„Bei jedem läuft beim Wort Natur ein anderer Film im Kopf ab“

Bild: Dominique Köhler

Bild: Dominique Köhler

Von 18.–21. Oktober feiert das Innsbruck Nature Film Festival sein 15. Jubiläum. Biorama hat mit Festivaldirektor und Tiroler Umweltanwalt Johannes Kostenzer über sein Büro, seine Amtsauffassung und die Weiterentwicklung des Festivalprojekts gesprochen.  

Du bist Tiroler Umweltanwalt und Naturfilmfestivaldirektor. Was macht die Tiroler Umweltanwaltschaft anders als die anderen?

Johannes Kostenzer: Jedes österreichische Bundesland hat eine Umweltanwaltschaft, aber einige davon konzentrieren sich auf die Aufgaben, die ihr per Gesetz übertragen sind: die Interessen der Natur bei Behördenverfahren zu vertreten. Mein Ansatz, als ich das vor acht Jahren übernommen habe, war: Ja, dieser Anwaltsteil ist wichtig, aber im Grunde geht’s mir um Sensibilisierung für einen sorgsamen Umgang mit unserer Umwelt. Das kann ich einerseits über die Verfahren machen, indem ich etwa zu einem Projekt sage: Wir sehen hier zu schwerwiegende Eingriffe – machen wir es lieber anders. Andererseits ist es mir wichtig, dass wir positive Beispiele zeigen, mit denen wir das friedvolle Erleben der Natur in den Vordergrund stellen. Eines unserer vielen Projekte – einst ganz klein, mittlerweile mit Abstand das größte – ist das Filmfestival.

Was wurde in den letzten Jahrzehnten richtig gemacht, um mit Projekten auch öffentlich wahrgenommen zu werden? 

Johannes Kostenzer: Wir sind zu neunt in Büro in Innsbruck, zusätzlich haben wir noch 18 ehrenamtliche Naturschutzbeauftragte in den Bezirken. Die setzen sich für den Naturschutz ein, was nicht immer leicht ist, weil man mitunter angefeindet wird, wenn man sich für den Schutz eines Moores oder einer Bergwiese einsetzt. Es war immer mein Ziel, dass wir auch außerhalb der anwaltschaftlichen Arbeit wahrgenommen werden. Es gelingt uns aber zu wenig, den Mehrwert, den unsere Projekte generieren, zu transportieren. Für die Zeitungen sind wir nur interessant, wenn es einen Konflikt wegen des Ausbaues eines Schigebiets oder eines Kraftwerks gibt.

Das ist schade, denn auch wenn es anmaßend klingt: Ich glaube schon, dass wir etwas richtig gemacht haben.

Ein Beispiel? 

Johannes Kostenzer: Wir wissen, dass in Europa der größte Naturverlust durch die Landwirtschaft passiert. Die bodenbrütenden Vögel stehen inzwischen fast alle auf der roten Liste der bedrohten Arten. Alte Getreide, die gegen Wetterkapriolen unempfindlich sind, haben in Zeiten des Klimawandels besondere Vorteile. Die werden auf eine Weise angebaut, die den Vögeln einen Brutplatz ermöglicht. Die Biobauern verpflichten sich, die Vögel ein Monat lang nicht beim Brüten zu stören. Für die Rücksichtnahme bekommen sie von uns eine Entschädigung und die Möglichkeit der Vermarktung des Biogetreides über die regionale Biolinie „Bio vom Berg“.

Der Konsument bekommt ein Produkt, dass schadstofffrei, naturschonend und biozertifiziert produziert wurde. Somit haben Vogel, Bauer und Konsument einen Vorteil.

Wie steht es um die Finanzierung der Umweltanwaltschaft?

Johannes Kostenzer: Wir haben ein Grundbudget, das im Vergleich etwa zu Tourismusförderungen natürlich lächerlich ist. Aber wir arbeiten viel über Kooperationen, im Bereich des Innsbruck Nature Film Festival (INFF) auch mit Sponsoren, die dieses Festival erst möglich machen. Über diesen Punkt habe ich lange nachgedacht. Als Umweltanwaltschaft kann man nicht einfach Sponsorengelder annehmen. Das machen wir daher unter ganz strengen Kriterien, um sicherzustellen, dass die Gelder von Sponsoren kommen, mit denen wir nicht in einer Verfahrensverbindung stehen. Ich will kein Geld von einem Kraftwerksbetreiber, der dann ein Kraftwerk bauen will und wir sollen als Partei die Interessen der Natur vertreten.

Was ist die Vorstellung von Natur, die sich als roter Faden durch die 15 Jahre Festivalgeschichte zieht? 

Johannes Kostenzer: Die Wortfolge INFF ist eine Marke. Das »Nature« dient der verkürzten Versinnbildlichung, dass es um ein Umweltthema geht. In diesem Zusammenhang fokussieren wir nicht nur auf Naturfilme, sondern auch auf die Themen Umwelt, Boden, Ernährungssouveränität, alles rund um einen sorgsamen Umgang oder eben nicht so sorgsamen Umgang mit unserem Planeten. »Innsbruck Environmental Film Festival« wäre vielleicht korrekter, aber etwas sperrig. Der Begriff Natur ist abstrakt, jeder versteht etwas anderes darunter. Ein Jäger geht in die Natur und schießt dort ein Reh. Ein Golfer geht in die Natur und spielt dort Golf auf einem Platz. Wenn du einen Biologen fragst, sagt der, er geht in die Natur – und dann geht er in die Wildnis. Es gibt Hunderte Konnotationen des Wortes Natur. Deswegen versuche ich diesen Begriff beispielsweise bei einer Bauverhandlung zu vermeiden. Bei jedem Zuhörer läuft sonst ein Film ab, der ihm sagt, worum es geht, aber das ist bei jedem ein anderer Film. Ich muss konkret werden und von den Bäumen, dem Bach oder dem Wiederaufbau des Hochgebirgsrasens reden, nur so kann ich vermitteln, was mir wichtig ist. Wenn ich gesagt habe: „Mir ist die Natur wichtig!“, hab ich noch nie jemanden getroffen, der gesagt hat: „Mir nicht!“

Welcher Trend zeichnet sich bei den Einreichungen heuer ab? 

