Licht ins Dunkel der Nachhaltigkeit

Roskilde Festival (c) Michael Flarup


Wie lässt sich ein Festival ökologischer, sozialer, sprich: besser gestalten? Das Wiener Soundframe Festival möchte nachhaltiger werden. Für den Festivalkatalog hat Biorama-Herausgeber Thomas Weber sich einige Fragen gestellt, wie das konkret gelingen kann.

Gibt es das überhaupt, ein nachhaltiges Festival? Oder verbittet sich Clubkultur nicht gewissermaßen per definitionem jeden Gedanken ans Morgen? Ist sie nicht viel eher eine wunderbare Kultur der Verschwendung, des Exzesses, Hedonismus purster Ausprägung? Der Fundi sagt: Sound:frame kann unmöglich nachhaltig sein. Allein der Versuch, ein Festival für visuelle Grenzerfahrung nachhaltig zu gestalten, ist ein absurdes Unterfangen und seltsam inkonsequent. Licht aus. Strom sparen. Bleiben lassen. Aus. Der Realo sagt: Dieser Standpunkt ist reaktionär. Klar kann ein Festival für visuelle Kultur nachhaltig sein. Muss es sogar! Und da geht es um weit mehr als nur um Ökostrom und Energieeffizienz.

Als Realo hat mich das Thema das erste Mal 2006 beschäftigt. Der Impuls darüber nachzudenken kam von ganz oben: Das offizielle Österreich hatte damals den EU-Ratsvorsitz über und aus diesem Anlass – ganz auf repräsentativ – zum Kongress „Greening Events“ in die Hofburg geladen. Mittlerweile ist viel passiert. Festivals sind verschwunden, andere größer geworden. Es gibt noch immer von allem zu viel. Doch selbst auf sonst nicht besonders nachhaltig ausgerichteten Rockfestivals wie dem Frequency funktioniert das Dosenpfandsystem für ein paar Tage dermaßen reibungslos, dass allein das ein guter Grund wäre, wieder einmal bundesweit über ein flächendeckendes Dosenpfand zu diskutieren.

Gleich geblieben ist: Ein Event zu „greenen“ – also es nachhaltig oder wenigstens nachhaltiger zu gestalten – ist immer noch ein grundlegend anderer Anspruch als ein Nachhaltigkeitsevent aufzusetzen, das sich gewissermaßen Selbstzweck genug ist. Und: Abgesehen vom Bewusstsein ist vor allem der realpolitische Rahmen von Bedeutung. Womit nicht zwingend Gesetze, sondern vor allem Angebote und Anreizsysteme gemeint sind. Ein gutes Beispiel, das zuletzt auch 2011 von der Stadt Hamburg im Rahmen ihrer „Green Capital“-Initiative europaweit als Best-practice-Beispiel gebracht wurde: das 2005 in Wien eingeführte Mietbechersystem. Denn auch kompostierbare Einwegbecher aus nachwachsenden Rohstoffen sind mehreren Studien zufolge nicht wesentlich besser als klassische Kunststoffeinwegbecher. Seit 2005 bietet die in Wien für Umweltschutz und Abfallwirtschaft zuständige MA48 allen Veranstaltern der Stadt günstige Pfandbecher aus Hartplastik an. Jeder einzelne dieser Becher kommt bis zu 150 Mal zum Einsatz und hilf etwa auf dem Donauinselfest, am Life Ball oder auch beim Sound:frame Festival Müll zu vermeiden. Mittlerweile gibt es die anfangs optisch eher wenig ansprechenden Becher sogar in mehreren Designs. Öko ist eben schick geworden.

