Buchrezension: »Mein Waldviertel II«
Empfohlen allen, die sich lesend ins Waldviertel versenken wollen.

Ein Buch, das literarische Texte zum Waldviertel vereint. Das zweite bereits, das erste ist vor genau zehn Jahren erschienen. Niemand, der 2014 einen Text beigesteuert hat, ist nochmal dabei. Nur der Herausgeber ist mit Wolfgang Kühn derselbe geblieben. Über besondere Bekanntheit verfügt bislang keiner der dreizehn AutorInnen, die »Mein Waldviertel II« präsentiert. Einzige Ausnahme: Kurt Palm. Das ist ein Vorteil, weil man sich den Texten weitgehend vorurteilsfrei aussetzen kann (sofern man es durchhält, die Kurzbiografien am Ende des Buchs erst nach Lektüre zu lesen). So stilistisch uneinheitlich die Sammlung ausgefallen ist. Formale Experimente gibt es keine. Durchwegs handelt es sich um erzählende Beiträge. Das macht diesen Band zugänglich. Und wenn einmal die literarische Umsetzung nicht völlig überzeugt, etwa bei »Fleisch in der Dunkelheit und andere Mysterien« von Michaela Mandel, dann halten einen zumindest Story oder Thema im Text. Im Genannten trifft sich eine Gruppe von FreundInnen im Gföhlerwald zum Gelage, um gemeinsam Rezepte aus einem Reisetagebuch aus dem Jahr 1487 nachzukochen. Dabei werden gefangene Krebse freigelassen, verkohlen Kapaune, kommt ein Kanister Schweineblut zum Einsatz. Die meisten Texte sind (erwartbar) persönlich. »Ich könnte auch meine Mutter als Gegend, in der ich aufgewachsen bin, bezeichnen«, schreibt etwa Martin Peichl. Oft handelt es sich um Wiederannäherungsversuche an die Gegend, in der man aufgewachsen ist oder viel Zeit verbracht hat (etwa David Bröderbauers Text »Stein und Teich«). Immer ist in der Gegenwart auch das Gestern spürbar. Oft ist das als gut Empfundene aus der Vergangenheit geblieben. Etwa bei der Anreise mit dem Zug die »aus Vorzeiten übrig gebliebene Freiheit, das Fenster zu öffnen, wenn die Fahrt nach Luft und Wind verlangt« (in Andrea Winklers »Gesang der Frösche«). Und auch wenn das fürs Waldviertel Typische vertreten ist – die Teiche, die Stauseen, der Mohn, die Wildkatze und die Fische, die Fichtenmonokultur, der schlechte Handyempfang und der Zweitwohnsitz: wirklich klischeehaft ist keiner der Beiträge.
Lange im Gedächtnis bleibt der autofiktionale Text »Das Dorf« von Valerie Melichar (geboren 1982); eine gut lesbare literarische Montage, die Nähe vermittelt, aber doch klar auf Distanz zu verklärender Ruralromantik bleibt. Die Protagonistin ist Teil des Dorflebens, hat mehr von der Welt gesehen als die auch über die Generationen hinweg ewig gleichen Gesichter des Dorfs. Sie ist zurückgekehrt, aber »keine Heimkehrende«. Der Text schließt mit der Bemerkung: »Das hier beschriebene Dorf ist ein fiktives. Keinesfalls ist es jenes, in dem die Autorin lebt. Es ist wie alle Dörfer. Wer schon mal ein Dorf gekannt hat, kennt auch dieses.« Ein alltagsnaher Gegenwartstext wie geschaffen für den Deutschunterricht.
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Wolfgang Kühn (Hg.), »Mein Waldviertel II«, mit Zeichnungen von Anna Schachinger, Literaturedition Niederösterreich, 2024. | € 24.