Nach Milch im Mehrweg-Glas kommt 2020 Joghurt-Pfand

(Foto: REWE)

Manch Verpackung lässt – und ließ – sich problemlos vermeiden. Andere wiederum schützt Lebensmittel vor schnellem Verderben oder verhindert, dass Bioprodukte mit konventioneller Ware verwechselt werden. BIORAMA wollte von Martina Hörmer von Ja! Natürlich wissen wie nachhaltig die Mehrweg-Glasflasche für Milch wirklich ist, wann die Plastiktassen für Wurst und Fleisch verschwinden, wie teuer nachhaltige Verpackung im Vergleich zu Einweg-Packaging ist, wie sich Müll beim Transport und in der Supermarktlogistik vermeiden lässt – und ob wir KonsumentInnen überhaupt wissen, wohin mit recyclingfähiger Verpackung.

Seit 2011 als Ja! Natürlich seine Green-Packaging-Initiative startete, haben Sie rund 1.000 Tonnen an Plastik eingespart und jedes Jahr neue, teils hoch innovative Verpackungen vorgestellt. Vor allem beim Obst und beim Gemüse wurde zuletzt auch der lose, d.h. der verpackungsfreie Verkauf forciert. Was sind denn die Erfahrungen damit?
Martina Hörmer: Seit 9 Jahren arbeiten wir unter Hochdruck daran, den Plastikanteil im gesamten Warenangebot zu verringern. Wichtig ist dabei immer: Man muss darauf achten, dass durch Verpackungsalternativen oder das Weglassen von Verpackungen nicht der Verderb von Lebensmitteln beschleunigt und so Verschwendung von Lebensmitteln vorangetrieben wird. Ein gutes Beispiel sind Karotten, die im losen Verkauf einfach zu rasch verderben und dann schon im Supermarkt oder spätestens zu Hause im Müll statt auf dem Teller landen. Das wollen wir nicht! Daher haben wir für die Ja!-Natürlich-Karotten seit zwei Jahren einen biologisch abbaubaren Beutel aus nachwachsenden Rohstoffen im Einsatz, der die Haltbarkeit nicht nur gegenüber dem losen Verkauf, sondern auch gegenüber einer herkömmlichen Plastikverpackung sogar noch erhöht. Was will ich damit sagen: Bei jedem Produkt muss abgewogen werden, ob es eine Verpackung braucht bzw. wie benötigte Verpackungen unter Berücksichtigung aller Verpackungsfunktionen – also Produktschutz, Produktsicherheit oder Transportfähigkeit – für das jeweilige Produkt ökologisch optimiert werden kann. Das macht Green Packaging so wahnsinnig aufwendig.

Martina Hörmer präsentiert Ja! Natürlich Pasta im Papiersack. (Foto: Platik)

Wie transportieren denn die KonsumentInnen lose gekaufte Ware nach Hause?
Als wir 2011 gestartet sind: mit dem Plastiksackerl. Inzwischen gibt es aber mehrere umweltfreundlichere Möglichkeiten – unsere Handelsfirmen Billa, Merkur und Adeg bieten im Obst- und Gemüse-Bereich Kotenbeutel aus Kartoffelstärke um 3 Cent, Papiersackerl gratis und die österreichischen Mehrweg-Frischenetze aus Zellulose, die man im 3-er Pack um 3,99 Euro kaufen und immer wieder verwenden kann. Und bei vielen Produkten, von denen man nur ein Stück kauft oder die miteinander verbunden sind, wie Bananen, braucht es oft gar kein Sackerl, es ist üblich geworden, die Klebeetiketten der Waage direkt aufs Produkt zu kleben und in den mitgebrachten Einkaufskorb zu legen.

Beim Thema Verpackungsmüll, Recycling und Mehrweg ist die ganze Gesellschaft gefordert und alle sind gefordert, nach Lösungen zu suchen. Mit welchen Forschungsinstituten, Unis und FHs arbeitet denn Ja! Natürlich zusammen, um hier noch weiter Know-how aufzubauen?
Da gibt es verschiedenste Partner, die hier ihr Know-how einbringen bzw. mit der Entwicklung von alternativen Verpackungen beauftragt werden. Bei den Zellulosenetzen war es etwa das Verpackungszentrum Graz, die Kartontasse für Käse haben wir mit Mondi entwickelt, ich kann hier gar nicht alle Partner aufzählen. Für die Bewertung und Umsetzungsplanung ist jedenfalls die FH Campus Wien, Fachbereich Verpackungs- und Ressourcenmanagement unter der Leitung von Manfred Tacker unser wichtigster Berater und Begleiter.

