Clean Berlin

In Berlin finden sich unter den biozertifizierten Restaurants ein paar echte Highlights. Interessante Meinungen und humorvolle Einzelaktionen gibt es auch darüber hinaus.

gedeckter Tisch im Restaurant
In der Bioszene in Berlin stechen einige Restaurants ganz besonders hervor. Eine geschmackvolle Vorstellung – mit Blick hinter die Kulissen. Bild: Marko Seifert.

Billy Wagner vom Nobelhart & Schmutzig ist ein streitbarer Geist. Vor ein paar Jahren ließ er Sticker anfertigen. Die Logos der bekannten Restaurantführer blieben erkennbar, den Test änderte er: Aus Gault & Millau wurde Faux Millau, Tripadvisor zu Shitadvisor und der Guide Michelin blieb zwar der Guide Michelin, bekam aber vier Sterne statt drei. Ein Affront. Viele Gastronomen fühlten sich verstanden, fanden es lustig und klebten die Sticker auf ihre Eingangstore. Die Leute vom Michelin fanden die Aktion nicht ganz so witzig und ließen ihre Anwälte ein paar Drohgebärden machen. Auf Instagram kann man Billy Wagner vom Nobelhart & Schmutzig in Berlin dabei zusehen, wie er den Sticker von der Glastür kletztelt. 10.000 Mal gesehen, jede Menge Likes, jede Menge Häme für den humorlosen Guide Michelin. Die Botschaft ist angekommen.

Verlässlich nachhaltig?

2019 ging der Clinch zwischen Billy und dem Guide Michelin in die zweite Runde. In einer versöhnlichen Geste zeichnete der renommierte Gastroguide das Nobelhart & Schmutzig mit einem neuen Symbol aus. Zusätzlich zum klassischen Stern vergab der Michelin auch eine Auszeichnung für besonders nachhaltige Restaurants. Weil bio, vegan, nachhaltig und regional Trends sind, an denen auch der – eigentlich stockkonservative – Guide Michelin nicht vorbeikommt. Also wurde der Stern grün und bekam einen kleinen Stängel verpasst – und sieht jetzt aus wie ein fünfblättriges Kleeblatt. Billy Wagner, dessen Lokal übrigens nicht biozertifiziert ist, bekam so ein Blattl aufs Aug’ gedrückt und seine Reaktion ließ nicht lange auf sich warten: Es mangelt ihm an Transparenz und nachvollziehbaren Kriterien. »Seid ihr euch sicher, dass wir im Nobelhart & Schmutzig nicht tonnenweise Müll produzieren? Wisst ihr eigentlich, ob wir nicht doch den dreckigsten, billigsten CO2-Schleuder-Stromvertrag haben? Und kann es nicht sein, dass ich Großmaul nicht einfach nur erzähle, wie toll nachhaltig wir doch sind? Habt ihr es denn nachgeprüft? Belohnt ihr uns nicht vielleicht einfach für fein grünes Marketing?«, wetterte der Gastronom in einem Video in Richtung der Tester. Billy Wagner trifft damit den Kern der Sache. In der öffentlichen Wahrnehmung verschwimmen die Begriffe. »Regional« wird im günstigen Fall mit »bio« gleichgesetzt, im ungünstigen ist es »das bessere Bio«. Der »Nachhaltigkeit« fehlt es ohnehin an einer gemeinsamen Definition (und damit auch an überprüfbaren Kriterien). Und bewertet werden die Geschichten, die GastronomInnen erzählen und nicht, was TesterInnen testen.

Dabei wäre gerade Berlin ein solides Pflaster für bio-affine Genießer. Das fängt bei den Witty’s Bio-Currywurstbuden in der Friedrichstraße und am Wittenbergplatz an und hört bei hippen Läden, wie dem Momos in der Chausseestraße oder dem Bistro Bardot in Friedrichshain auf. Und natürlich kann sich auch alles sehen lassen, was dazwischen liegt. Also Restaurants, die bei Biobauern einkaufen, ohne das an die große Glocke zu hängen. Restaurants wie das genannte Nobelhart & Schmutzig, die Weinbar Rutz oder das relativ neue Otto am Prenzlauer Berg.

