Glücklich wie tanzende Kühe

Nirgendwo in Europa sind die Menschen glücklicher als in Dänemark. Was das mit dem gemeinsamen Zelebrieren des »Tags der tanzenden Kuh« zu tun haben könnte, erklärt die britische Journalistin Helen Russell.

Bild: iStock/Gerard Koudenburg.

»Happy? Auf einer Skala von zehn?« Niemand, der Helen Russell in ihrem ersten Jahr in Dänemark über den Weg lief, blieb von dieser Frage verschont. An der Seite ihres Mannes wagte die Londoner Lifestylejournalistin den Sprung übers Meer – in die dänische Provinz. Was die gestresste Großstädterin, deren Job es stets gewesen war, die Segnungen und Glücksversprechungen des hedonistischen Konsums auf Hochglanzseiten abzufeiern, an Dänemark besonders reizte: Es galt – und gilt – als das glücklichste aller europäischen Länder.

Sechs Jahre später lebt sie immer noch in ihrer Wahlheimat, ist immer noch verheiratet und hat einen fünfjährigen Sohn und zwei einjährige Zwillinge. Ihre Glücksbücher sind globale Bestseller. Journalistisch arbeitet sie u. a. für »The Telegraph«, »The Observer« und »The Independent«. 

Ich muss diese Frage einfach stellen. Auf einer Skala von eins bis zehn: Wie glücklich sind Sie gerade?

Helen Russell: Es war ein langer Winter und ich habe sehr kleine Kinder, die nicht so viel Schlaf zulassen, wie ich gerne hätte, deshalb würde ich sagen, dass ich aktuell bei acht stehe.

Wenn wir von den DänInnen lernen wollen: Was wären die allerersten Schritte auf dem Weg zum Glück?

Helen Russell:Wir müssen, glaube ich, verstehen, dass das etwas Zeit und auch einige Anstrengungen braucht – und dass Glücklichsein nicht bedeutet, dass wir an jedem einzelnen Tag euphorisch die Hände gen Himmel reißen. Es geht darum, ein gutes Leben zu führen und darauf zu achten, dass es eine Balance zwischen lohnender Arbeit, Aufregendem und Zeit für Familie und FreundInnen braucht.

Sie haben Großbritannien und Dänemark im Vergleich: Welche Auswirkungen hat es auf unser Glück, wenn wir in einem Wohlfahrtsstaat wie Dänemark leben?

Helen Russell: In einem Wohlfahrtsstaat zu leben bedeutet, dass – zumindest in der Theorie – alle versorgt sind. Deshalb ist das Level des Vertrauens tendenziell höher, weil du dir nicht dauernd Sorgen machen musst, dass dir deine NachbarInnen etwas stehlen, um selbst etwas zu essen auf den Tisch zu bekommen, einfach weil die Grundbedürfnisse aller zum größten Teil vom Staat abgedeckt werden. Das bedeutet, dass du mit deutlich weniger Angst leben kannst und den Kopf frei hast, glücklich zu sein. Der südafrikanische Begriff Ubuntu beschreibt ein Glückskonzept, das sich grob mit »I am because you are« zusammenfassen lässt – dass ich nicht glücklich sein kann, wenn irgendjemand rund um mich unglücklich ist. Ein Wohlfahrtsstaat ist wohl ein Schritt in diese Richtung – darin kümmern wir uns um unsere gemeinsame Humanität. Alle tragen etwas bei und du lernst etwas besser teilen.

Auch Selbstdisziplin dürfte ein Schlüssel zum Glück sein, zumindest wenn wir es schaffen, abends keine beruflichen Mails mehr zu checken. Macht uns Digital Detox glücklicher?

Helen Russell: Bis zu einem gewissen Grad, ja. Eine Studie des dänischen Happiness Research Institute hat herausgefunden, dass typische Facebook-UserInnen während eines einwöchentlichen Sabbaticals von der Website um 55% weniger gestresst waren. Wir wurden einfach nicht für Social Media oder einen 24-stündigen Nachrichtenstrom geschaffen.

Aufs Erste scheint es etwas absurd, wie Sie in Ihrem Buch beschreiben, dass das gemeinsame Feiern des »Tags der tanzenden Kuh«einen positiven Einfluss auf das Glück der DänInnen haben könnte.

Helen Russell: Nun ja, der »Tag der tanzenden Kuh«ist nicht weniger als ein Abfeiern der einfachen Freuden des Lebens: Es bringt Leute zusammen, draußen, man erfreut sich bewusst an der Natur und verbringt gemeinsam Zeit. Außerdem schauen wir Kühen dabei zu – also Wesen, die sich eigentlich eher gleichmütig durch die Landschaft bewegen –, wie sie aus purer, animalistischer Freude und Aufregung außer sich sind, wenn sie nach einem langen Winter das erste Mal auf die Weide dürfen und im Grünen herumtollen. Das ist witzig anzusehen, altmodisch und basic, aber es ist eine Wonne, das miterleben zu dürfen. Und wie gesagt: Alle feiern gemeinsam – und es ist erwiesen, dass Gemeindeveranstaltungen die Menschen glücklicher machen und die Bindung innerhalb der versammelten Gruppe stärken.

