Leichte Beute

Bild: Tomas Hulik

Bild: Tomas Hulik

Die mitteleuropäischen Bären, Luchse, Adler und Wölfe machen die Leidenschaft und den Beruf von Tomas Hulik aus. BIORAMA hat den Naturfilmer zum Gespräch über die Rückkehr des Wolfes und die Spuren, die er hinterlässt, getroffen.

BIORAMA: Das Kerngebiet jener europäischen Wölfe, die aus Westpolen in die Lausitz oder aus der Slowakei nach Ost-Österreich einwandern, sind die Karpaten. Kommt es dort seltener zu Konflikten zwischen Wölfen, Schäfern und Jägern?

Tomas Hulik: Nein, in der Slowakei werden heute noch sehr viele Wölfe geschossen. Das Problem ist, dass es weder zur Population noch zur Zahl der Abschüsse seriöse Zahlen oder Untersuchungen gibt. Nach den offiziellen Statistiken der Jäger soll es bei uns um die 2.000 Wölfe, 2.200 Bären und 1.900 Luchse geben. Das wären furchteinflößende Zahlen. Die Jäger setzen sie nur deshalb so hoch an, um eine hohe Abschussquote zu erreichen. Letztes Jahr hat das Landwirtschaftsministerium dementsprechend eine Quote von 130 Wölfen zum Abschuss freigegeben. Sie haben dann trotzdem 150 erschossen. So etwas passiert, wenn die Quote bereits am Donnerstag erfüllt ist, die Jagdsaison aber erst am Montag endet, dann möchten sie natürlich trotzdem alle noch schnell am Wochenende einen Wolf erschießen.

Wie hoch würdest du die Population in der Slowakei schätzen?

Die offiziellen Zahlen liegen irgendwo zwischen 250 und 400. Das sind die Zahlen die die Slowakei an die EU weitergibt. Es ist wie gesagt schwer zu sagen, aber die Jägerstatistik liegt weit weg. Die geht jedes Jahr exponentiell nach oben, obwohl sie jedes Jahr nur zirka gleich viele Wölfe erlegen.

Was sind deine Erfahrungen mit Schäfern? Mittlerweile ist ja auch die Schäferei in unseren Breiten oft eine ziemlich idealistische Sache, gelegentlich sogar ein alternativer Lebensentwurf mit einigem Hippie-Touch. Sind sie trotzdem mehrheitlich gegen die Rückkehr der Wölfe?

Schäfer sehen ihre Schafe oft wie Haustiere. Ich habe mit einem Schäfer gesprochen, der natürlich sehr traurig war, als sein Lieblingsschaf vom Wolf gerissen wurde. Aber dieser Schäfer hat auch gesagt, dass der Wolf ein Teil der Natur ist und dass er damit rechnen muss bzw. einfach schlauer sein muss als der Wolf. Die meisten Schäfer, denen ich begegnet bin, sind aber klar wolffeindlich eingestellt, weil die Wölfe für sie einfach nur Probleme bereiten. Viele der Schaffarmen sind immer noch sehr schlecht gesichert. Die haben zwar mittlerweile oft Hunde, aber die sind nicht auf Wölfe trainiert. Manchmal vielleicht auf Bären, aber gegenüber Wölfen wissen sie gar nicht, wie sie sich verhalten sollen. Einmal haben wir bei einer Herde gefilmt, als die Wölfe sich den Hunden näherten. Die Hunde haben sich einfach abgewendet und die Wölfe zum Fressen quasi eingeladen. So etwas verstehe ich nicht. Warum schließe ich mein Haus ab? Weil ich nicht will, dass mir jemand etwas wegnimmt!

Gibt es für die Schäfer gar keinen Grund, vor Wölfen Angst zu haben?

Für mich stellt sich die Frage nicht. Wölfe sind so scheu, dass sie eigentlich immer davon laufen, wenn sie den Menschen riechen. Ich bin sehr oft in der Wildnis und habe den Wolf nur einmal gesehen. Ich war oft sehr nahe, wir folgen jeden Winter ihren Spuren, aber zu sehen sind sie kaum. Wir haben einmal bei einem frisch erlegten Reh eine Fotofalle installiert und 45 Minuten nach uns waren die Wölfe da. Also selbst, wenn sie sehr nahe sind, siehst du sie kaum.

Bild: Tomas Hulik

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Wie schaffen es dann die Jäger jedes Jahr, in kurzer Zeit so viele zu erlegen?

Sie jagen in großen Gruppen. Wenn du weißt, wo die Wölfe sind, dann kannst du sie als Gruppe in die Enge treiben und erschießen. Manchmal frage ich mich zwar trotzdem, wie sie so viele Tiere erschießen können. Aber sie haben ja auch andere Ziele als wir. Wenn Jäger sehr hoch sitzen, können sie die Wölfe mit ihren teuren Waffen auf viele hundert Meter erlegen. Das bringt einem Filmer natürlich nichts. Wenn ein Wolf irgendwo von links nach rechts geht, ist das genau ein Bild für einen Film, aber keine Story.

Grundsätzlich betrachten sich Jäger oft als notwendiges Glied im Naturschutz, als diejenigen, die in den von der Zivilisation aus dem Gleichgewicht geratenen Wäldern wieder ein Ausgleich schaffen. Setzen sie andere Maßstäbe an, wenn es um den Wolf geht?

Mit den Jägern und dem Naturschutz ist das so eine Sache. Das größte Problem mit dem Abschüssen ist, dass die Jäger oft ganze Rudel erschießen oder auf die mächtigen Trophäen aus sind, also die Alpha-Wölfe schießen. Dann bleiben die jungen Wölfe in einem total zerstörten Sozialgefüge zurück. Diese Wölfe sind in den Rudelverhaltensweisen unsicher. Das sind dann oft auch die Wölfe, die auf Schaffarmen Probleme machen.

