The Great Regional Swindle

Je gebildeter, desto eher achten wir – besonders bei Lebensmitteln – auf Regionalität. Weil Regionen aber gefühlte Einheiten sind, gibt es keine rechtsverbindlichen Regeln, was tatsächlich als regionales Produkt gilt. Unser Bauchgefühl täuscht uns ebenso wie geschicktes Agrarmarketing. Denn ein regionaler Ursprung sagt wenig über Qualität oder Güte von Waren aus.

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Gut gemeint ist zwar nicht, wie es im Sprichwort heißt, das Gegenteil von gut. Gerade beim Einkaufen bedeutet der gut gemeinte Griff zu regionalen Produkten aber nicht zwingend, dass ich vom Wochenmarkt oder aus dem Supermarkt mit »besseren« Lebensmitteln nach Hause komme. Auch wenn das immer mehr Menschen annehmen und angeben, beim eigenen Konsum gezielt Regionales zu bevorzugen. Laut Statistik Austria tun das in Österreich beispielsweise 80 Prozent der Bevölkerung. In Deutschland schwanken die Angaben je nach Bundesland und Umfrage. Laut der Initiative »NRW isst gut« beispielsweise, die Nordrhein-Westfalen als Genussland vermarktet, vertrauen immerhin 93 Prozent der Befragten Lebensmitteln aus der Region. Kein Wunder, dass es mittlerweile kaum eine Region gibt, kein Bundesland, das nicht versucht, ganz gezielt Wertschöpfung mit eigenen Regionalsiegeln zu schaffen. »Gutes aus Hessen« promotet etwa Grüne Soße, Handkäse oder Apfelwein von hessischen Streuobstwiesen, die Initiative »So schmeckt NÖ« Erzeugnisse aus gleich 26 niederösterreichischen Genussregionen. So sinnvoll diese Initiativen alle sind, um neben Arbeitsplätzen auch lokale Traditionen und Esskultur zu erhalten, das Problem ist ihre mangelnde Vergleichbarkeit. Denn überall wird anders ausgelegt, was als »regional« durchgeht und welche Zutaten und welcher Prozentsatz eines verarbeiteten Produkts von anderswo herstammen dürfen. Und wären manche Rohstoffe wie Wasser nicht ganz ausgeklammert, dann dürfte auch Coca-Cola im Umkreis der jeweiligen Abfüllanlagen als regional vermarktet werden. Anders als bei Bioprodukten – wo die EU-Bioverordnung genau festlegt und auch kontrolliert wird, was als »bio« oder »öko« gilt, damit Mindeststandards garantiert sind – wird mit dem Regional-Mascherl mitunter auch gezielt getäuscht. Denn es gibt keinerlei Einschränkungen, was als »regional« oder auch »naturnah« bezeichnet werden darf. Am schlimmsten getäuscht wird in der Gastronomie.

»Regional produziert und getrunken«: Coca Cola. Ein Lieferwagen des Global Players, fotografiert in München beim Soft-Drink-Ausliefern. (Foto: Uti Johne)

Regionale Rezepte beim »Alibiwirt« auf der Alm

Wer selbst einkauft, hat wenigstens noch Gewissheit, dass das Gekaufte bis zu einem gewissen Grad aus der Gegend stammt. In der Gastronomie – wo die allermeisten Labels auf freiwilliger Basis und vielfach auch ohne Kontrollen Anwendung finden – beschränkt sich die angepriesene »bodenständige, regionale Küche« manchmal darauf, dass für die Region typische Rezepte verwendet werden. Woher die verkochten Zutaten stammen, besagt das nicht. So urig mitunter die Rezepte sein mögen, selbst auf Almen oder Skihütten sind oft günstig im Großmarkt gekaufte Lebensmittel von irgendwoher im Einsatz. Rudolf Stadler, der Gastrosiegel-Beauftragte der AMA in Salzburg, kritisiert deshalb die von ihm sogenannten Alibiwirte: »›Alibiwirte‹ sind Restaurantbetriebe, die damit werben, dass sie regionale Produkte in ihrer Küche verwenden, das aber nicht belegen können oder wollen. Und das ist in meinen Augen – und auch vom Gesetz her – eine Täuschung, unlauterer Wettbewerb.« Es ist kein Zufall, dass Agrarlobbys deshalb immer wieder auf eine verpflichtende Herkunftskennzeichnung in der Gastronomie drängen. Denn gerade konventionell produzierende bäuerliche Betriebe, die nicht die strengen Bioauflagen erfüllen, geraten durch importierte Billigprodukte immer stärker unter Druck.

