Moschusochsen-Safari für Anfänger

Bild: Eyjólfur Photography

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Der Jagdtrieb des gemeinen Wanderers wird oft enttäuscht. Doch Moschusochsen im Dovrefjell-Gebirge in Norwegen sind eine leichte Beute für schaulustige Naturliebhaber.

Viele Reisende kennen das Gefühl verpasster Gelegenheiten, die sich nur einmal im Leben bieten. Man ist weder professioneller Spurensucher, noch gewillt, sich tagelang auf die Lauer zu legen, doch möchte man dennoch etwas Großes zu Gesicht bekommen. Dieses Mal – in Dombås nahe dem Dovrefjell-Gebirge in Norwegen – wollte ich endlich erfolgreich sein.

Die Moschusochsen-Safari lockt mit der 100%igen Wahrscheinlichkeit, die seltenen Urtiere im Dovrefjell zu sichten! Die Bezeichnung Safari ist gleich zuwider, weil sie an Kolonialismus-Tourismus und Pauschalurlaub erinnert. Doch ich habe zu großen Respekt, mich allein auf Entdeckungstour nach den Tieren zu begeben. Man liest hier immer wieder von Touristen, die ihnen zu nahe kamen und schwer verletzt wurden.

Bild: Eyjólfur Photography

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Eine Landschaft wie ein Wimmelbild

Die Tour startet morgens um halb Neun. Ich rechne mit dem Schlimmsten – z.B. einem riesigen roten Reisebus mit deutscher Urlaubswerbung drauf. Ein alter, verrosteter Toyota rattert auf den Parkplatz. Ein älterer, hagerer Mann in alten Jeans steigt gehetzt aus dem Auto – unser Guide, Terje. Er bittet die angereisten Teilnehmer, ihm hinterher zu fahren; sein Auto sei leider zu klein. Ich bin die einzige ohne Auto und freue mich, mit ihm zu fahren. Ertappt fragt er mich: „Ich hoffe, du hast keine Hundehaar-Allergie … und dreckigen Autos“. „Nein“, ich meine es so und freue mich jetzt schon riesig auf die Safari. Er wirkt zerstreut, doch ursympathisch. Sein helles, faltiges Gesicht hat eine frische und jugendliche Ausstrahlung. Wir fahren los Richtung Nordosten an den Rand des Dovrefjell-Gebirges. Auf der halbstündigen Fahrt kann ich Terje etwas kennen lernen. Er ist Biologe, war einmal Lehrer, Musiker, Dirigent und Leutnant beim Militär. Er beschäftigt sich seit nun 30 Jahren mit den Moschusochsen. Er „besucht“ sie jeden Tag, sagt er, sie seien sein Leben. Er wohne in einem Motel.

Wir fahren langsam die einsam-verschlungenen Straßen entlang. Das Auto läuft heiß. Ich starre angespannt geradeaus, während wir immer wieder auf die Gegenfahrbahn geraten, weil Terje nach Elchen Ausschau hält. Mit der Tierbeobachtung in der norwegischen Landschaft sei es wie mit einem Wimmelbild, sagt er. Die Tiere seien zwar riesig, doch so gut getarnt, dass man ihnen auf wenige Meter zu nahe kommen könnte, ohne es zu bemerken. Wir halten an. Terje sucht mit riesigen Ferngläsern die Berge nach den Tieren ab entdeckt ganz in der Nähe der Hütte Kongsvold eine Gruppe der Tiere. Für mich sehen sie von hier aus wie große Steine.

