Wieviel Staat im Teller? Die Schweiz im agrarpolitischen Doppel-Abstimmungskampf

Die linksgrüne Volksinitiative "Fair Food" wird auch von bürgerlichen Bauernvertretern unterstützt, könnte aber – wie auch die Initiative "Ernährungssouveränität" – am sogenannten Ständemehr scheitern. Ein Gastkommentar des Schweizer Agrarjournalisten Adrian Krebs.

Bild: BeeBright, istock.com

In der Schweiz tobt im Moment ein Abstimmungskampf in Sachen Ernährung. Gut, toben ist vielleicht etwas hoch gegriffen, zu routiniert sind die Eidgenossinnen und Eidgenossen in Sachen Abwicklung des endlosen Stroms von Volksbegehren, die im demokratischen Entscheidungsprozess durch eine Art politischen Fleischwolf gedreht werden und am Schluss ist dann im Gesetz meist wenig zu erkennen von der ursprünglichen Idee. Derzeit sind es Verfassungs-Referenden zu zwei Schlagworten, welche die politische Öffentlichkeit leicht auf Trab halten: «Fair-Food»! und «Ernährungssouveränität»! Beide Volksinitiativen kommen am 23. September an die Urne, nicht der beste Termin, da der Abstimmungskampf jeweils erst nach dem politischen Sommerschlaf beginnt und wenig Zeit bleibt, um die komplexen Vorhaben dem Stimmvolk zu erklären.

Food Waste und Fairness
Beginnen wir mit «Fair-Food». Lanciert wurde diese Initiative von der grünen Partei, die mit der starken Ausbreitung des Biolandbaus zur ernstzunehmenden agrarpolitischen Kraft geworden ist, auch wenn sie sich noch nicht an die Fleischtöpfe in den grossen Verbänden vorarbeiten konnte, hier dominieren nach wie vor die bürgerlichen Parteien. Die Initiative will kurz zusammengefasst fairer und nachhaltiger produzierte Lebensmittel, und zwar im In- und Ausland. Gleichzeitig will man das Thema Food Waste angehen, das in letzter Zeit vermehrt als Problem wahrgenommen wird, namentlich von der zahlreicher werdenden urbanen und sich ausgesprochen bewusst ernährenden Population.

Adrian Krebs, Agronom und Chefredaktor der Schweizer BauernZeitung (Foto: BauernZeitung)

«Fair-Food» hat gemäss erster Umfragen gute Chancen, angenommen zu werden, obwohl die Gegner, sie rekrutieren sich aus wirtschaftsnahen und bürgerlichen Kreisen, eine «Sowjetisierung» des Nahrungsmittelangebots befürchten. Staatskontrolle allenthalben und keine freie Lebensmittel-Wahl für freie Bürger. Derweil spüren die Befürworter nach diesem Rekordsommer warmen Aufwind unter den Flügeln, wer will angesichts der Dürre nicht endlich etwas unternehmen gegen den Klimawandel, zum Beispiel mit nachhaltigerem Essen?

Die Landwirtschaft ist alles andere als einig, was dem Landvolk bei der Stimmabgabe geraten werden soll. Die Dachorganisation, der Schweizer Bauernverband, enthält sich der Stimme. Zu stark haben die Grünen bei der letzten Abstimmung für die sogenannte Ernährungssicherheit vor Jahresfrist mitgeholfen, einen triumphalen Sieg zu erringen, als dass man sie jetzt desavouieren könnte; aber ein Ja wäre dann trotzdem zu heftig für die bürgerlichen Bauernvertreter, aus deren Kreis sich ein gegnerisches Komitee formiert hat, das die beiden Volksbegehren als trojanische Pferde brandmarkt.

Die Bäuerinnen und Landfrauen, vereint in einem mächtigen Verband mit 55.000 Mitgliedern, liessen sich von den zögerlichen Kollegen nicht beirren und gaben mutig die Ja-Parole heraus, was bei vielen Beobachtern nicht geringes Staunen auslöste. Keck folgte ihnen die Junglandwirte-Kommission, durchaus keine linksgrüne Gruppierung. Ja selbst der Bauernverbandspräsident Markus Ritter hat durchblicken lassen, dass er Ja stimmen wird. Eine höchst interessante Konstellation.

Auch Gewerkschaft startet Initiative
Die zweite Initiative für Ernährungssouveränität ist auf dem Mist von Uniterre gewachsen, einer bäuerlichen Gewerkschaft mit ein paar Dutzend Mitgliedern, die dank dem Abstimmungskampf das Absinken in die Bedeutungslosigkeit verhindern will, allerdings unter Inkaufnahme des finanziellen Ruins. Ihre Initiative liest sich wie ein Forderungskatalog von Via Campesina oder anderen Bewegungen im Dienst von Kleinbauern und Landarbeitern. So will man nicht nur die Gentechnologie verbieten, den Austausch von Saatgut auf allen Stufen ermöglichen und den freien Handel scharf limitieren, sondern auch die Arbeitsbedingungen aller Beteiligten in Produktion und Verarbeitung verbessern sowie die Zahl der Arbeitstätigen auf dem Lande erhöhen. Das kommt den Wirtschaftskreisen natürlich noch querer in den Hals als «Fair-Food», aber in der Landwirtschaft geniesst das Begehren durchaus Sympathien über den Initiantenkreis hinaus.

Gespannt ist man nun, ob die Kombination der beiden Abstimmungen am selben Wochenende die Chancen an der Urne erhöhen, oder ob die Souveränität die Fairness mit in den Strudel des politischen Spülprozesses reissen wird. Langjährige politische Empirie lässt prognostizieren, dass beide wohlgemeinten Initiativen bachab gehen werden. Ein Ja ist dem Volk zuweilen noch abzutrotzen, aber das sogenannte Ständemehr ist erfahrungsgemäss eine hohe Hürde für linksgrüne Initiativen. Darunter versteht man die Mehrheit der 26 (Halb-)Kantone, die ebenfalls errungen sein will, andernfalls ist die Initiative gescheitert. Ungeachtet des Resultats wird die Land- und Ernährungswirtschaft ein heiss debattiertes Thema bleiben. Am Horizont dräuen bereits zwei Volksinitiativen gegen synthetischen Pflanzenschutz, die voraussichtlich 2020 zur Abstimmung kommen. Und hier fliegen schon jetzt die Fetzen.

Ad personam: Adrian Krebs ist Chefredaktor der Schweizer BauernZeitung, Agronom, 52, parteilos. Zuvor war er unter anderem für die Schweizerische Milchzeitung, die NZZ und Bioaktuell tätig.

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