Katharina Seiser: Die Knödelakademikerin

Katharina Seisers Arbeitsplatz liegt irgendwo zwischen Markt, Küche und Schreibtisch. (c) Christoph Adamek

Katharina Seisers Arbeitsplatz liegt irgendwo zwischen Markt, Küche und Schreibtisch. (c) Christoph Adamek

Wir haben mit der Autorin Katharina Seiser über ihre schon in frühester Kindheit geschulte Nase, die zu Unrecht verrufene »Knödelakademie«, das kulinarische Potenzial der USA und ihre neue Jahreszeitenkochschule geredet. 

Sie ist nicht die Grande Dame. Auch wenn einige das immer wieder sagen. Dafür ist sie viel zu nah am Geschehen. Viel zu aktiv und viel zu dynamisch. Mein Bild einer Grand Dame ist das einer Frau, die den Großteil ihres Lebenswerks bereits geleistet hat. Ihre Arbeit war gut und anerkannt und sie beginnt, sich zurückzulehnen. Sie genießt, was sie erreicht hat und meldet sich hin und wieder zu Wort. Vielleicht schreibt sie sogar ein Buch. Aber, sorry, das ist nicht Katharina Seiser. Katharina ist ein Wirbelwind. Sie ist mitten im Geschehen, arbeitet im Moment an mehreren Büchern gleichzeitig und schreibt für renommierte Publikationen. Und sie ist eine omnipräsente Netzarbeiterin, die so virtuos auf der Klaviatur ihrer Social-Media-Kanäle spielt, als wäre es eine barocke Kirchenorgel. Wo sie hinzeigt, geht der Trend hin. Beispiele gefällig? Unter den Hashtags #tierfreitag, #gutbeihitze oder #allesbio findet man ein kleines Universum an Beiträgen, Anregungen, Tipps und Diskussionen. Längst nicht nur von Katharina Seiser selbst. Wenn man nach »Meyer« und »Zitrone« sucht, listet Google ihren Blog www.esskultur.at noch vor dem Wikipedia-Eintrag über die Meyer-Zitrone. Mittlerweile hat Katharina Seiser sieben Bücher geschrieben. Im Löwenzahn-Verlag erschien 2010 ihr erstes Buch »So schmecken Wildpflanzen«, das sie mit dem unlängst verstorbenen Koch Meinrad Neunkirchner geschrieben hat. Aus dem Bestseller »Österreichisch Vegetarisch« im Brandstätter Verlag wurde mittlerweile eine eigene Reihe. Die Ausgaben »Deutschland«, »Italien« und »Türkei« sind bereits erschienen, »USA Vegetarisch« kommt diesen Herbst.

Wir haben mit ihr gesprochen. Über Pancakes und Gemüsekisten. Über Meinrad Neunkirchner und über ihre Mama. Und über Nachtschichten – aber die kennt sie nur vom Hörensagen.

In Seisers Kochbuch-Bibliothek findet sich der eine oder andere kulinarische Band. (c) Christoph Adamek

In Seisers Kochbuch-Bibliothek findet sich der eine oder andere kulinarische Band. (c) Christoph Adamek

BIORAMA: Der Tag ist schon lang. Beginnen wir mit der Frage, was es bei dir heute zu essen gab und aus welchem Kochbuch das Rezept kommt?

Katharina Seiser: Moment. Das erste in der Früh waren meine Pancakes, meine amerikanischen Buttermilkpancakes, die lustigerweise aus einem Buch stammen, das ich 1999 aus Amerika mitgebracht habe: »Cook Something« von Mitchell Davis. Leider ist das Buch im Moment vergriffen. Das Lustige daran ist, dass ich den Autor kürzlich fast getroffen hätte, weil er den amerikanischen Expo-Stand betreut hat. Ich bin immer wieder fasziniert, wie sich Kreise schließen. Jedenfalls halte ich das Rezept für unerreicht – und ich habe viele und auch viele Varianten ausprobiert. Deshalb haben wir die Woche mit diesem Rezept gestartet. Mit reifen Pfirsichen der Sorte Red Haven vom Herrn Brunner, der heuer wegen des Frosts nur 20 Prozent ernten konnte. Dazu gab es knusprig ausgelassenen Speck vom Sonnenschwein, ein wenig Ahornsirup und eine Verdelli-Zitronenschale, weil ich gerade sehr glücklich darüber bin, dass Bioläden vermehrt dafür sorgen, dass auch im Sommer, wo Zitrusfrüchte normalerweise aus Chile oder Südafrika kommen, kleine Mengen dieser grünen Verdelli-Zitronen aus Italien erhältlich sind. Das gab es in der Früh. Zu Mittag gab es Restln von vorgestern: türkische Zucchinipuffer mit Zucchini und Karotten aus unserem Ernteanteil, dazu Schafjoghurt und Wassermelone.