In mehrfacher Hinsicht: Nicht immer sind die Grenzen zwischen ernst gemeintem Engagement und fadenscheinigem „Greenwashing” eindeutig. Der Fundi sagt: Ein Skandal. Greenwashing gehört verboten, die Hintermänner gehören boykottiert, abgestraft und an den Pranger. Den Realo reißt es hin und her: Hat der Fundi Recht? Oder ist es nicht vielleicht doch so, dass auch ein bisschen besser besser ist als nix? Und wenigstens ein Anfang? Wirklich abnehmen tun den meisten Konzernen ihre Sustainability-Programme ja ohnehin nur besonders Gutgläubige. Und von außen fällt es oft schwer, zu beurteilen, ob eine Aktion billiges Greenwashing ist oder vielleicht doch der erste zaghafte Versuch eines einzelnen Überzeugungstäters, der hofft, interne Skeptiker vom Sinn eines weitergehenden Engagements zu überzeugen. Die Grenzen sind fließend.

Genug des Hin und Her: Wie kann ein Festival wie Sound:frame nachhaltiger werden? Diese Frage gehört strukturell beantwortet und bei der Suche nach kurz-, mittel- und langfristigen Antworten darf sich die Festivalcrew nicht davor fürchten, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Über entsprechendes Know-how und Referenzen verfügt etwa das Österreichische Ökologie-Institut oder der Öko Business Plan Wien. Denn eine sinnvolle Annäherung ans Thema Nachhaltigkeit bedeutet natürlich auf die besonderen Bedürfnisse eines kleinen feinen Club-Festivals einzugehen. Ein solches hat es gewissermaßen von Natur aus leichter als eines der Riesen-Rockspektakel in der Pampa, bei denen die Bühnen bislang meist mit Dieselaggregaten betrieben werden, das Gros der Besucher mit dem Auto anreist und für die eine eigene Infrastruktur (Abwässer, Müll, Energie, Verkehr, IT etc) aus dem Boden gestampft werden muss.

Verglichen mit der durchschnittlichen Rock-am-Acker-Zusammenrottung hat Sound:frame also einen klaren Startvorteil in Sachen Nachhaltigkeit. Allein schon weil es sich in bestehende Infrastruktur einmietet und – gerade in Wien – bei Themen wie Energie, Müll oder Öffentlicher Verkehr nicht bei Null begonnen werden muss.

Dennoch, was könnten kleine Schritte sein, die nicht nur der Bewusstseinsbildung beim Team, den Besuchern, Sponsoren und Förderern beitragen, sondern konkrete und messbare Ergebnisse bringen. Sinnvolle Fragen, von denen wohl nicht alle befriedigend beantwortet werden können.

  • Verkehr

Lässt es sich honorieren, wenn Besucher zu Fuß, mit dem Rad oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln anreisen – in dem sie vielleicht von vergünstigten Eintrittspreisen profitieren? Können internationale Künstler motiviert werden, statt mit dem Flugzeug, vielleicht doch mit der Bahn anzureisen?

  • Energie

Wie lässt sich Energie sparen? Stichwort: Effizienz. Hat man als temporärer Mieter einer Location mit bestehenden Lieferantenverträgen die Möglichkeit, auch temporär auf streng zertifizierten Ökostrom umzusteigen? Kann vielleicht gar die Location überzeugt werden, künftig Ökostrom zu beziehen? Gerade in der Übergangszeit: Bei Heizpilzen wird nicht zufällig immer wieder über ein generelles Verbot nachgedacht.

  •  Abfall-Management

Nicht in allen Locations wird Müll auch wirklich getrennt gesammelt: Wie lässt sich das generelle Abfall-Management der Location gerade im Hinblick auf das Festival verbessern? Mehrwegbecher sind ohnehin bereits im Einsatz: Lassen sich Dosen ganz vermeiden oder lässt sich ein temporäres Dosenpfand einführen? Damit helfen die Besucher selbst beim Mülltrennen.

  •  Gastronomie und Catering

Nur in wenigen Locations ist die Gastronomie verhandelbar. Nichtsdestotrotz kann hier viel bewegt werden: Einwegglasflaschen sind beliebt aber aus ökologischer Sicht der Worse Case. Wie lässt sich Schankbier (möglichst Bio) im Mehrwegbecher promoten? Wie und wo lassen sich Wasserspender aufstellen, um Besuchern kostenlos Wasser anzubieten? Beim Essen lässt sich das auf Großfestivals bewährte Prinzip „Packs ins Brot“ auch auf kleine Veranstaltungen umlegen: Werden z.B. Würstel in ein Weckerl gepackt, spart das Einwegbesteck und Pappteller. Generell gilt beim Gastro-Angebot wie beim Catering für Crew und Künstler: auf Bio-Qualität, saisonale Produkte, Regionalität und Fair-Trade-Ware achten – am besten alles auf einmal.