Andererseits befeuern gerade sie den Hype um Regionalität und profitieren vom weithin verbreiteten Irrglauben, regionale Produkte wären naturgemäß besser. Selbst die Regionalsiegel der Bundesländer sind mit ihren Definitionen, was sie als regional durchgehen lassen, nicht wirklich konsequent. Wenn das Saatgut aus dem Ausland stammt, das Vlies, auf dem die Setzlinge wachsen, aus Kokos ist, die Anzuchterde wie der Dünger und das Gift zum »Pflanzenschutz« importiert werden und auch die Saisonarbeitskräfte zur Erntezeit aus Osteuropa anreisen, dann bleibt als regionale Zutat manchmal wirklich nur mehr das Wasser übrig.

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Stimmt schon: Man wird selten derart extreme Beispiele finden wie das gerade beschriebene. Das Problem bleibt aber, dass das beschriebene Gemüse ohne Beanstandungen als »regional« vermarktet werden dürfte. Oder beim Fleisch, bei Milch und bei Käse: dass das Kraftfutter für Schweine, Geflügel, Mast- oder Milchrinder viel zu oft günstig aus Südamerika importiertes Soja ist.

Überschätzt: Die Auswirkungen der Logistik

Trotzdem empfehlen auch viele NGOs den Einkauf regionaler Produkte. Wer die Begründungen dafür genau liest, erkennt den Realismus dahinter: Besser wir achten auf Regionalität als auf gar nichts, so der Hintergedanke. Denn dadurch werden wenigstens Transportwege kürzer, Arbeitsplätze in der Region gehalten und auch Wertschöpfung vor Ort geschaffen. Wobei uns auch beim Transport oder dem tatsächlich eingesetzten Energieaufwand unser Bauchgefühl oft täuscht. Dank effizienter Logistik ist es ökologisch mitunter sinnvoller, Bioprodukte von weit her zu holen, als sie ganzjährig »regional« aus dem geheizten Glashaus zu kaufen. Die negativen Auswirkungen des Transports überschätzen wir ohnehin viel zu oft. Was die CO2-Bilanz angeht, sind italienische Biotomaten gegenüber konventionellen aus dem Glashaus aus der Gegend klar zu bevorzugen.

Wir sehen: Die Sache ist kompliziert. Um in diesem Wirrwarr Orientierung zu bieten und auch einen eigenen Standpunkt festzulegen, hat die Umweltschutzorganisation Global 2000 definiert, was aus ihrer Sicht guten Gewissens als regional bezeichnet werden darf: »Zentrale Kriterien regional erzeugter Produkte sind, dass die Rohstoffe, die zur Erzeugung eines Produkts notwendig sind, aus derselben Region stammen müssen, in der sie zum Endprodukt verarbeitet werden.« So einfach, so einleuchtend. Als Ausnahme wird allerdings exemplarisch und explizit Soja zur Schweineaufzucht genannt. Schweinefleisch könne auch dann noch als regional gelten, wenn beim Futter »auf ökologisch und sozial verträglichere Alternativen aus größerer Entfernung (z. B. Soja aus Europa statt aus Südamerika) zurückgegriffen« werde, meint die NGO. Unabhängig davon, ob wir diese Auslegung als Inkonsequenz kritisieren oder als Pragmatismus akzeptieren wollen: Sie zeigt uns, wie unzulänglich der enge Begriff der Regionalität ist, um die komplexen Zusammenhänge einer längst auch in der Region, in der wir wohnen, globalisierten Wirtschaftswelt zu beschreiben.

Als Faustregel gilt: Vertrauen in Regionalität ist gut, Biokontrolle ist besser. Bio und regional – und damit naturgemäß gleich auch saisonal – ist am besten. Und im Zweifel bio.

Was bedeutet Regionalität?

Was heißt regional? Unser Umgang mit Regionalität ist eine Geschichte voller Missverständnisse, gut gemeinter Fehleinschätzungen und gezielter Falschinformation. Wer sich beim Einkauf nicht ausschließlich vom Preis leiten lässt, achtet auf die Herkunft der gekauften Ware. Aber woran erkennt man die – und wie stark wirkt sich die Produktionsmethode, die Region und der Transport etwa auf die Klimabilanz eines Produkts aus?

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