Dann wiederum füttern Jäger zum Beispiel das Wild im Winter und es fühlt sich für sie an, als ob sie sich wirklich um die Natur kümmern, aber meiner Meinung nach verursachen sie damit auch wieder Probleme. Denn dann kommen die Bären wiederum nicht zur Winterruhe, weil das Nahrungsangebot nie endet. Bei minus 20 Grad hatten wir dann bei einer Untersuchung vier große Bären außerhalb ihrer Quartiere.

Wie werden Wolffilme gedreht, wenn sie derart schwer vor die Linse zu bekommen sind?

Alle Filme, die du gesehen hast, wurden mit Wölfen aus Ungarn gefilmt. Das ist Naturfilmer-Know-how und ich werde es dir nicht im Detail sagen, aber es gibt einen Typen in Ungarn, der Wölfe aller Arten hat und mit denen man dann einen ganzen Film drehen kann. Die einzigen Wölfe, die man in unserer Gegend besser filmen kann, sind die in Tschernobyl. Es gibt eine Doku über diese Tiere, die heißt »Radioactive Wolves«. Das war nicht ganz so schwer, weil die keine Menschen zu Gesicht bekommen und etwas weniger ängstlich sind.

Was braucht es, damit Wölfe in Europa wieder heimisch werden können?

Es braucht einen Mentalitätswechsel der Menschen. Vor allem in den Hirnen der Jäger. Es ist keine Lösung für die Probleme der Natur, alles zu erschießen, was sich bewegt. Europa ist dicht bevölkert, aber wenn es an bestimmten Orten Probleme mit dem Wolf geben sollte, dann sollte man die erstmal wissenschaftlich angehen, anstatt alle Wölfe über den Haufen zu schießen. Die Karpaten sind das Kerngebiet des europäischen Wolfs. Von dort kommen sie über Korridore wie das Marchfeld auch nach Österreich. Zurzeit wird aber eine größere Ausbreitung von unseren Jägern von vornherein verhindert.

Bild: Tomas Hulik

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Willkommen Wolf

In der relativen Ruhe des Truppenübungsplatzes Oberlausitz wurden vor 13 Jahren zum ersten Mal seit ihrer Ausrottung wieder freilebende Wölfe in Deutschland geboren.

Der Naturschutzbund (NABU) begann früh, die Rückkehr der Wölfe zu begleiten. Seit drei Jahren geschieht das nun im Rahmen der Initiative Willkommen Wolf.

Zwischen 1945 und den späten 1990ern versuchten Wölfe immer wieder, in Deutschland sesshaft zu werden. Sie alle fielen Abschüssen oder dem Verkehr zum Opfer. Willkommen Wolf begann daher mit Sendehalsbändern, Fotofallen und Spurensuchern die Möglichkeiten eines Zusammenlebens von Mensch und Wolf systematisch zu erforschen. Bald stellte sich heraus, dass der Wolf durch seine Anpassungsfähigkeit sehr gut in Nachbarschaft zum Menschen leben kann, so fern ihm geeignete Rückzugsräume zur Verfügung stehen. Willkommen Wolf setzte sich daher von Beginn an für Wildtiermanagementpläne in den einzelnen Bundesländern ein und begann zeitgleich mit einer breiten Öffentlichkeitsarbeit.

In den Schweizer Alpen konnte sich der Wolf in den letzten Jahren deutlich schlechter als in den italienischen oder französischen Alpen festsetzen. Sein Vorkommen wird derzeit auf nicht viel mehr als 20 Einzelgänger geschätzt. Erst 2012 scheiterte die Schweiz in Straßburg mit dem Versuch, die Berner Konvention zum Schutz der Wölfe zu lockern. Die Boulevardzeitung Blick berichtet regelmäßig von Wölfen, die Walliser Dörfer terrorisieren. Zahlreiche Initiativen durch WWF, Pro Natura, CHWolf oder die Gruppe Wolf Schweiz konnten diese Widerstände bislang nicht überwinden.

In Österreich gibt es heute ebenfalls einige Initiativen, die sich mit dem Wolf beschäftigen. Von einem Weg zum einheitlichen Management, wie ihn Willkommen Wolf eingeschlagen hat, ist man aber noch weit entfernt. Das Wolf Science Center (WSC) im niederösterreichischen Ernstbrunn erforscht Gemeinsamkeiten zwischen domestizierten Wölfen und Hunden. Die Rolle des deutschen NABU als Naturschutzorganisation beim Erarbeiten von Leitfäden zum Wolfmanagement übernimmt in Österreich hauptsächlich der WWF. Seit 1997 geschieht das in der länderübergreifenden Koordinierungsstelle für den Braunbären, Luchs und Wolf (KOST). Außer dem WWF sind in diesem Gremium Vertreter des Umweltministeriums, der Landwirtschaftskammer, der Jagdrechts- und Naturschutzabteilungen der Länder, der Zentralstelle der Landesjagdverbände, der Land- und Forstbetriebe Österreich, sowie die Bärenanwälte bzw. Wolfsbeauftragten der Länder beteiligt. Dass es noch kein wirklich einheitliches Management gibt, liegt wohl auch daran, dass weder Bär noch Wolf bislang wirklich Fuß in Österreich gefasst haben. Sobald sich die ersten Rudel dauerhaft in Revieren einleben, wird sich herausstellen, ob die Interessenkonflikte überwiegen oder ob sich auch in Österreich Initiativen wie Willkommen Wolf organisieren und sich den Rückkehren annehmen, um sie vor ihrem eigenen Mythos in Schutz zu nehmen.

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