Bei Wurst- und Fleischwaren braucht es im Supermarkt nach wie vor klassische Kunststoff-Tassen und Folien. Worin liegen denn die Schwierigkeiten, das zu ändern?
Wurst- und Fleischwaren sind sehr heikel hinsichtlich Haltbarkeit und Produktschutz. Tests in der Vergangenheit waren leider nicht erfolgreich, da es Probleme bei der Siegelung der Packungen gab. Die Ware verdirbt dann leicht, wird optisch unschön.
Bei Tassen für Fleisch und Wurstwaren bedarf es spezieller Siegelungen und Barrieren, um den Produktschutz, die Haltbarkeit als auch die Hygiene der Artikel zu gewährleisten. Für vorgeschnittene Wurst (auch bei Käse) ist eine hohe Sauerstoff- sowie Wasserdampfbarriere notwendig. Zudem müssen diese Produkte vor Vergrauen entsprechend geschützt werden. Im Bereich Frischfleisch sind ebenfalls hohe Barrieren für den Produktschutz, in diesem Fall längere Haltbarkeit sowie mikrobieller Schutz, notwendig.
Am besten können diese Anforderungen mit Kunststoff erfüllt werden. Dennoch sind wir aktuell gerade am Evaluieren neuer Lösungen und zuversichtlich, einen alternativen Weg zu finden. 

Im österreichischen Regierungsprogramm ist eine Reduzierung des Verpackungsmaterials um 30% bis 2025 vorgesehen. Der Handel ist da ein wichtiger Akteur, Ja! Natürlich allein wird aber nicht ausreichen, um diese Ziele zu erreichen. Wie sickert denn das Know-how und die Erfahrungen, die Ja! Natürlich sammelt in andere Bereiche der Rewe-Gruppe ein?
Ich freue mich, dass Ja! Natürlich bereits wichtige Schritte gegen die Verpackungsflut gesetzt hat und auch innerhalb der REWE-Gruppe diesbezüglich eine Vorreiter- bzw. Vorbildfunktion einnimmt. Das ist als Bio-Pionier insgesamt unsere Rolle, sowohl intern als auch nach außen hin. Unsere Handelsfirmen sind Ja! Natürlich gefolgt, haben ebenso Maßnahmen gesetzt. Man denke nur an die Papiertragetaschen, die Mehrweg-Obstnetze die 2018 eingeführt wurden oder die alternativen Obst-Sackerl aus Kartoffelstärke und Papier, die nun Ende 2019 endgültig die Kontenbeutel aus Plastik ablösten. 

Gibt es Beispiele, wo die Innovationen von Ja! Natürlich auch von anderen Markenlinien von Rewe übernommen wurden?
Das Zellulosenetz – aktuell beispielsweise bei Zitrusfrüchten im Einsatz – wurde von Ja! Natürlich mit dem Verpackungszentrum Graz entwickelt und Ende 2018 in großem Stil bei der REWE Group in Österreich ausgerollt. In Form einer Mehrweglösung als Netz für den Bereich Obst und Gemüse löste es das klassische Plastiksackerl ab. Seit Einführung des Netzes konnten 12 Millionen Plastiksackerl gespart werden. Wir sind alle stolz, dass das Mehrwegnetz den Staatspreis Smart Packaging 2018 und bei den WorldStar Awards gewann.
Auch unsere Regionalmarke „Da komm ich her“ hat bereits von unseren Erfahrungen mit nachhaltigen Verpackungen profitiert und begonnen, Plastikgebinde durch Kartonagen zu ersetzen. Und natürlich spielt auch bei „Tonis Freilandeiern“ Nachhaltigkeit in der Verpackung eine Rolle. 

Ganz konkret: Was kostet denn die Verpackung einer Tasse Paradeiser mit Zellulosefolie im direkten Vergleich zu einer Verpackung aus herkömmlichen Kunststoff?
Eine nachhaltige Lösung kostet bis zum Dreifachen einer Plastiktasse. Daher muss auch der ökonomische Aspekt immer gut mitüberlegt sein.