Johannes Kostenzer: Es geht heuer in vielen Filmen um Amenity Migration: Um jemanden, der in der Gesellschaft gut verankert ist, einen guten Arbeitsplatz hat, aber aus dem liberalen Wirtschaftssystem ausbrechen will und sich einen Ort sucht, an dem er etwas anbauen und leben kann. In vielen Einreichungen geht es um Menschen, die diesen Schritt in die Subsistenzarbeit wagen. Weg von der Befriedigung von Bedürfnissen, die durch Werbung oder anderen gesellschaftlichen Druck geschaffen werden. Da tut sich was, speziell in Europa, das wird bei den Einreichungen sichtbar.

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Bild: Dominique Köhler

Welchen Film aus dem Vorjahr sollte man sich jedenfalls ansehen, falls man ihn übersehen hat? 

Johannes Kostenzer: Unser Vorjahressieger »DamNation«, produziert von zwei Kajakfahrern aus den USA ohne große Produktionsfirma. Es geht um Flüsse, die in den letzten Hundert Jahren aufgestaut wurden. In den USA hinterfragt man in letzter Zeit viele dieser Staudammprojekte, es sind schon über 60 gesprengt worden. Der Film ist schön, spannend und kurzweilig, ich kann ihn sehr empfehlen.

Ist diese Filmempfehlung auch ein Statement zum Thema Wasserkraft? 

Johannes Kostenzer: Ja, es ist ein Statement, was Wasserkraft betrifft. Denn ich finde, man muss sich gut überlegen, wo man solche Projekte umsetzt. Es gibt durchaus Standorte, wo das möglich ist, auch nach wie vor in Tirol. Zum Beispiel eines an der Rosanna, das kann ich absolut mittragen. Aber es gibt auch viele Standorte, wo attraktive oder seltene Gewässerstrecken betroffen sind, wo besondere Tiere leben und man mit einem Ausbau vorsichtig sein sollte.

Hat die Internationalisierung des Festivals zu höheren Besucherzahlen geführt? 

Johannes Kostenzer: Ja, die Zahlen sind stetig gestiegen, aber wir stehen eigentlich an. Mehr als das Kino fassen kann, geht nicht, außer wir würden verlängern. Das Ziel ist, unsere Qualität zu halten. Wir versuchen, Filmemachern, Sendern, Produktionsfirmen, Kameraleuten eine Plattform zu bieten.

Wie geht’s denn der Branche, besonders der in Österreich? Reichen jedes Jahr dieselben Filmemacher ein? 

Johannes Kostenzer: Es sind schon Fixstarter dabei. Österreich hat im Bereich Naturdokumentationen eine besondere Position. Was umweltrelevante Filme betrifft, sind es eher kleinere Produktionsfirmen, die einreichen, da ist es unberechenbarer, wer einreichen wird. Aber auch für die großen Produktionsfirmen ist es keine sichere Angelegenheit, dass ihr Film ins Programm genommen wird. Wir haben cineastische Ansprüche auch an den Naturfilm, da reicht es nicht, wenn es die schönsten Aufnahmen des Eisvogels beim Fischfangen sind.

Welcher Schwerpunkt erwartet uns heuer beim Festival? 

Johannes Kostenzer: Wir haben heuer zum zweiten Mal einen Schwerpunkt auf dem Thema Boden. Außerdem möchten wir das Festival über den Kern im Kino hinaus in die Stadt tragen. Man soll in der Stadt spüren, dass etwas los ist, bei dem es um Sensibilisierung für unsere Umwelt geht, dazu bieten wir einiges gemeinsam mit Kooperationspartnern:

Es wird in der Altstadt aus Abfällen gekocht werden, Wastecooking von Transition Tirol. Eine Installation des Architektenkollektivs colombusnext auf den Parkplätzen vor dem Kino, das aus Recyclingholz den Raum vor dem Kino als Aufenthaltsraum gestaltet, bricht die Hausfassade optisch auf. Damit Leute, die noch nie in diesem Kino waren, stehenbleiben und sich dafür interessieren, was los ist. Wir wünschen uns, dass auch viele Gemeinschaftsgärten mitmachen, dass es in Innsbruck insgesamt eine grüne Woche wird.

Wir danken für das Gespräch! 


Das Innsbruck Nature Film Festival findet vom 18. bis 21. Oktobe 2016 im Innsbrucker Leokino statt. 

Seit 2001 bietet das Festival eine Plattform für internationalen Naturfilm. An vier Festivaltagen gehören zum Programm Filmpräsentationen, Workshops und ein Rahmenprogramm für ökologischen, technischen und künstlerischen Diskurs. Veranstalterin des Festivals ist die Tiroler Landes-Umweltanwaltschaft. 

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