Ein ganz normales Wochentagsfrühstück im Hause Esskultur: Wieviel von dem, was Du an deinem durchschnittlichen Tag kochst, kommt aus deinen eigenen Kochbüchern?

Katharina Seiser: Ich glaube, das ist schwierig zu trennen. Wahrscheinlich mehr als mir bewusst ist, weil wir einfach freestyle mit unserem Gemüse als Basis kochen. Das Ganze war durchaus eine Parallelentwicklung zur »Vegetarisch«-Reihe. Wir haben seit fünf Jahren unseren Ernteanteil bei Ochsenherz (Solidarische Landwirtschaft im Marchfeld, Anm.) und standen mit einer Lade an Gemüse da und waren oft überfordert, weil wir nicht gewohnt waren, so zu kochen. Nämlich: die Lade aufzumachen, schauen, was da ist und entscheiden, was damit gemacht wird. So hat sich unser Kochen in den letzten Jahren komplett verändert. Wir greifen immer wieder auf Rezepte aus meinem Buch »Immer schon vegan« zurück, aber wahrscheinlich deshalb, weil das meine Rezepte, also wirklich meine eigenen Rezepte sind. Es gibt auch Klassiker aus »Österreich Vegetarisch«, die wir immer wieder kochen. Da brauch ich auch das Rezept nicht mehr herzunehmen. Die Buchteln, die Topfenknöderl oder die Sauerrahmnockerl von Meinrad Neunkirchner etwa. Also eigentlich recht altvaterisch wirkende Mehlspeisrezepte, wobei die große Meisterschaft von Meinrad sich in diesen ausgefinkelten Rezepturen niederschlägt. Das sind oft Massen, bei denen du dir beim ersten Mal denkst, das kann gar nicht funktionieren. Viel zu weich, zu flüssig. Am Anfang habe ich ihm noch nicht so getraut und habe die Rezepte nachgekocht. Ich war immer wieder verblüfft, wie gut sie funktionieren. Aber da stecken halt 30 Jahre Erfahrung dahinter. Ich habe früher öfter versucht, die Rezepte zu verändern. Variationen zu entwickeln. Mittlerweile mache ich das nicht mehr. Warum soll ich das tun? Ich mag das Ergebnis so gern, dass für mich keine Notwendigkeit besteht, das Rezept zu ändern. Außerdem gibt es mir eine gewisse Struktur. Meine Tage haben eh keine Struktur, weil jeder Tag anders ist.

Bevor wir über deine Bücher reden, erzähl bitte kurz, wie du geworden bist, was du geworden bist.

Katharina Seiser: Im Nachhinein betrachtet war alles eine logische Entwicklung. Wenn man es aber von der anderen Seite aufrollt, ist es alles andere als klar. Wenn mich vor ein paar Jahren jemand gefragt hätte, was ich beruflich mache: Ich hätte es nicht sagen können. Ich habe mich nicht sagen getraut, ich sei Journalistin. Ich fand das eher ehrenrührig. So, nach dem Motto: »Hast Du nichts Ordentliches gelernt?« Aber Autorin war ich damals auch noch nicht. Meine Mutter hat mit Kräutern gehandelt. 400 Sorten. Sortenrein. Ich bin also mit einer Vielzahl und Vielfalt olfaktorischer Eindrücke aufgewachsen, was mich ganz gewiss geprägt hat. Differenzieren können über die Nase ist eine Kompetenz, die ich sehr früh entwickelt habe. Und meine Mutter gehörte zu der Generation, die dachte, es wäre antiemanzipatorisch, wenn man – als Frau – kocht. Jedenfalls war das die beste Basis für mich, weil wir dadurch extrem viel auswärts gegessen haben. Wir sind zum Beispiel mit dem ersten »Gault Millau« in der Tasche alles abgefahren, was binnen eines Tages erreichbar war. Damals war ich in der letzten Volksschulklasse und durfte essen, wonach mir war. Keine Einschränkung seitens der Mama. Dann war ich an der Knödelakademie. Anfangs habe ich das gehasst. Kochen zu lernen empfand ich als Affront, merkte aber recht schnell, dass mir das wahnsinnig leicht von der Hand geht. Jetzt finde ich, dass der Name Knödelakademie deutlich aufgewertet werden sollte. Später Studium, Politikwissenschaft, Kommunikationswissenschaft, Ökologie. Das mit der Ökologie hat sich allerdings rasch erübrigt. Nach dem Studium kam ich über ein Assessment Center in den ersten Lehrgang für Magazinjournalismus zum Profil, lernte Magazinjournalismus von der Pieke auf.

