Weshalb der Klimawandel kein Wahlkampf-Thema ist

Maßnahmen gegen den Klimawandel sind alles andere als ein Kernthema der Wahlkämpfe in Deutschland und Österreich. Der Wissenschaftler Ingolfur Blühdorn hat dafür Erklärungen. 

Vor der Nationalratswahl in Österreich und der deutschen Bundestagswahl wird viel über Politik diskutiert – oder zumindest über ihre Vermittlung durch Parteien, Kandidatinnen und Kandidaten. Manche große Themen finden dabei auffallend wenig Platz. Zum Beispiel die Klimapolitik. Der Sozialwissenschaftler Ingolfur Blühdorn hält es für einen falschen Reflex, es der Politik oder den Medien zum Vorwurf zu machen, dass übers Klima nicht auf offener politischer Bühne diskutiert wird. Im Interview erklärt er, weshalb es in demokratischen Systemen so schwer fällt, Nachhaltigkeit zum Thema zu machen, und weshalb stattdessen lieber sloganhaft über die Verteidigung von Werten, Freiheiten und eines ressourcenintensiven Lebensstils gesprochen wird.

BIORAMA: In Österreich und Deutschland sind der Klimawandel und seine Folgen im Wahlkampf kaum Thema. Überrascht Sie das? 

Ingolfur Blühdorn: „Nein, in beiden Ländern dreht sich der Wahlkampf wesentlich um die Frage, wie das Erreichte erhalten werden kann, wie wir unsere Werte, unsere Freiheit und unseren Lebensstil verteidigen und weiter ausbauen können. Die Frage nach den ökologischen, sozialen und politischen Nebenkosten dieser Verteidigungsversuche wird dabei behutsam ausgeblendet. Das ändert freilich nichts an der Tatsache, dass diese Nebenkosten gerade dort besonders hoch sind, wo ›wir gut und gerne leben‹ – wie die CDU das im deutschen Wahlkampf nennt.“

BIORAMA: Manche meinen, der Klimawandel sei zu komplex, um öffentlich und medienwirksam politisch verhandelt zu werden. Glauben Sie das auch? 

Ingolfur Blühdorn: „Nein, denn das Thema ist ja eigentlich ganz einfach, konkret und anschaulich. Der wissenschaftliche Hintergrund ist natürlich sehr komplex, aber wir wissen und erleben ja alle, dass Hitzewellen, Überschwemmungen, Erdrutsche, Bergstürze, Wirbelstürme, Waldbrände etc. verheerende Schäden anrichten, und sich das Klima auch in unserer jeweiligen Heimatregion in den vergangenen Jahrzehnten deutlich messbar verändert hat.“

BIORAMA: Umweltkatastrophen werden mit dem Klimawandel in Verbindung gebracht. Wissenschaftlich sind die Zusammenhänge allerdings nicht so leicht darstellbar, dass sie Platz in einem Kurzinterview in den Abendnachrichten finden. Werden die wissenschaftlichen Grundlagen zum Verständnis des Klimawandels zu wenig kommuniziert? 

Ingolfur Blühdorn: „Das ist nicht der Punkt. Es ist längst bekannt, dass mehr und besseres Faktenwissen noch längst keine Veränderung von Verhaltensweisen nach sich zieht. Wir alle wissen, wie unser tägliches Schnitzel produziert wird, welche Konsequenzen unsere Mobilitätsgewohnheiten haben oder dass Bürger mit einem überdurchschnittlich hohen Umweltbewusstsein oftmals auch einen Lebensstil mit überdurchschnittlich großem ökologischen Fußabdruck haben.“

Ingolfur Blühdorn ist Professor für Soziale Nachhaltigkeit und Leiter des Instituts für Gesellschaftswandel und Nachhaltigkeit an der Wirtschaftsuniversität Wien.

BIORAMA: Also spielen die Medien und die Berichterstattung für die geringe Thematisierung des Klimawandels gar keine Rolle?

Ingolfur Blühdorn: „Keine nennenswerte. Es gehört zu den gängigen Reflexen in der öffentlichen Diskussion, die Medien für alles verantwortlich zu machen. Dabei werden die Medien aber sehr einseitig als Agenda-setter gesehen, und es wird vernachlässigt, dass die Medien vor allem das anbieten, was sich gut verkauft, bzw. was beim Publikum Resonanz findet. So betrachtet spiegeln die Medien vor allem das wider, oder verstärken, was sowieso im Publikum, wenigstens der Anlage nach, schon vorhanden ist.“

BIORAMA: Woran liegt es dann, dass der Klimawandel im Wahlkampf nur so wenig diskutiert wird, obwohl doch insgesamt so viel diskutiert wird?

