Der Kampf um die Hornkuh

Ende dieser Woche entscheidet das Schweizer Stimmvolk über die Hornkuh-Initiative. Dass es überhaupt so weit kommen konnte, ist einem «Wurzelsepp» aus dem Jura zu verdanken. Und der Untätigkeit von Politik und Verwaltung. Ein Gastkommentar von Adrian Krebs

Nur mehr ein Bruchteil aller Kühe in der Schweiz und anderswo darf Hörner tragen. Die Hornkuh-Initiative möchte das ändern. (Foto: Martin Bienerth)

Die Schweiz macht wieder einmal weltweit Schlagzeilen. Nicht etwa, weil es fundamentale Änderungen im Verhältnis zur EU oder eine Revolte zu vermelden gäbe. Nein, es ist die Frage, ob unser Vieh auch künftig teilweise behornt durch die Gegend spazieren soll, bzw. ob die Halter von unversehrten Kuh- und Ziegenköpfen künftig Geld dafür erhalten sollen.

Dass es überhaupt soweit kommen konnte, hat eine längere Geschichte. Am Ursprung steht wie so oft eine Klage. Diese richteten die (behornten) Kühe des Bergbauers Armin Capaul an ihren Eigentümer, so zumindest will es die Legende. «Bitte lass uns unsere Hörner», lautete so oder ähnlich die Message der Braunvieh-Ladies. Capaul liess sich nicht lange bitten und wendete sich in einem Schreiben an den Agrarminister. Dieser reagierte zurückhaltend. Man erhält ja täglich allerhand Post.

Der Initiant mit Horn und MitstreiterInnen bei der Lancierung des Abstimmungskampfs am 2.Oktober 2018. (Foto: Adrian Krebs)

Als die briefliche Bitte ungehört verhallt war, lancierte der «Wurzelsepp», wie er sich gerne selber betitelt, eine Petition und sammelte in relativ kurzer Zeit 18.000 Unterschriften, die er bei der Bundesverwaltung einreichte. Dieses zahnlose Instrument vermochte die politischen Mühlen auch nicht in Schwung zu bringen. Der Agrarminister hochpersönlich regte an, der Hornfreund möge doch eine Volksabstimmung anstreben, eine Anregung, die Capaul noch so gerne beherzigte, wie er mit schelmischem Blick zu erzählen pflegt.

Biorebell auf der internationalen Bühne
In Bundesbern hatte man wohl nicht mit den Energievorräten des Alt-68ers gerechnet, der seine Kühe gerne mit Deep Purple, Jimi Hendrix und anderen Rock-Ikonen beschallt. Capaul schaffte es, innert der eineinhalb-jährigen Frist, die nötigen Unterschriften zu sammeln und reichte das Volksbegehren im März 2016 ein. Beim Auszählen stellte sich hinaus, dass er das nötige Quorum von 100.000 mit knapp 120.000 Unterschriften deutlich übertroffen hatte.

Spätestens jetzt war klar, dass es dem «Biorebell», wie seine Mailadresse lautet, ernst ist mit dem Schutz der «Würde der Nutztiere». In der parlamentarischen Diskussion, die nun folgte, bot er noch einmal die Hand zu einem Kompromiss. In der Eidgenossenschaft kann man quasi auf dem kleinen Dienstweg mit Einverständnis der Initianten einen sogenannten Gegenvorschlag beschliessen, möglich ist es auch, auf diesem Weg eine Abstimmung zu umgehen. Das Parlament wollte aber ebenso wenig wissen davon, wie zuvor die Regierung.

So stimmen wir Schweizer nun am kommenden Sonntag über die «Initiative für die Würde der landwirtschaftlichen Nutztiere (Hornkuh-Initiative)» ab. Die Chancen für die Initianten sind intakt, aber nicht sehr groß. Initiativen haben es generell schwer in der Volksabstimmung. Sollte eine Mehrheit von Volk und Ständen (auch Kantone genannt) aber ja stimmen, wird die Verfassung um ein skurriles Kapitel reicher sein.

Die Initiative eines alten Wurzelsepps – so die Selbstbeschreibung von Armin Capaul – brachte die Kuhhörner in den Fokus. (Foto: Franziska Frutiger)

Die Absurdität eines Verfassungspassus, der milde Staatsgaben für behornte Rinder fordert, stört auch Capaul selber. Er erinnert gerne an die Geschichte seines Anliegens, wenn er damit konfrontiert wird. Er habe das nicht gesucht, sagt er dann jeweils, er habe nur etwas für die Kühe tun wollen.

Kampf ums Horn, Kampf ums Geld
Wie so oft geht es im Abstimmungskampf aber schwerpunktmässig ums Geld. Die Landwirtschaft ist diesbezüglich gespalten. Es gibt zwar keine spezifischen Umfragen, aber rund 80 Prozent der bäuerlichen Population dürfte das Vorhaben ablehnen, während der restliche Fünftel dem Anliegen wohl eher positiv gegenübersteht.

Der Anteil noch behornter Kühe und damit deren Halter wird je nach Quelle auf ca. 10 bis 20 Prozent geschätzt, und wem Geld winkt, der sägt normalerweise nicht am eigenen Ast. Das Problem ist, dass das Landwirtschaftsbudget kaum weiter aufgestockt wird, das heisst, das Geld für die geplanten rund 190 Franken pro Tier und Jahr müsste bei anderen Direktzahlungs-Programmen locker gemacht werden, was dort zu Kürzungen führen würde. Dies wiederum stieße natürlich bei den Betroffenen auf wenig Gegenliebe.

Auch die vom Horn ausgehenden Gefahren sind ein wichtiges Feld der politischen Auseinandersetzung. Während die einen finden, das sei ein komplett übertriebenes Phänomen, betonen die Gegner, dass jedes durch ein Horn ausgestochene Auge eines zu viel sei. Hier ist wichtig zu erwähnen, dass Enthornen nicht verboten, sondern das Stehenlassen des Horns belohnt werden soll. Das stört wiederum diejenigen, welche hornlos züchten. Sie ersparen dem Tier zwar den Schmerz, erhalten aber trotzdem kein Geld. Dieses ist nämlich gedacht für die teilweise Deckung der Kosten beim Stallbau für behornte Kühe. Da sie mehr Platz brauchen, kostet das deutlich mehr.

In der Szene schaut man dem Wahltag gebannt entgegen, nicht primär wegen dem Resultat, sondern weil der Hornspuk dann endlich vorbei ist. An sich gibt es Dutzende von schwerwiegenden Problemen, die behandelt werden müssten (wie zum Beispiel der Umgang mit den radikalen Pflanzenschutz-Initiativen, welche Pestizide ganz oder teilweise verbieten möchten). Stattdessen treibt man die Diskussion um das Horn auf die Spitze. Schade eigentlich, dass die betroffenen Kühe nicht selber bestimmen können, was ihnen lieber ist.

Ad personam: Adrian Krebs ist Chefredaktor der Schweizer BauernZeitung, Agronom, 52, parteilos. Zuvor war er unter anderem für die Schweizerische Milchzeitung, die NZZ und Bioaktuell tätig.

VERWANDTE ARTIKEL