Keine Party: Deichkind feat. – nicht im Video – Greta Thunberg

Im neuen Deichkind-Video tanzt Lars Eidinger; unter anderem vor Götterbäumen. (Bild: Screenshot)

Island erklärt den ersten Gletscher für tot. Donald Trump möchte wirklich Grönland kaufen. Deichkind veröffentlichen ein neues Video und damit einen neuen Song. Von den Meldungen des Tages bleibt ein dumpfes Stampfen im Ohr: »Keine Party« von Deichkind

Allein die Liste, mit der Deichkind ihre neue Nummer ins Netz stießen. Man gibt der Versuchung nach, ein altes journalistisches Tabu zu brechen, eine Passage aus der Presse-Aussendung und damit PR zu veröffentlichen. Also scheiß drauf:

»5 Gründe für KEINE PARTY

1. Party kostet fett viel.

2. Jede Woche ist außerdem ein Wochenende. Kann man also auch das nächste

nehmen.

3. Die Schaum-, Nebel- und Ausflipp-Industrie arbeitet oft mit ökologischen

Fußabdrücken in Übergröße.

4. Auswärts essen ist doch auch ein bißchen wie Feiern.

5. Feiern Tiere? Machen Blumen Party? Hotten Maschinen ab? Nein. Nur der

Mensch. Als hätte er noch eine Erde im Kofferraum eines Partybusses. Aber wenn dann der Sprit ausgeht, will keiner Schuld sein wie der Bossa Nova.

6. Nuschler, junge Eltern und Päpste werden bei Parties seit jeher ignoriert oder stark benachteiligt, ist das noch zeitgemäß?

7. Müdigkeit ist auch ein Gefühl, das man verletzen kann.

8. Lars Eidinger könnte seine Hängematte endlich Probeliegen.«

Ende der Werbedurchsage. Genau. Lars Eidinger, der Schauspieler, katapultiert sich ganze 3 Minuten 52 springend in neue Pop-Sphären. Auf der ganz großen YouTube-Bühne (technische Reichweite: Superstardom) gibt er das letzte vereinzelte Party Animal während alle anderen erfolgreich Gründe gegens entgrenzte Feiern vorgeschoben haben. Was für eine Kraftanstrengung. Was für ein geiles Video. Was für eine Kalorien- und Ressourcenverschwendung. Ob sie sich auszahlen wird?

Über
Deichkind ist dem Menschen zumutbar. (Foto: Benjakon)

Deichkind sind schon länger das Guilty Pleasure derer, die gerne feiern, korrigiere: derer, die immer noch hin und wieder feiern. Die ganz großen Hits – »Remmidemmi (Yippie Yippie Yeah)«, »Leider geil« – liegen Jahre zurück. Damit sind sie als Musiker irgendwie von vorgestern, müssen sich als Pop-Act aktualisieren, wenn sie nicht bloß mit den alten Fans alt werden wollen. Brauchen relevante Anknüpfungspunkte ans Hier und Jetzt. Rammstein ist das gerade wieder erfolgreich geglückt. Auf der Bühne in Moskau knutschend haben die harten Herren des Rock nicht nur ein Zeichen gegen Homophobie und Putins einseitigen Testosteronchauvinismus gesetzt, sondern auch – »daheim« – das Gutmenschentum umarmt, es damit auf die Titelblätter von Stadtmagazinen geschafft. Das soll nicht zynisch klingen. Popakteure brauchen Aktualisierung, wollen sie nicht in der Bedeutungslosigkeit und im Bombast inhaltsleerer Stadionshows verschwinden. Das birgt immer das Risiko der Peinlichkeit. Gesehen zuletzt beim Auftritt von Madonna beim Finale des Eurovision Song Contest. Ihr Versuch einer Aktualisierung dort, live vor einem Millionenpublikum, war wenig erfolgreich. Das große Comeback ist gescheitert, für ausgewählte Konzertauftritte wird es reichen.

Ob die große Deichkind-Party weitergeht, wissen wir in ein paar Tagen. Am Kickoff-Tag des Videos hat DeichkindTV auf YouTube 133.000 AbonnentInnen und Lars Eidinger auf Instagram gleich viele Follower (98,3k) wie die Hamburger Band (92,6k). Die Nummer selbst? Eine Antihedonismushymne als Partystampfer – mehr Postironie und lustvolle Selbstgeißelung geht wahrscheinlich gar nicht. Schon wieder geil.

Die Wahrheit – Trump, die Gletscherschmelze, keine Party – ist dem Menschen zumutbar. Partyrausch als puren Eskapismus braucht es dazu wahrscheinlich sogar.

Ach ja, im September erscheint ein ganzes Album von Deichkind (»Wer sagt denn das?«) und im Februar 2020 geht die Band dann auf Tour. Nicht mit dem Segelboot.

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