Bevor ein Kochbuch erscheint, wird akribisch gesichtet und korrigiert. (c) Christoph Adamek

Bevor ein Kochbuch erscheint, wird akribisch gesichtet und korrigiert. (c) Christoph Adamek

Eine spannende Laufbahn. Wie kam es dann zum ersten Kochbuch? Und zur Freundschaft mit Meinrad Neunkirchner?

Katharina Seiser: Als Jugendliche wollte ich immer Bücher schreiben – ohne zu wissen, welche Bücher das genau sein sollen. Kochbücher waren da noch nicht Teil des Plans. Und stimmt, es war Meinrad, über den ich zum Kochbuchschreiben kam. Ich war immer öfter bei ihm essen, zwar nicht mehr bei den richtig legendären Stationen seiner Karriere, sondern erst eine Weile später. Die damalige Chefredakteurin der Zeitschrift Maxima hat uns vermittelt. Ich wusste, dass er für die Maxima Rezepte macht, habe ihn vielleicht auf der einen oder anderen Feier gesehen. Mehr war da noch nicht. Ich war aber ab dann öfter bei ihm essen und habe danach immer viele Fragen gestellt. Meinrad hat das in seiner Art immer recht amüsant gefunden und oft ironisch geantwortet. Vielleicht, weil er davon ausging, dass das Interesse bei den meisten ohnehin nur ein Oberflächliches sein kann. Irgendwie hat er die Fragerei ein wenig belächelt. Bei mir hat das allerdings zur Folge gehabt, dass ich ihm immer wieder gesagt habe, dass er aufschreiben muss, was er tut. Dokumentieren. Er hat das immer abgewehrt und gesagt, er hätte keine Zeit für das. Keine Zeit. Okay. Ein Jahr später hat er angerufen. Wir haben uns im Gasthaus Hansy am Praterstern (spezialisiert auf Wiener Küche, Anm.) getroffen und da saßen Meinrad und Thomas Apolt, der Fotograf, wie zwei Schulbuben, die eine Fensterscheibe eingeschlagen haben und fragten, ob das mit dem Aufschreiben noch aktuell sei. War es! So haben wir ein Jahr lang am Konzept für Wildpflanzen gearbeitet. Nach einem Jahr hat mich der Löwenzahn Verlag angerufen – vermutlich wegen meines Blogs Esskultur – und gefragt, ob ich ein Buch machen möchte. Wollte ich. Und ich hatte ein fertiges Konzept dafür.

Perfektes Timing und ein guter Start. Was hat sich seither in deiner Arbeit verändert? Wie viel Prozent deiner Tätigkeit ist Buchschreiben? Wie sieht der Rest aus?

Katharina Seiser: Seit Sommer 2014 macht die Arbeit an meinen Büchern 75 bis 80 Prozent meiner Arbeitszeit aus. Geht gar nicht anders. Die journalistischen Arbeiten habe ich zurückgeschraubt. Geblieben sind ein paar regelmäßige Beiträge und Kolumnen: in der Maxima, im Falter, in der Süddeutschen Zeitung. Zweimal im Jahr mach ich das Steirereck-Magazin. Das ist planbar und somit auch machbar. Manchmal tut mir das ein bisschen leid, weil ich dadurch Sachen absagen muss, die ich gern machen würde. Aber es geht sich einfach nicht aus.

Das ist schlüssig. Jetzt gibt es aber immer wieder Themen, bei denen du Initialzünderin bist, wo du mit einer Idee und einem Twitter-Hashtag Themenführerschaft übernimmst. Stichwort #Tierfreitag. Oder deine Obsession für Zitrusfrüchte. In beiden Fällen hast du einiges bewegt. Meistens verselbständigen sich diese Dinge. Das machen sie aber nicht von alleine. Da steckt Arbeit dahinter. Wie geht sich das aus?

