Grenzenloses Radeln

Ein Reiseführer für die Erkundung des österreichisch-slowakischen Grenzlandes mit dem Fahrrad.

Die »Fahrradbrücke der Freiheit« zwischen der Slowakei und Österreich.
Die »Fahrradbrücke der Freiheit« verbindet Devínska Nová Ves mit Schloss Hof. Bild: Martin Zellhofer.

Herbst 2020. Die meisten Grenzen sind offen, der Bedarf, in die Ferne zu reisen, ist dennoch gering. Ein schneller Trip zu den NachbarInnen, noch dazu per Rad, geht aber immer. Inspiration dafür bietet die Neuerscheinung »Grenzenlos Radeln 2« aus dem Falter Verlag, die neun Etappen links und rechts der österreichisch-slowakischen Grenze und einen Spazierweg durch Bratislava beschreibt. Schon beim ersten Reinlesen wird klar: Hier geht es nicht ums Kilometerfressen, sondern um die ausführliche Entdeckung einer Region vornehmlich abseits touristischer Trampelpfade. Ein großes Plus der Gegend sind die zahlreichen Bahnverbindungen: Die Strecken Wien–Hohenau, Wien–Marchegg–Bratislava, Wien–Wolfsthal, Wien–Kittsee–Bratislava und Bratislava–Kúty lassen viele Punkte der Etappen problemlos öffentlich erreichen. 

Wochentags, 9.35 Uhr, Angern an der March. Im Bistro »Das Leben ist schön« sitzen die männlichen Gäste schweigend bei Bier und Zigarette. Klingt nach Tristesse, täuscht aber. Das Bistro befindet sich in der nicht mehr benötigten Grenzstation auf der österreichischen Seite der March. Es steht auf Stelzen, ist mit einem enormen Flugdach überzogen und mit dem Preis des Landes Niederösterreich für »vorbildliche gestalterische Leistung« ausgezeichnet. Auf der Terrasse gibt es Kaffee und Kuchen, unten zieht malerisch die March vorbei, Angler versuchen ihr Glück. Eine kleine Fähre setzt mehr oder weniger regelmäßig Autos, Motorräder und RadfahrerInnen über den Fluss. Obwohl ich nur 36 Kilometer Luftlinie von daheim entfernt bin, fühle ich mich sehr weit weg. Wie im Urlaub. Vor mir liegt Etappe 4, fortgesetzt mit einem Teil der Etappe 5, von Angern an der March über Devínska Nová Ves nach Devín. 

Entlang des ehemaligen Eisernen Vorhangs

Der Reiseführer bringt neben einem kurzen historischen Abriss über Angern an der March auch die Highlights der Ortschaft zur Sprache: Den letzten stehenden Pfeiler des abgerissenen Schlosses und die moderne Pfarrkirche aus den 1950er-Jahren hätte ich ohne die Hinweise im Buch erst gar nicht beachtet. Zudem liefert es zu beiden Punkten ausführliche kulturgeschichtliche Erläuterungen und Biografien involvierter Personen. 

Sieht nicht danach aus, ist aber der internationale Grenzübergang zwischen Angern an der March und Zahorska Ves. Bild: Martin Zellhofer.

Um einen Euro bringt mich die Fähre (der Radtransport ist gratis) auf die andere Seite. Immer bedenken: Wir überqueren hier eine einst unüberwindbare Grenze! Der Reiseführer greift auch für Záhorská Ves, der westlichsten Ortschaft der Slowakei, ein paar interessante Plätze, wie die ehemalige Kaserne des Grenzschutzes oder die ehemalige Zuckerfabrik (angeblich eine der größten der Welt), heraus. In der Nähe der Ortschaft, informiert die Autorin Julia Köstenberger, haben 1934 flüchtige Schutzbündler nach dem niedergeschlagenen Februaraufstand durch eine Furt die Grenze überquert. 

Durch Felder, Wiesen und Wälder, vorbei an Storchennestern, Tümpeln und Altarmen der March geht es, die Kleinen Karpaten im Blick, flussabwärts. Es ist recht einsam, obwohl Bratislava nicht weit weg ist. Entlang der abgeernteten Getreidefelder riecht es hochsommerlich, in der Nähe des Wassers manchmal brackig. In den dichten Auwäldern ist es im Sommer wie im Winter feucht und kühl. Besonders romantisch ist die Fahrt durch das Naturschutzgebiet Dolný les, das größte zusammenhängende Auwiesengebiet Mitteleuropas. Zahlreiche Tafeln erklären auch auf Deutsch Fauna und Flora. Bei jedem Stopp plagen die Gelsen. Pausen sind aber eine wahre Bereicherung, denn die Autorin erzählt, locker und informativ, über die lokale und internationale Geschichte, über ehemals und immer noch bedeutende Gebäude aller Art, kleine Museen, jüdische Spuren, Bunkeranlagen entlang der Grenze, Naturschutzzonen und -projekte entlang der March, Denkmäler und ihre Hintergründe, Kirchen. All das will natürlich besichtigt werden.

Highlight der Tour: Der Zusammenfluss von March und Donau

Am südlichsten Punkt der Fahrt, in Devín, mehren sich die AusflüglerInnen. Kein Wunder: Hier mündet die träge, dunkle March in die schnell fließende, hellere Donau. Unmittelbar daneben thront die Burgruine Devín auf einem hohen Felsen. Von der Burg aus bietet sich ein imposanter Blick auf die Vereinigung der beiden Flüsse und ins Marchfeld. Ostwärts stehen die Plattenbauten von Petržalka. Die beeindruckende Kulisse lockt zahlreiche TouristInnen, trotz Corona sind verschiedene europäische Sprachen zu vernehmen. Zahlreiche Gastgärten rund um die Burg und in Devín selbst laden zum Verweilen. Außer der traditionellen Limonade Kofola und dem Krügel Bier, das man immer noch unter zwei Euro bekommt, ist beim Wirt im vermeintlichen »Osten« allerdings nichts mehr günstig. Von Devín aus kehre ich über die »Fahrradbrücke der Freiheit« zurück nach Österreich. 
Schöner Ausflug, kundig begleitet. Julia Köstenberger bettet kleine Geschichten in größere und große Zusammenhänge, fächert kulturgeschichtliche und historische Hintergründe auf und blickt auf kleine Details am Wegrand. Kilometerangaben und Kartenausschnitte (ich bin ohne zusätzliches Kartenmaterial gut durchgekommen), wichtige Adressen (Websites und echte) komplettieren den Reiseführer. Ist die Anreise nicht allzu weit, lassen sich alle Etappen als Tagesausflug erradeln. 

Blick von der Burg Devín donauaufwärts Richtung Österreich. Bild: Martin Zellhofer.

Zum Weiterlesen

Julia Köstenberger: Grenzenlos Radeln 1. Die schönsten Touren zwischen Österreich und Tschechien. Orte entdecken, Natur erleben, Geschichte erfahren (Falter Verlag, 2018).
Martin Leidenfrost: Die Welt hinter Wien. Fünfzig Expeditionen (Picus Verlag, 2008).

Wer lieber zu Fuß als mit dem Rad unterwegs ist, findet in dem Wanderführer: »Mit Bahn und Bus in die Natur« 46 Touren in ganz Österreich, die alle ohne Auto erreichbar sind.
Wie man sich auf Wanderungen von der Natur ernähren kann, ist hier nachzulesen.

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Dieser Artikel ist im BIORAMA # erschienen

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