In Ihrem Buch »Hygg Hygg Hurra!« schildern Sie auch, dass die durchschnittlichen DänInnen einen sehr natürlichen Umgang mit Tieren pflegen, sowohl mit Haustieren als auch mit Nutztieren – zumindest im direkten Vergleich zum britischen Großstadtmenschen.

Helen Russell: Wenn es um Tiere geht, sind die Menschen in Dänemark einfach weniger sentimental. Sie fühlen sich mehr als Teil des Kreislaufs des Lebens. In Großbritannien gibt es doch einiges an Heuchelei – Leute, die einerseits ihre Tierliebe ausleben, andererseits aber nicht darüber nachdenken wollen, woher die abgepackten Hühnerfilets stammen, die sie im Supermarkt kaufen.

Bild: iStock.com/IP Galanternik D.U.

Wenn ich Ihr Buch richtig verstanden habe, dann dürften es vor allem gemeinsame Rituale und ein eher fixer Terminplan im eigenen Freizeitverhalten sein, welche die Menschen in Dänemark so besonders glücklich machen.

Helen Russell:Absolut. Was in Dänemark so ganz anders ist als in Großbritannien, ist das gemeinsame Ausüben von Sport, das sind die gemeinsamen Gruppenaktivitäten – in Vereinen oder Verbänden. Es gibt 80.000 davon in Dänemark und jeder ist im Durchschnitt in 2,8 davon Mitglied. Das hält einen aktiv, schafft Geborgenheit und Zusammenhalt. Studien belegen, dass du eher an einer Sache dranbleibst, wenn du es mit anderen Menschen teilst – einfach weil es so mehr Spaß macht und du Gleichgesinnte oder andere Teammitglieder nicht »im Stich lassen«möchtest. Außerdem stiftet das Sinn. Dem australischen Happiness Institute zufolge verbessert es unsere Lebensqualität, ein Hobby zu haben. Und uns herauszufordern oder etwas Neues auszuprobieren schafft neue neuronale Verbindungen im Gehirn. Auch an der San Francisco State University wurde gezeigt, dass es uns glücklicher macht, wenn wir uns neue Fertigkeiten aneignen.

Haben diese Erkenntnisse und die professionelle Beschäftigung mit Glück Ihre eigenen Hobbys verändert? Haben Sie sich neue gesucht?

Helen Russell:Es macht uns glücklicher, kreativer, energetischer, fokussierter, weniger gestresst und sogar weniger anfällig für Depressionen, wenn wir das ganze Jahr über Zeit in der Natur verbringen; auch das haben Studien gezeigt. Ich habe mich also wirklich um Hobbys bemüht, bei deren Ausübung ich draußen bin, unabhängig vom Wetter. Im Zuge meiner Recherche habe ich unter anderem Radfahren, Laufen, Yoga und – vielleicht zu ehrgeizig – Kochen für Fortgeschrittene ausprobiert. Ich bin einem Chor beigetreten, was ich wirklich geliebt habe, auch wenn ich wirklich keine Ahnung hatte, was genau ich da auf Dänisch gesungen habe. Dieser Prozess hat mir einige erstaunliche neue Bekanntschaften beschert und einen Crashkurs in dänischer Kultur. Die Hobbys, bei denen ich geblieben bin, sind experimenteller Tanz, weil das gut ist, mich aus meiner Komfortzone zu stoßen und ich mich da als Teil einer Community fühle, und Stand-up Paddle Boarding – das ist eine großartige Möglichkeit, Zeit in der Natur zu verbringen, und außerdem tragen die negativen Ionen des Wassers nachweislich zu unserem Wohlbefinden und unserer Gesundheit bei. Ich gehe auch sehr viel, jeden Tag.

Apropos Gehen, meine letzte Frage: Werden die BritInnen glücklicher sein, wenn sie die EU verlassen haben?

Helen Russell: Leider nein, das bezweifle ich – obwohl es Großbritannien im »World Happiness Report«der Vereinten Nationen 2019 vom 19. hinauf auf den 15. Platz geschafft hat. Dass wir die EU verlassen, stimmt mich wirklich traurig. Ich fühle mich definitiv als Teil Europas und war immer stolz darauf, Teil der EU gewesen zu sein.

»Hygg Hygg Hurra! Glücklich wie die Dänen«von Helen Russell ist als Taschenbuch im S. Fischer Verlag erschienen, übersetzt von Andrea Kunstmann.

Ihr »Atlas of Happiness: The Global Secrets of How to Be Happy«, 2018 von Hodder & Stoughton veröffentlicht, erscheint im Dezember 2019 ins Deutsche übersetzt im Kindler Verlag, vermutlich unter dem Titel »Reise zum Glück«.

Bild: Simon Meyer.

VERWANDTE ARTIKEL