Katharina Seiser: Ich glaube, das ist einfach ein Müssen. Gar nicht so sehr ein Wollen. Ich glaube sogar, dass da noch viel mehr möglich wäre, wäre ich eine, die auch in der Nacht arbeiten könnte. Ich bin eine, die am Abend irgendwann müde ist, und dann ist es aus. Ich habe in meinem Leben – auch im Studium nicht – keine Nachtschicht eingelegt. Nie. Never. Das Höchste der Gefühle war, dass ich mit einer Lektorin einmal bis nachts um halb zwei beim Umbruch gesessen bin. Danach habe ich drei Tage Urlaub gebraucht. Ich will mit meinen Themen einfach zum Nachdenken anregen. Zeigen, dass es auch anders geht. Bestes Beispiel ist der Tierfreitag. Mein Anliegen dabei ist, dass möglichst viele Leute gut essen können, ohne dass dabei ein Lebewesen Schaden nimmt. Wenn möglich.

Warum …

Katharina Seiser: … ich Bücher schreibe?

Genau. Warum schreibst Du sie? Vom Spaß an der Freude abgesehen?

Katharina Seiser: Wenn ich selbst koche, muss ich auch wissen, wie das geht. Und ich habe den Eindruck, nein, eigentlich bin ich ziemlich sicher, dass in den letzten beiden Generationen Kochwissen so rapide verschütt gegangen ist. Genau durch den Typ Frau wie meine Mama – der ich zwar zu verdanken habe, dass ich so gut essen kann –, die aber irgendwann durch Beruf, Doppelbelastung und andere Interessen das Kochen an die letzte Stelle gerückt hat und sich gedacht hat: Es gibt eine Industrie, die mir einen Teil davon abnimmt, und das nehme ich gerne an. Damit sind aber die ganzen tradierten Geschichten unserer Großmütter verloren gegangen. Alleine, was es mich gekostet hat an Überlegungen, die Beschreibung des Strudelteigs so hinzukriegen, dass alles passt. Da war ich schon ziemlich stolz darauf, weil ich weiß, dass ihn viele Leute auf Basis dieses Buches wiedermachen. Vor ein paar Jahren hat jeder den Strudelteig noch im Supermarkt gekauft. Warum soll ich den selber machen? Wenn man ihn aber einmal selbst gemacht hat, spürt man erstens, dass es eine Ermächtigung ist. Und dass er besser schmeckt. Überhaupt kein Vergleich.

Auf dem Markt findet Seiser Inspiration. (c) Christoph Adamek

Auf dem Markt findet Seiser Inspiration. (c) Christoph Adamek

Du hast gerade mehrere Buchprojekte gleichzeitig abgeschlossen.

Katharina Seiser: Das nächste Buch, das erscheinen wird, ist der fünfte Band in der Vegetarisch-Reihe: „USA Vegetarisch“. Wobei ich da das süffisante Grinsen einiger schon sehen kann. ‚USA? Echt jetzt?’ Nach dem Motto: Die können doch nicht kochen, die Amerikaner. Falsch! Einfach reinschauen und sich von der farbenfrohen Vielfalt überraschen lassen. Ich freue mich jedenfalls schon sehr auf das Buch. Erscheinen wird es Ende September. Das andere Buch erscheint etwas später, und die Situation ist für mich neu. Ich bin bei der Vegetarisch-Reihe (mit Ausnahme von „Österreich Vegetarisch“) Herausgeberin. Beim neuen Projekt bin ich Autorin gemeinsam mit Richard Rauch aus der Steiermark. Es werden vier Bände. Die Reihe heißt „Jahreszeitenkochschule“, der erste Band wird der Winter sein. Die Bücher werden nach Themen sortiert sein. Wir haben neun Themen pro Band und nähern uns dem, was die jeweilige Saison zu bieten hat.

Das klingt großartig. Die ersten Bilder, die auf Facebook schon zu sehen waren, sind ja schon einmal sehr vielversprechend. Und nach den vier Jahreszeiten?

Katharina Seiser: Ich denke darüber nach, 2018 ein Sabbatical zu machen. Jedes Mal, wenn ich einer Freundin oder einem Bekannten davon erzähle, ernte ich die gleiche Reaktion: schallendes Gelächter. Vielleicht werden es kleinere Auszeiten. Reisen, um mein kulinarisches Interesse zu stillen. So, wie wir das schon öfter gemacht haben. Ein Monat Japan, ein Monat Thailand. So was in der Art.


Hier geht es zu Katharina Seiser Blog. 

Schon vor einiger Zeit hat uns Katharina Seiser erklärt, woran mein ein gutes Restaurant erkennt

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