nicht: „Ich habe noch ein paar manuelle Anpassungen rund um Küsten gemacht. Die Bretagne in Nordfrankreich würde sonst zu London und Birmingham gehören. Das hielt ich für zu unrealistisch. Der südwestlichste Zipfel von Norwegen würde zu Amsterdam gehören, aber ich habe ihn Kopenhagen zugeordnet.“

Städte als Global Player der Politik

Und was soll die Karte bringen? Es geht Anders Sundell um eine alternative Perspektive. Diese Perspektive, die Städte ins Zentrum von politischen Strukturen rückt, wird in den letzten Jahren häufiger diskutiert. 2013 veröffentlichte Benjamin Barber sein Buch If Mayors Ruled the World. Seine These: Die aktuellen globalen Probleme (Klimawandel, Terror, Kriege, Pandemien, Organisiertes Verbrechen…) lassen sich nicht in nationalen politischen Strukturen lösen. Seine Frage: Könnten vielleicht Städte eine wichtigere Rolle bei der Lösung dieser Probleme einnehmen? Schließlich sind die meisten Metropolen viel älter und stabiler, als die nationalen Gebilde in denen sie liegen und sie gehen bei Lösung von Problemen pragmatisch vor. Seine Antwort: Ja, wahrscheinlich wäre es sinnvoll, wenn Städte die wichtigen Global Player wären.

Wer sich in der Geschichte umsieht, stellt schnell fest, dass Großstädte sehr pragmatische Gebilde sind, die politische Verwerfungen auch dann überstehen, wenn die Staaten, in denen sie liegen, untergehen. Rom steht noch. Das römische Weltreich ist läng verschwunden. Wien lag schon in zwei römischen Reichen und zeitweise in einem 12jährigen 1000jährigen Reich, war Hauptstadt des Habsburger-Reiches, war Hauptstadt einer Republik und ist es heute. Es blieb dabei immer Wien, baute Kanalisationen und Straßen, entsorgte Müll und schaffte Wohnraum.

Das Konzept Stadt, ganz allgemein, ist ein sehr langfristiges und nachhaltiges. Stabiler als viele andere Strukturen, in denen wir Politik und Demokratie organisieren. Die Karte, die Europa nach Städten aufteilt, ist keine politische Utopie, aber ein netter Anstoß darüber nachzudenken, welche Rolle Städte für uns längst spielen, und wie sich in Zukunft auch ihre politische Rolle in Europa wandeln könnte.


Mehr zu den Themen Urbanismus und Stadt gibt es bei Biorama in unsererm Blog Sinn City

2015 hat Eric Corijn in Wien einen Vortrag darüber gehalten, wie Städte helfen können, die Welt zur retten.  

 

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