Guide Terje auf der Suche nach Moschusochsen. Bild: Luise Wolf

Guide Terje auf der Suche nach Moschusochsen. Bild: Luise Wolf

Moschusochsen – liebenswürdige Vegetarier

An der Hütte angekommen, nehmen wir den so genannten „Schwitzpfad“ ins Gebirge. Während des Aufstiegs erzählt Terje von den Moschusochsen. Die bis zu 400-Kilogramm-mächtigen Tiere sind heute noch in Grönland, Kanada, Alaska und Sibirien verbreitet. Es gibt nur wenige Tausend von ihnen. In Norwegen wurden sie erfolgreich wieder angesiedelt und zählen heute circa 320 Tiere – die einzige gesunde Population in Europa. Obgleich die Ziegen-ähnlichen Kolosse manchem schon gefährlich wurden, beschreibt Terje sie sehr empathisch als „große, gemütliche und liebenswürdige Vegetarier, doch sie hassen Überraschungen.“ Sie hören sehr gut, doch könnten schlecht sehen und würden leicht panisch. Passanten, die den Tieren unverhofft oder zu schnell zu Nahe kämen, können die Tiere leicht reizen. Wirkliche Angst hätten sie vor nur einer Sache – Flugzeugen. Im Jahr 1978 ist während eines Militärübungsmanövers hier im Dovrefjell eine Herde bis nach Schweden geflüchtet. Sie lebt dort immer noch, doch wird stetig kleiner. Moschusochsen-Kühe haben nur ein Junges alle zwei Jahre.

Terje meint, Moschusochsen seien die rationalsten Tiere, die es gibt und wahre Energiesparer. Sie leben hier in einer unwirtlichen, kargen Landschaft mit wenig Grün, das sie zum Fressen brauchen. Im Winter verlieren sie fast die Hälfte ihres Gewichts, dann fressen sie nicht. Ihr Verhalten ähnele einer Art Soap-Opera. Sie schließen sich zu kleinen Herden, Familien, mit einem Bullen zusammen. Im Kampf um eine Herde nehmen zwei Bullen großen Abstand und prallen frontal gegeneinander. „Survival of the fattest“, wie Terje es nennt. Die alten Bullen streifen allein über die kalten Weiten des Hochlandes. Nach dem, was ich über Terjes Leben erfahren habe und demnach, wie er über die Tiere spricht, glaube ich, dass er sich mit ihnen wie mit guten, alten Freunden identifiziert.

Bild: Eyjólfur Photography

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Der Moschusochsen-Familie ganz nahe

Nach einem 40-minütigen Aufstieg erreichen wir die Hochebene und erblicken in dem Moment eine Familie von sechs Tieren ganz in der Nähe. Wir gehen geschlossen und langsam auf circa 100 Meter an sie heran. Wir stehen still und schauen; die riesigen gebogenen Hörner, der massige Kopf und Nacken, dünne, feste Beine, das Fell fast bis zum Boden. Terjes Erzählungen haben meinen Blick auf die Tiere geprägt. Sie wirken friedlich, sind wunderschön und stark. Wir sichten eine zweite und dann eine dritte Gruppe von Moschusochsen in weiterer Entfernung. Wir sind umkreist von Moschusochsen-Familien. Ein schönes Gefühl. Die Tiere verhalten sich ruhig, die Kühe sitzen nah beieinander und spenden sich Wärme vor dem eiskalten Wind. Der Bulle steht schützend vor ihnen. Nach einer Weile nähert sich ein anderer, jüngerer Bulle dieser Familie. Auf den Wander-Pfaden – welche auch die Tiere bevorzugen – trottet er der Herde entgegen. Er kommt uns ganz nah. Etwa 50 Meter von uns und der Herde entfernt bleibt er stur stehen. Wir schauen gebannt und knipsen Bilder. Eine halbe Stunde lang passiert gar nichts. Mit kalt-steifen Fingern im beginnenden Nieselregen holen wir unsere Lunch-Pakete heraus. Und dann: Die Bullen nehmen Anlauf, die Köpfe senken sich, doch die Tiere weichen sich auf halbem Wege aus oder bleiben stur voreinander stehen. Terje erklärt, im Leben der Moschusochsen spiele Zeit keine Rolle. Nun, für uns tut sie dies leider. Nach einer Stunde auf der Hochebene sind wir durchgefroren und müssen zurück ins Tal gehen.

Wir sehen Wanderer und eine weitere Safari-Gruppe sich langsam zwischen den Moschusochsen-Herden auf der Hochebene hindurchschlängeln. Und kurz frage ich mich, wie es gewesen wäre, den Tieren allein mit meinem Rucksack und meinem Entdeckerdrang hier oben zu begegnen. Ich hätte ein prickelndes Gefühl von Überraschung und etwas Angst gespürt. Doch ich hätte weniger Verständnis gehabt für die Tiere, die ich nun mit einer Mischung aus Respekt, Bewunderung und einem Hauch von Mitleid ansehe.

 

Eine Karte und weitere Informationen gibt’s auf auf www.moskussafari.no/de und www.visitnorway.at

 

 

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