Passen Landleben und Elektromobilität zusammen?

Viele Menschen halten Elektroautos und das Leben auf dem Land für unvereinbar. Doch immer mehr Leute entdecken, dass das nicht stimmt.

Wenn die MitarbeiterInnen der Firma Berl EDV in Neunkirchen zu Kundendienst-Terminen aufbrechen, dann sind die ersten Autos, die vom Firmenparkplatz rollen, besonders leise unterwegs. Denn in der Gunst der MitarbeiterInnen stehen die Elektroautos im Fuhrpark ganz oben. »Die E-Autos sind als erstes außer Haus«, erzählt Geschäftsführer Walter Berl. Schon vor sechs Jahren hat der Unternehmer begonnen, in seinem Betrieb Elektroautos einzusetzen. Zwei VW E-Ups und ein Kia E-Soul werden aktuell eingesetzt. Und dafür kann der mittelständische EDV-Dienstleister eine ganze Reihe von Gründen aufzählen. Da sind die Nachhaltigkeit und der Umweltschutz. Denn zum Laden der Elektroflotte wird Strom aus der eigenen Photovoltaikanlage verwendet. Die Betriebskosten seien niedrig, auch wegen direkter und indirekter Förderungen. Schließlich seien E-Autos KFZ- und Vorsteuer-abzugsberechtigt. Privat genutzte E-Dienstautos gelten auch nicht als einkommenssteuerpflichtiger Sachbezug. Zudem spart sich die Firma Berl in Neunkirchen die Parkgebühren. Denn davon sind E-Autos hier wie in vielen anderen Gemeinden befreit. Und hat sich die Autonutzung im Betrieb mit der Anschaffung der Elektroautos verändert? »Nein, nicht wesentlich. Es muss lediglich nachgedacht werden, welches Auto mit welcher Reichweite jeweils benötigt wird.«

Bei den MitarbeiterInnen im mittelständischen Betrieb von Walter Berl sind die Elektroautos die beliebtesten Dienstafahrzeuge. (Foto: Berl EDV)

Immer mehr Menschen entdecken die Elektromobilität für sich oder ihr Unternehmen. Im ersten Quartal 2019 wurden laut Bundesverband Elektromobilität Österreich (BEO) österreichweit 2.542 E-Autos zugelassen. Im Vorjahreszeitraum waren es nur 1.599. Im ersten Quartal 2017 1.226. Insgesamt umfasst der E-Auto-Bestand in Österreich inzwischen nach BEO-Angaben 23.241 Fahrzeuge. »Mein persönliches Gefühl ist, dass das Thema langsam ankommt, in einer gewissen Bevölkerungsschicht. Viele Menschen informieren sich, aber schieben ihre Entscheidungen noch auf. Grundsätzlich ist Elektromobilität interessant, aber ich warte die Entwicklung noch ab, sagen sie mir in Gesprächen«, erklärt Christian Wagner. Er arbeitet als Manager der Klima- und Energiemodellregion Schwarzatal, einem Verbund von 13 Gemeinden im südlichen Niederösterreich, die an einem von Klima- und Energiefonds geförderten Programm teilnehmen. Es geht darum, in den Gemeinden gemeinsam Strategien zur CO2-Reduktion umzusetzen. Im Schwarzatal setzt man dabei stark auf Elektromobilität. »Es wird ja in den Medien ständig kommuniziert, welche Autos im nächsten Jahr erscheinen werden und wie hoch deren Akkukapazität sein wird. Das scheint viele Menschen, die durchaus interessiert sind, dazu zu veranlassen, ihre Kaufentscheidung zu vertagen.« Auch der Unternehmer Walter Berl kennt dieses Argument. Und er hat eine Haltung dazu: »Nur wenn E-Autos gekauft werden, wird weiter entwickelt – auch Zwischenlösungen müssen gekauft werden.«

Hat das Zeitalter der Elektromobilität einfach noch nicht so recht begonnen? »Ja und Nein«, meint Christian Wagner, der im Schwarzatal regelmäßig E-Auto-Tests veranstaltet, bei denen Interessierte die Gelegenheit erhalten, aktuelle Elektromodelle verschiedener HerstellerInnen auszuprobieren. Neben denen, die Elektroautos zwar offen gegenüberstehen, aber lieber noch abwarten, trifft Wagner auch auf eine andere Gruppe: »Es gibt sehr viele Menschen, die Elektromobilität allgemein für unpraktisch halten. Die sagen: Ich kann es mir nicht vorstellen, mit einem Auto nur 150 Kilometer weit fahren zu können, um dann zwei Stunden lang zu tanken. Das ist für viele Menschen reiner Horror.« Allerdings ist das für Wagner ein Argument, das bei genauerer Betrachtung des Mobilitätsverhaltens oft kaum standhalte: »Wenn man die Leute dann fragt, wie oft sie denn überhaupt 150 Kilometer weit fahren, stellt man fest, dass es gar nicht wirklich um die Alltagstauglichkeit geht, sondern um eine Grundsatzfrage. Denn weitere Strecken werden mit den meisten Autos nur sehr selten zurückgelegt.«