Warum ist es so wahnsinnig schwierig, Verpackungsmaterial zu vermeiden? Martina Hörmer von Ja! Natürlich im Interview
Je nach Lebensmittel muss die passende Verpackung gefunden – oder, wenn möglich, ganz vermieden werden. (Foto: REWE)

Einen Schönheitsfehler haben – vom „Bio-Kunststoffsackerl“ bis zur Zellulose – die allermeisten pflanzlichen Verpackungsmaterialien: Sie sind nicht bio-zertifiziert, d.h. es gibt keine Garantien, dass die Pflanzen, die für das Verpackungsmaterial verarbeitet wurden, selbst nachhaltig angebaut wurden. Ein Dilemma?
Das Zellulosenetz besteht aus dem nachwachsenden Rohstoff Holz und ist PEFC-zertifiziert. Auch die Zellulosefolie besteht aus dem nachwachsendem Rohstoff Holz und ist FSC zertifiziert. Das Gras, welches bei unseren Graspapiertassen zum Einsatz kommt, stammt von extensiv bewirtschafteten und ökologisch wertvollen Wiesen. Die Grünflächen werden nicht gedüngt oder chemisch behandelt. Außerdem sind die nachhaltigen Verpackungen kompostierbar. Damit erreichen wir ein hohes Maß an Umweltverträglichkeit. Was alles noch möglich sein wird, wird die Zukunft zeigen. Wir sind hier optimistisch. 

Gibt es Untersuchungen, ob die KonsumentInnen überhaupt wissen, wie sie eine theoretisch kompostierbare Verpackung in der Praxis entsorgen und recyceln?
Spezielle Untersuchungen liegen uns nicht vor. Um Klarheit zu schaffen, drucken wir auf unsere nachhaltigen Verpackungen Informationen zum Material – woraus besteht die Verpackung, warum ist sie nachhaltig und zur Entsorgung „zum Altpapier“ beispielsweise an. 
Altpapiersammeln und Glas-Recycling ist in Österreich gelernt. Hierfür gibt es eine entsprechende flächendeckende und einheitliche Sammelschiene in ganz Österreich. Die Distelölfolie (Karottenbeutel) muss aktuell über die gelbe Tonne entsorgt werden. Kritisch ist eine einheitliche Kommunikation über die Entsorgung von Kunststoffverpackungen, da keine flächendeckende einheitliche Sammelart besteht. Es gibt regionale Unterschiede, ob über die Gelbe Tonne/Gelber Sack nur Hohlkörper oder auch Folien sowie formstabile Verpackungen gesammelt werden. Die KundInnen müssen hier regional unterschiedlich vorgehen.
Auch kompostierbare Verpackungen werden aktuell besser in Städten über den Restmüll denn die Biomüll-Tonne entsorgt, da es noch keine entsprechende einheitliche Sammelschiene gibt. 

Die Einführung der Einweg-Glasflasche von Ja! Natürlich war ein großer Erfolg, aber durchaus umstritten. Es wurde etwa diskutiert, wie nachhaltig Einweg-Glasflaschen überhaupt sein können. Für Frühjahr 2020 hat Ja! Natürlich nun die Wiedereinführung der Mehrweg-Glasflasche für Milch angekündigt. Was waren denn die größten Schwierigkeiten dabei?
Wir haben schon bei der Einführung der Milchglasflasche eine Mehrweg-Variante angestrebt. Allerdings konnte im Frühjahr 2018 niemand sagen, wie die Glasflasche von den Leuten angenommen wird. Daher war es der Molkerei damals zu riskant, in eine entsprechende Anlage zu investieren. Erst durch den großen Erfolg der Einweg-Glasflasche wurde sozusagen die Einführung der Mehrweg-Variante möglich. Das ist ein gutes Beispiel dafür, dass Veränderungen gerade auch beim Thema Green Packaging oft nur in mehreren Schritten gelingen.

