Menschen, die auf Türme starren

Das Projekt »Kirchturmtiere« möchte auf die Lebensraumansprüche von bedrohten Vögeln und Fledermäusen aufmerksam machen. Besuch bei einem engagierten Mostviertler Pfarrer.

Legt in der Kirche Flyer auf, um die Kirchgängerinnen fürs Birdwatching zu begeistern: Pfarrer Herbert Reisinger. Bild: Hans Hochreiter.

Zu ebener Erde, im Gotteshaus, war die Vertreibung aus dem Paradies wohl schon oft Thema. Fünfzig Meter darüber, am Glockenturm, ist sie gelebte Praxis. Immer wieder wechseln einander hier oben die gefiederten Bewohner der Pfarre Langenhart ab. Selten passiert das freiwillig. Der Kirchturm ist nicht nur ein gut frequentierter Aussichtsplatz, sondern auch ein umkämpfter Brutplatz. Auch wenn der schnörkellose Kirchenbau der Nachkriegszeit, eingeweiht 1957, nicht viele Vorsprünge bietet: Mal sind es Tauben, meist aber Falken, die eine Nische im Kirchturm beanspruchen. Unzugänglich und vor Marder und Katze geschützt brüten sie dort ihren Nachwuchs aus.
Ein paar Kilometer weiter, direkt unterhalb der Uhr der alten Stadtpfarre St. Valentin, spiegelt sich das Geschehen in luftiger Höhe auch in Kotspuren am Vorplatz wider. »Und immer wieder landen Teile von zerlegten Tauben vor der Kirche«, berichtet Herbert Reisinger. »Ein Nachbar beobachtet auch regelmäßig Kämpfe der Krähen gegen die Falken. Wanderfalken und Turmfalken wechseln einander ab«, weiß Reisinger, »dabei ist der Wanderfalke für unsere Gegend untypisch.«

Nur wer genau schaut, wird die Falken über der Turmuhr entdecken. Unten am Vorplatz zeugen zerlegte Tauben von der Anwesenheit der Greifvögel. Bild: Hans Hochreiter.

Herbert Reisinger ist Pfarrer und wenn auch kein leidenschaftlicher Birdwatcher, so doch begeistert, dass sich in seinen Kirchen nicht nur zu Messzeiten einiges abspielt. Für fünf Pfarren im westlichen Niederösterreich ist der 47-Jährige zuständig. »In der Kirche St. Panthaleon brüten auch Falken, im Turm in Ernsthofen leben Fledermäuse und wir hatten auch schon Störche am Kirchturm.« Ausführlich dokumentiert wurde das in den Lokalmedien und im Pfarrblatt. In einem Schaukasten hing lange auch ein Foto des Turmfalken Niko. So hatte ihn die Nachbarschaft getauft.

Artenschutz per App

Vor einiger Zeit legte Herbert Reisinger auch »Handzettel« in seinen Kirchen auf: »Kirchturmtiere beobachten«. Geworben wurde für eine kostenlose App des Naturschutzbundes. »Kirchen und Kirchtürme stellen für Turmfalken, Dohlen, Mauersegler und viele weitere Vogelarten wertvolle Lebensräume dar. Helfen Sie mit, die Lebensräume dieser Tiere zu bewahren«, warben die Umweltbeauftragten der katholischen und evangelischen Kirche Österreichs gemeinsam mit den NGOs Birdlife und Naturschutzbund.
»Die Kombination Kirche und Tiere gefällt mir sehr gut«, sagt Pfarrer Reisinger. »Ich möchte die Vergangenheit nicht verklären, aber früher haben Tier und Mensch selbstverständlicher miteinander gelebt.«

In der Stärkung dieses Miteinanders sieht auch der Ornithologe Remo Probst die Hauptaufgabe der »Kirchturmtiere«-Kooperation. Er begleitet das Projekt als Fachmitarbeiter von Birdlife. »Der Mensch-Tier-Kontakt ist wichtig, denn die Bevölkerung ist nur bereit zu schützen, was sie auch kennt.« Wer sich mit dem Leben in alten Kirchenbauten beschäftige – »traditionell und über Jahrhunderte wichtige Brutplätze als Felsen- und Höhlenersatz, die es Höhlenbrütern ermöglicht haben, als Kulturfolger mit den Menschen in Dörfern und Städten zu leben« –, dem werde außerdem bewusst, dass »der moderne Hausbau nicht gerade freundlich für die Höhlenbildung« sei, so Probst.

»Offener« Kirchturm als Ziel

Unterstützt wird das Projekt auch von Leander Khil, Vogelkundler, Fotograf und bekannt als Autor einiger Bestimmungsbücher. »Jede Aktion, die auf die Lebensraumansprüche von Tieren aufmerksam macht und die Bevölkerung für Naturwahrnehmung sensibilisiert, ist zu begrüßen«, sagt er – und äußert einen klaren Wunsch: »Ich würde mir von den Diözesen und Pfarren einen aktiven Fokus auf die Öffnung und Wiederöffnung der Kirchtürme wünschen. Die meisten Türme sind heute vergittert und können von bedrohten Dohlen, Schleiereulen und Fledermäusen nicht mehr als Rückzugsort genutzt werden.« Dabei könne man mit Nisthilfen und Fledermausquartieren durchaus »kontrollierte« Zugänge schaffen – ohne die Gebäude der unerwünschten Besiedelung durch Straßentauben preiszugeben.
Den Beweis dafür, dass der Vertreibungseffekt auf Tauben wirkt, hat Pfarrer Herbert Reisinger alle paar Tage vor seinen Füßen liegen.

»Kirchturmtiere« wie diese junge Waldohreule (links) oder Türkentauben (rechts) lassen sich auch in den Bäumen rundum beobachten. Bild: Hans Hochreiter.

Wie auch bei Neu- oder Umbauten auf die Schaffung von Lebensräumen für Tiere und Pflanzen geachtet werden kann, erklärt Michael Herbek, Abteilungsleiter der Projektentwicklung der BUWOG hier im Interview.

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Dieser Artikel ist im BIORAMA # erschienen

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