Für Menschen, die auf dem Land leben, ist das Auto häufig ein unverzichtbares Verkehrsmittel. Ganz einfach, weil öffentliche Verkehrsmittel nur selten fahren und das Streckennetz dünner ausgebaut ist als im urbanen Raum und rund um Großstädte. Elektroautos werden dennoch von vielen Menschen als städtisches Verkehrsmittel wahrgenommen, schildert Christian Wagner: »Ein Statement höre ich in Diskussionen mit Menschen auf dem Land immer wieder. Die sagen: Wenn ich in der Stadt leben würde, dann hätte ich ein E-Auto, weil dort hätte ich ja nur kurze Wege und würde ständig im Stau stehen.« Doch auch dieses Argument hält Wagner für nicht sehr belastbar. »Die meisten Stadtmenschen wohnen in Mehrfamilienhäusern ohne Garage und Auflademöglichkeit. Die Einfamilienhäuser am Land sind eigentlich besser für die Nutzung von E-Autos geeignet. Ein Einfamilienhaus mit einer Photovoltaik-Anlage am Dach ist für den Betrieb eines E-Autos aktuell im Prinzip das Optimum. Schließlich stehen die meisten Autos zumindest über Nacht in der Garage oder vor der eigenen Haustür. Diese Zeit kann man ideal zum Laden nutzen.« Gleichzeitig würden die Leute im ländlichen Raum viel häufiger kurze Strecken im Auto zurücklegen als StadtbewohnerInnen. »Die Fahrten zur Arbeit, zur Schule, zum Einkaufen, zum Arzt, zum Sport sind am Land selten weiter als 20 Kilometer. Das macht die Nutzung eines E-Autos am Land sehr viel praktikabler als in der Stadt.«

Martin Heller, der ein Ingenieurbüro für Elektrotechnik in Kirchschlag betreibt und als Energieberater tätig ist, ist einer, der von den Vorzügen der Elektromobilität auf dem Land längst überzeugt ist. Für ihn war die Entscheidung für ein Elektroauto eine klare Angelegenheit: »Von 100 Prozent Energie, die man im Tank hat, bringt der Verbrenner nur 16-20 Prozent auf die Straße. Der Rest ist Abwärme. Das E-Auto liegt zumindest bei 60 Prozent, eher mehr. Und: Den Treibstoff kann man erneuerbar erzeugen – das geht beim Verbrenner nicht wirklich.« Außerdem überzeugte ihn neben der nachhaltigen Energieausbeute das angenehme und ruhige Fahrverhalten seines Hyundai Ioniqs. Am Nutzungsverhalten habe sich mit dem Umstieg vom Verbrenner aufs Elektroauto bei ihm nichts geändert. Mit dem E-Auto erledige er »das volle Programm, von kurzen Einkaufsfahrten bis zu Urlaubsfahrten. Es gibt nur sehr wenige Fälle, in denen wir auf den auch noch vorhandenen Verbrenner zurückgreifen. Eigentlich möchte von uns niemand gerne mit dem Verbrenner fahren – der bleibt stehen, außer es geht nicht anders.«

Natürlich gibt es bei der Elektromobilität auf dem Land auch noch den einen oder anderen Aspekt mit Verbesserungspotenzial. Da wäre zum Beispiel die schlechte Kennzeichnung von Ladestationen. »Oft scheitern E-Autofahrer ganz einfach daran, dass sie die Ladestationen nicht finden. Es gibt zwar im Internet E-Tankstellenfinder. Das heißt aber noch lange nicht, dass man die Ladestation vor Ort dann auch wirklich findet. Oft sind die Stationen schlecht beschildert, was dazu führt, dass Einheimische, die keinen Parkplatz finden, plötzlich bei der E-Ladestation parken. Nichts ist ärgerlicher, als mit leerem Akku eine Ladestation zu finden, die von einem Benziner oder Diesel blockiert wird«, berichtet Christian Wagner. Außerdem sei die Preisgestaltung der Ladestationen oft intransparent. Letztlich gehe es beim Für und Wider der Elektromobilität allerdings gar nicht um solide Argumente, ist der Eindruck, den Christian Wagner während der vergangenen Jahre, in denen er sich intensiv mit dem Thema beschäftigt, gewonnen hat. »Es ist eine Art Glaubenskrieg, der hier tobt«, sagt er. »Aber es gibt natürlich auch jene, die sich die Kosten eines Elektroautos beinhart durchrechnen und ihre Entscheidung ganz betriebswirtschaftlich fällen. Grundsätzlich macht es Sinn, sein eigenes Mobilitätsverhalten genau zu analysieren. Viele Menschen fahren mit dem Auto täglich zur Arbeit und retour. Ab einer gewissen Jahres-Kilometerleistung macht ein Elektroauto dabei Sinn. Bleibt man unterhalb einer bestimmten Jahres-Kilometerleistung, bleibt es ökonomisch unrentabel, weil sich die hohen Anschaffungskosten dann nicht amortisieren.« Hat man das individuelle Mobilitätsverhalten erst einmal realistisch eingeschätzt, lässt sich eine pragmatische Entscheidung treffen. Für EDV-Unternehmer Walter Berl aus Neunkirchen gibt es allerdings auch einen ganz emotionalen Grund, das Leben und Arbeiten auf dem Land und Elektromobilität zu kombinieren: »Weil E-Mobil- Fahren einfach geil ist.«

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