Wie nachhaltig ist die Mehrweg-Glasflasche im Vergleich zum Tetrapak?
Zu diesem Thema gibt es aktuell mehrere Studien am Markt, die verschiedene Getränkeverpackungen mithilfe von Ökobilanzen miteinander vergleichen. Ökobilanzen sind für den entsprechenden Anwendungsfall maßgeschneidert, Aktualität und der geografische Raum sind kritisch. Getränkekartons sind eine ökologisch vorteilhafte Einwegverpackung, dennoch präferieren wir Mehrweg-Glas wo möglich. Die Unterschiede in den Umweltauswirkungen zwischen den beiden Verpackungssystemen sind laut unserem wissenschaftlichen Partner in Verpackungsfragen, der FH Campus Wien, nicht signifikant. Glas-Mehrwegflaschen weisen aber deutliche Vorteile auf in Bezug auf die sehr hohe Recyclingfähigkeit, die deutliche Reduzierung eines möglichen Litterings und sie leisten einen wesentlichen Beitrag zur Reduktion des Kunststoffeinsatzes im Verpackungsbereich, was auch seitens der österreichischen Bundesregierung mit Nachdruck gefordert wird.
Unwidersprochen ist die Glas-Mehrwegflasche die nachhaltigere und ökologischere Verpackungsvariante gegenüber der Glas-Einwegflasche und dieser vorzuziehen. Wir sind daher froh, dass wir unsere Milchflasche in Kürze auf Mehrweg umstellen werden.

Wird es in Zukunft auch andere Ja! Natürlich-Produkte in Mehrwegverpackung geben?
Im Herbst 2020 sollen die Joghurts im Mehrweg-Glas folgen. 

Die Verpackung der Ware im Supermarkt selbst ist eine Sache. Eine andere ist die Logistik und die Beschaffung. Jeder kennt die Roll-Wagen, mit denen Ware transportiert wird, die teilweise 10x mit durchsichtiger Einweg-Transportfolie umwickelt wird, damit sie im LKW nicht durcheinanderfällt. Wie geht denn Ja! Natürlich damit um?
Das ist ein wichtiges Thema – Überverpackungen machen bei uns 40 Prozent des Verpackungsmaterials aus! Hier kommt schon bisher bei Ja! Natürlich recyceltes Plastik zum Einsatz, das hier auch zulässig ist, während es für die Verpackung von Lebensmitteln nicht zugelassen wäre. 2020 werden wir den Transportverpackungen verstärkte Aufmerksamkeit widmen, erste Versuche mit Papier statt Plastikfolien wurden bereits durchgeführt. Und sogar an die Versandverpackung der Lieferdokumente ist gedacht – bei einzelnen Lieferanten werden diese bereits in Papiertaschen statt Plastiktaschen gepackt.

Bis 2030 sollen laut EU alle Verpackungsmaterialien recyclingfähig sein. Was gestaltet sich denn bislang am schwersten?
Der Kunststoffbereich vor allem von Verbundmaterialen gestaltet sich aktuell am schwierigsten. Zum einen sind Mehrschichtverbunde aus Kunststoff in vielen Fällen nicht rezyklierbar. Zum anderen gibt es aufgrund der hohen Produktanforderungen (z.B. Sauerstoff- und Wasserdampfbarrieren) noch keine kreislauffähigen Lösungen für alle Produktanwendungen. 
Das Recycling von Plastikfolien ist zwar möglich, aber diese Folien dürfen für Lebensmittel aktuell nicht eingesetzt werden (Ausnahme PET). Wann es eine Zulassung für Lebensmittel gibt, ist offen.
Wie bereits gesagt ist das Sammelsystem in Österreich nicht einheitlich aufgebaut und die KundInnen sind aktuell aus unserer Sicht noch zu wenig informiert, welches Verpackungsmaterial in welchem Sammelbehälter entsorgt werden muss.
Zuletzt stellt auch die Größe bestimmter Verpackungen (z.B. kleine Folien) ein Problem dar, da diese kein sinnvolles Recycling ermöglichen. 

Beim Laserbranding von Kiwis und Avocado, bei verrottbarer Folie und Teigwaren in Papier ist das einigermaßen klar. Aber wie nachhaltig sind eigentlich die Aufkleber – also Klebstoff und Sticker – auf Äpfeln und Bananen?
Die eingesetzten Sticker sind bei Ja! Natürlich aus Papier, somit aus nachwachsendem Rohstoff und verrottbar. Grundsätzlich sind diese nachhaltig, da sie einen entsprechend geringeren Materialverbrauch, Carbon Footprint und geringe Umweltauswirkungen aufweisen. Auch solche kleinen Maßnahmen sind ein Beitrag zum großen Ganzen.

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