Vegan und international

Richtig – also zertifiziert – bio sind das Momos, das Bistro Bardot, Wilhelm & Medne, der Vietnamese Cát Tường und das Mandelbaum in Berlin-Weißensee. Unter anderem. Aber diese Betriebe lohnt es, genauer zu betrachten. Das Momos ist ein Teigtaschenparadies und ein innovatives Biorestaurant, das auf Qualität und nachhaltige, bewusste Esskultur setzt. Die Spezialität des Hauses sind Dumplings: hausgemachte, gefüllte Teigtaschen, inspiriert von den himalayischen Momos. Bei der Zubereitung hat man die Wahl zwischen – ganz klassisch – gedämpft oder in der Pfanne gebraten. Die Momos haben dabei fetzige Namen wie green sheep (Schafkäse), champ lover (Champignons) oder Bro-Shi-To (Brokkoli, Shiitake, Tofu). Wobei Letztere echte Burner sind.
Das Bistro Bardot ist – ebenso wie das Momos – ein vegetarisch-veganes Lokal. Eigentlich hätten wir damit beginnen müssen, denn es ist ein sensationell gutes Frühstücks-Deli mit Brunch-Option. Das Bardot gehört zum beziehungsweise liegt im legendären Almodóvar-Hotel in der Boxhagener Straße. Über die Grenzen der Hood hinaus bekannt sind die veganen Frühstücksklassiker. Also das Rührei. Oder die vegane Currywurst. Die Teller im Bardot wirken üppig, sind es aber nicht.

Teigtaschen
Die Teigtaschen im Biorestaurant »Momos« sind von der Kochkultur des Himalaya inspiriert. Das Restaurant setzt auf Qualität und nachhaltige, bewusste Esskultur. Bild: Momos.

Permakulturgarten beim Italiener

Ein Lokal, an dem man keinesfalls vorbeikommt, wenn es um Berliner Bioempfehlungen geht, ist das Café Botanico in Neukölln. Und zwar deshalb, weil es einen eigenen biozertifizierten Permakulturgarten hat. Das ist einigermaßen einzigartig und war auch in Österreich eine lange Diskussion in der Biogastronomie. Immerhin macht es einen beachtlichen Unterschied, ob neben der Verarbeitung (der Küche) auch der Anbau (eigentlich Landwirtschaft) von der Kontrollstelle erfasst und überprüft wird. Im Botanico haben sie das jedenfalls gut auf die Reihe bekommen und verarbeiten die Biopflanzerl zu köstlichem Wildkräutersalat, einem sensationellen Gartenomelette, herrlich sämigem Risotto oder Pasta. Ah, ja – das Café Botanico ist eigentlich ein Italiener. Wer auf Fleisch steht – bitte den Botanico-Burger probieren. Gezupftes Lamm, Fenchelmayo und eben die Wildkräuter aus dem Permakulturgarten. Unvergleichlich.
Cát Tường ist ein vietnamesisches Restaurant in der Kastanienallee am Prenzlauer Berg. Die Location erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass hier vegetarische/vegane Küche angeboten wird, enorm. Überhaupt treten bio und vegan in Berlin wesentlich öfter im Doppelpack auf, als in anderen Städten. Bei Cát Tường wird jedenfalls klassisch vietnamesisch gewokt und dem Tofu eine breite Bühne geboten. Also viel Tofu, viel gebratenes Gemüse und Saucen wie die großartige Mango-Limetten-Sauce sorgen für gesunde Abwechslung und scharfen Gaumenkick.

Last not least zu erwähnen: Wilhelm & Medne, ein Biobistro mit ausgesprochen guten Quiches, Gratins, Suppen und Salaten sowie das Mandelbaum. Dieses Restaurant gilt als Pionier der Biogastronomie und bietet ein breites Spektrum deutscher und internationaler Gerichte. Wobei das Signature Dish des Mandelbaum eher ein Klassiker der österreichischen Wirtshausküche ist: Wiener Schnitzel vom Kalb. Allerdings leicht germanisiert. Mit Preiselbeer-Meerrettich-Dip.

Entscheidende Lieferanten

Die Bioszene in Berlin ist dynamisch, innovativ und reitet flott auf der Welle der Nachhaltigkeit und des grünen Lifestyles. Die Wahrscheinlichkeit, auch in nicht-zertifzierten Restaurants Bio- oder gar Demeter-Ware zu bekommen, ist enorm hoch. Das gilt auch – oder vor allem – für Betriebe in der Spitzengastronomie. Also für das neue Otto, für Dylan Watson-Brawns schräges Ernst oder für das eingangs genannte Nobelhart & Schmutzig. Betriebe, die ihre LieferantInnen besser kennen als die eigene Familie. Und diese LieferantInnen sind in den meisten Fällen Biobäuerinnen und Biobauern.

Restaurantbetrieb
In Berlin kann man auch in nicht-zertifizierten Restaurants Bio- oder sogar Demeter-Ware finden – das Verhältnis zwischen den Betrieben und ihren LieferantInnen, häufig BiobäuerInnen, ist gut. Bild: Marko Seifert.

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