Ingolfur Blühdorn: „Das Problem ist eher, dass es kaum politische Maßnahmen gibt, die am Klimawandel kurz- und mittelfristig nennenswert etwas ändern würden, und dass zudem der Wille zur Verteidigung unserer Werte, unserer Freiheit und unseres Lebensstils eben enorm stark ist.“

BIORAMA: Es gibt die Tendenz von Parteien und Politikern, viele Themen mit der Migrationsdebatte zu verknüpfen. Dass viele Flüchtende Opfer von Klimaveränderungen sind, bleibt dabei allerdings eher ein Randaspekt. Gibt es dafür eine Erklärung? Man könnte doch zum Beispiel als Partei den Begriff der Klimaflucht thematisch besetzen.

Ingolfur Blühdorn: „Dieses Argument ist ähnlich wie der Versuch, den Medien die Schuld zu geben. Politiker, die unter dem demokratischen Legitimationsimperativ stehen, können ein Thema oder einen Begriff nur dann erfolgreich besetzen, wenn sie mit diesem Thema oder Begriff auf Resonanz stoßen, wenn sie also eine öffentliche Befindlichkeit oder ein öffentliches Bedürfnis ansprechen. Ein nennenswertes Bedürfnis, die Opfer des Klimawandels zu schützen und an unseren Werten, unserer Freiheit und unserem Lebensstil teilhaben zu lassen, besteht aber nicht. Zumindest ist das mehr oder weniger explizite Bewusstsein, dass diese Werte, diese Freiheit und dieser Lebensstil eben gerade darauf beruhen, dass andere – innergesellschaftlich und international – von ihnen ausgeschlossen bleiben, sehr viel stärker.“

BIORAMA: Politische Parteien scheuen Nachhaltigkeitsthemen, bei denen Lösungen mit Einschränkungen im Ressourcenverbrauch verbunden sein dürften. Klima- und Umweltschutz gesetzlich vorzuschreiben, empfinden die meisten Menschen nicht gerade als emanzipatorische Entwicklung. Ist das vielleicht sogar ein Grundproblem demokratischer Politik? 

Ingolfur Blühdorn: „Einschränkungen im Ressourcenverbrauch sind nicht per se unvermittelbar. Im Gegenteil taugt uns das Argument eines etwas effizienteren und emissionsärmeren Motors – ergänzt um eine Abwrackprämie – allemal als Rechtfertigung für eine automobile Neuanschaffung – auch wenn das vor allem für die Autoindustrie gut ist und nur in wenigen Fällen ökologisch. Tatsächlich haben der moderne Staat und die Politik aber das Problem, dass sie unter einem demokratischen Legitimationsimperativ stehen. Und es ist eben nur in Ausnahmefällen möglich, demokratische Mehrheiten zu schaffen und stabilisieren, die unsere Werte, unsere Freiheit und unseren Lebensstil in Frage stellen.“

BIORAMA: Aber stiehlt sich die Politik nicht auch ein Wenig aus der Verantwortung, wenn sie den sparsamen Umgang mit Ressourcen durch „bewusste Konsumentscheidungen“ organisieren möchte, statt durch verbindliche Regeln? 

Ingolfur Blühdorn: „Jetzt versuchen Sie, die Politik und die Politiker verantwortlich zu machen! Das sind sie natürlich in gewisser Hinsicht auch. Aber die Erzählung von den „bewussten Konsumentscheidungen“ ist für die Bürger eben noch mit Entscheidungsfreiheit verbunden und daher vermittelbar. Erzwungene Beschränkungen stehen demgegenüber im Widerspruch zu unseren Freiheiten und unserem Lebensstil.“

BIORAMA: Was sagt es über unsere Demokratien aus, dass ihnen die Beschäftigung mit den globalen Folgen des Klimawandels so schwer fällt? 

Ingolfur Blühdorn: „Tatsächlich wird immer deutlicher, dass demokratische Systeme kaum in der Lage sind, die mehrdimensionale Nachhaltigkeitskrise zu bewältigen. Vielmehr haben sie sich ihrerseits in einer Krise der eigenen Nachhaltigkeit verfangen. Aber es wäre ein fataler Irrtum zu glauben, dass autoritäre Ansätze oder Systeme ökologisch aussichtsreicher wären. Und die beobachtbare Nicht-Nachhaltigkeit der Demokratie hat ihre Ursache auch nicht wirklich im Klimawandel. Sie wird aber von den Folgen des Klimawandels verstärkt.“

BIORAMA: Glauben Sie persönlich, dass es dennoch irgendwann gelingt, die Folgen des Klimawandels zu einem zentralen politischen Thema zu machen?

Ingolfur Blühdorn: „Das sind sie schon längst! Denn wir haben längst verstanden, dass unsere Werte, unsere Freiheit und unser Lebensstil definitiv nicht nachhaltig und sehr ernsthaft bedroht sind; und kein anderes Thema ist uns so zentral wie die Aufgabe, sie zu verteidigen – damit wir in unserem Land auch weiterhin gut und gerne leben können.“


Nachhaltige Entwicklung weltweit: „Das Wissen ist da!“

 

VERWANDTE ARTIKEL