  • Unterkunft

Wo sind Künstler und Mitwirkende untergebracht? Wird bei der Unterbringung mit einberechnet, dass beispielsweise das Boutique Hotel Stadthalle (Null-Energie-Betrieb) einen Rabatt von 10 Prozent gewährt, wenn seine Gäste mit der Bahn oder dem Rad anreisen? Lassen sich Distanzen zwischen Unterkunft und Wirkungsstätte mit Öffis oder zu Fuß bewältigen?

  •  Sponsoring

Nicht nur die Crew und die Besucher, sondern auch Förderer und auch Sponsoren sollen für das Thema Nachhaltigkeit begeistert werden. Auch ein Sponsor kann vom nachhaltigen Image einer Veranstaltung profitieren. Wichtig: Dabei darf keineswegs Greenwashing unterstützt werden. Außerdem darf sich eine Veranstaltung, die sich ernsthaft um Nachhaltigkeit bemüht, mit keinen Sponsoren einlassen, deren Produkte dem Prinzip Nachhaltigkeit widersprechen. Fundi-Standpunkte sind aber wohl auch hier unangebracht. Es gilt den Einzelfall abzuwägen. Kann das Festival zum Musterbeispiel und Vorreiter werden? Nachhaltigkeit ist schick und als solches ein Wettbewerbsvorteil. Es ist nicht unmoralisch, diesen auch bewusst einzusetzen – sofort die Anliegen aufrichtig und die Aktivitäten keine Augenauswischerei sind. Ein gutes Image hilft einer Veranstaltung bei allen drei Adressaten: beim Publikum, bei Fördergebern, bei Sponsoren.

  •  Soziales

Wie kann ich ein Festival, das sich aus einem subkulturellen, leidenschaftsvollen Selbstverständnis speist, auch sozial auf nachhaltige Strukturen setzen? Bis wohin ist Selbstausbeutung als Investition zulässig? Es kann auch nachhaltig sein, eine Sache einfach nur sein zu lassen. Wie lassen sich Beschäftigungsverhältnisse für alle Beteiligten verträglich gestalten? Wo ist Flexibilität mehr Vorwand als Credo und verstärkt vielmehr prekäre Verhältnisse? Wie gehe ich mit der real existierenden Praxis Schwarzarbeit bzw. Schwarzgeld um, von denen nicht wenige DJs, VJs und Gastronomen leben?

  • Kommunikation

Braucht wirklich jeder Programmpunkt eigene Flyer und Plakate? Flyer, Plakate und Drucksorten lassen sich längst zu vernünftigen Preisen auf öko-zertifiziertem Papier drucken. FSC-Papiere sind eine Mindestanforderung für nachhaltige Events. Seit kurzem gibt es im Umland von Wien sogar eine Öko-Onlinedruckerei: www.fairprint-shop.at. Welche Medienpartner passen und welche machen bloß beliebig?

  •  Programm-Inhalte

Lässt sich das Thema Nachhaltigkeit auch in einzelnen Programmpunkten und Schwerpunkten ins Festival integrieren? Gibt es Clubkultur-Ikonen, die mit dem Thema verbunden werden, und welche mithelfen können, der Sache zu dienen? Wie lässt sich Nachhaltigkeit griffig in Abläufe und Teilbereiche des Festivals integrieren? – Zum Beispiel: eine Kooperation mit der Open-Source-Kamagne www.eingutertag.org

 

Fragen über Fragen also, die zu beantworten nicht immer einfach und eindeutig sein wird. Sind wir uns ehrlich: Nachhaltigkeit braucht vor allem eines – ernst gemeinte Annäherungsversuche.

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