Gefundenes Fressen #9

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Hier schreiben Sonja Stummerer und Martin Hablesreiter über Essen als essentielles politisches und kulturelles Thema. Zum Neunten. 

Ein Wiener Eissalon hat heuer sein Servicekonzept auf Selbstbedienung umgestellt. Dazu gehört scheinbar auch der Verzicht auf Glas, Porzellan und Metall. Gelato kommt nur noch im bunten Plastik auf den Tisch. Schale, Löfferl, Trinkbecher, etc. wandern nach einmaligem Gebrauch in Mülltonnen. Das ist billiger. Augenblicke voller Genuss produzieren Müll. Die „kleine Sünde“ – Eis – wird zur Energie- und Ressourcenverschwendung.

Massenkonsum scheint Alltagsgegenstände wie die Maschinensemmel, Tiefkühlpizza, Mineralwasserflaschen oder Wegwerfgeschirr zu benötigen. Vom „coffee to go“ bis zur Papierserviette, vom Plastikgaberl bis zum Pizzakarton sind wir ständig umgeben von (designten) Einwegprodukten. Die Menschheit produziert unter Zuhilfenahme schwindender Ressourcen, fossiler Energie oder elendslangen Transportwegen Dinge, die wir nach einminütigem Gebrauch gleich wieder verbrennen. