Hier ist nichts als Wiese. Und dabei soll es bleiben.

© Verlag Jungbrunnen

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Mein älterer Bruder bekam vor knapp dreißig Jahren ein grasgrünes Bilderbuch von meinen Eltern geschenkt. Auf dem Cover streckte ein pummeliger Mann mit rot gelocktem Haar und getupfter Latzhose seine Arme aus, als wolle er jemanden umarmen. Ich konnte das Gesicht des Mannes nicht vergessen.

Und irgendwann stand dieses Buch dann in meinem Bücherregal und ich blätterte es selbst immer wieder durch, schaute mir die Bilder genau an und dachte über diese grüne Wiese nach. Es ist eines der Bücher, welches mir immer wieder in die Hände rutscht und mich auf seltsame Weise durch mein Leben begleitet: „Da ist eine wunderschöne Wiese“ des österreichischen Autors Wolf Harranth. Als ich diese Rezension plante, erfuhr ich, dass dieses Kinderbuch in bekannter Ausgabe heuer sein 30jähriges Jubiläum feiert – es wird zurecht immer wieder neu aufgelegt, da das Thema nach wie vor höchst aktuell ist.

„Keine Autos und keine Straßen!“, sagt Herr Timtim. „Keine grauen Häuser und keine stinkenden Fabriken.“ „Nein“, sagen auch die anderen Stadtleute. „Hier ist nichts als Wiese. Und dabei soll es bleiben.“

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Eine Idylle ist die Wiese, welche die Stadtleute auf dem Land entdeckt haben. Sie fühlen sich so wohl, dass sie immer wieder kommen wollen. Und wo mehrere Menschen auf einem kleinen Fleck zusammenkommen, muss es Regeln geben, müssen Zäune um die einzelnen Liegeplätze gebaut werden, müssen Straßen angelegt werden. Immer mehr gleicht die Wiese dem Ort, von dem die Stadtleute einst ins Wochenende geflohen sind… Die LeserInnen können es wohl kaum glauben, dass sich die einstigen Stadtleute noch immer stolz „Wiesenleute“ nennen, denn Grashalm kann man auf ihrer wunderschönen Wiese bald keinen mehr finden. Auf den letzten Seiten des Bilderbuches hat man fast schon Mitleid mit den Menschen und möchte sie unbedingt vor einem neuen großen Fehler bewahren…

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Wir haben beim Autor des Buches, Wolf Harranth, nachgefragt, ob die zeitlose Thematik der Handlung nach wie vor zur Beliebtheit des Bilderbuchs beiträgt:

Biorama: Gab es vor 30 Jahren einen bestimmten Anlass, dieses Buch zu schreiben?

Harranth: Die „Wiese“ erschien bereits 1972, Illustrator dieser Ausgabe war der in Prag lebende Josef Palecek, mit dem ich mehrere Bilderbücher gestaltete. Mein Anliegen war immer, die Geschichten und ihr Anliegen möglichst realitätsnah zu erzählen, zwar als Fabel oder Parabel, aber angesiedelt in der Lebenswirklichkeit der Kinder. Die Protagonisten sind daher keine Tiere oder Märchenfiguren, sondern „richtige Menschen“, und sie hausen nicht irgendwo, sondern in einem Hier und Heute. Das war gestalterisches Neuland, auch was die Illustration betrifft, die nicht nur den Text bebildert, sondern selbst autonomer Teil des Geschehens wird. Das Bild ist der Anschau-Anker, mit dem das noch nicht alphabetisierte Kind den Text zu einer gesamthaften Sinneinheit memoriert. Und der erwachsene Vermittler ist ebenso Ansprechpartner; ihn darf man getrost auf seine gesellschaftliche/familiäre Mitverantwortung ansprechen.

So entstanden Bücher, die mehr oder weniger geschickt thematisch zupackten, etwa „Claudia mit einer Mütze voll Zeit“ (Zeit für Kinder), „Ein Elefant mit rosaroten Ohren“ (der einzige „Ausrutscher“ in die Tierfabel zum Thema Diskriminierung) oder „Mein Opa ist alt, und ich hab ihn sehr lieb“ (Gegensätze Stadt – Land, jung – alt). Der sorglose Umgang mit der Ressource Umwelt war also „nur“ ein weiteres Thema, an das wir uns wagen wollten. Von Umweltschutz und Ökologie war damals keine Rede. Die Ausgabe von 1972 war – dem Zeitgeist geschuldet – nur zum Teil in Farbe gestaltet, und so kam es 1985 in Zusammenarbeit mit dem Jungbrunnen Verlag zur Neugestaltung in größerem Format, mit einem neuen grafischen Konzept und auch einigen wesentlichen Textänderungen.

Was, denken Sie, machte den großen Erfolg des Buches aus?

Das wachsende gesellschaftliche Bewusstsein und die Bereitschaft der erwachsenen Buchkäufer, vor einem solchen Bilderbuch nicht zurückzuschrecken, sondern es als brauchbares Vehikel in der eigenen Familie zu nutzen. Die bleibende, sogar bedrohlich wachsende Aktualität. Und natürlich auch die kongeniale Illustration von Winfried Opgenoorth.

An welche aktuellen Entwicklungen denken Sie, wenn sie heute über die Thematik nachdenken?

An keine – oder an alle. Man könnte heute auch das Thema Müll einbeziehen. Oder den sorglosen Umgang mit der Ressource Wasser. Oder… oder… Aber vielleicht ist es besser, sich auf ein überschaubares Szenario zu beschränken.

Welche Wertvorstellungen wollten und wollen Sie Kindern mit diesem Bilderbuch mit auf den Weg geben?

Weder ist ein erhobener Zeigefinger, noch eine Schuldzuweisung erforderlich. Ich setzte auf die Illusion, dass die Kinderrechte anerkannt werden, und auf die Illusion, dass unsere Kinder klüger und verantwortungsvoller sein werden als wir. Daher der utopisch-optimistische Schluss mit dem moralischen Appell. Daher aber auch das abschließende Fragezeichen.

Sie besuchen Schulen, um Ihr Buch vorzustellen, machen auch Workshops mit den Kindern. Reagieren die Kinder nach wie vor in gleicher Weise sensibel auf die Verwandlung der Wiese?

Wie Kinder bei unserer Begegnung reagieren, hängt davon ab, ob sie das Buch schon kennen, oder ob ich als Herr Timtim auftrete, der die Kinder nach Lösungen fragt: Zäune, Straßen, Häuser oder Garagen müssten gebaut werden! Irgendwann gehen sie nicht mehr willig mit („Das ist keine Wiese mehr!“), obwohl sie bisher spontan den Kehrreim, dass die Wiese groß genug sei, mitgerufen haben. Ist das Buch schon bekannt, setzt die sonst erst anschließende gemeinsame Aussprache gleich am Anfang an.

Fraglos sind die jungen Menschen heute mehr sensibilisiert als früher, fraglos beteiligen sie sich am Gespräch aber auch im klaren Bewusstsein, was die Erwachsenen jetzt von ihnen zu hören wünschen.

Bilderbücher sind vor allem zum gemeinsamen Kennenlernen zu zweit da, und zum Immerwiederhörenwollen und zum Immerwiederanschauen. Dazu ist die „Wiese“ konzipiert. Den Kehrreimen, den Wiederholungen im Text korrespondiert das Bild, in dem die Wiese Seite für Seite zur Drehscheibe wird, bis der Kreislauf Stadt-Wiese-Stadt geschlossen ist. Man kann jeder Person und ihrer/seiner Nahwelt durch das ganze Buch folgen. Und man kann auch nach Jahren noch Neues entdecken (so wie ich die beiden Frösche, von denen einer den Reifen hält und der andere springt).

Wolf Harranth wurde 1941 in Wien geboren. Schon als Kind setzte man ihn beim Radio als Sprecher von Kinderrollen ein. Nach seinem Schulabschluss war er ab 1960 im Verlag Jungbrunnen tätig, wo er bis 1985 als Lektor und zuletzt als Geschäftsführer arbeitete. Seither ist Wolf Harranth freier Autor, Übersetzer und ständiger Mitarbeiter bei „Radio Österreich International“. Er hat bisher 18 Bücher und 50 Übersetzungen sowie zahlreiche Beiträge in Anthologien veröffentlicht. Für seine Arbeit wurde er mit mehreren Literatur- und Übersetzungspreisen ausgezeichnet. Wolf Harranth lebt in Wien.

„Da ist eine wunderschöne Wiese“ von Wolf Harranth ist im Jungbrunnen-Verlag erschienen. 32 Seiten.

Für Kinder ab 5 Jahren.

Nicht als E-Book erhältlich.

Blickpunkt Umweltschutz und Nachhaltigkeit:

Papier: PEFC-zertifiziertes „Hello Silk“-Papier
Druckfarben: keine Angabe
Druck: Druckerei Theiss GmbH, St.Stefan im Lavanttal (Österreich)

 

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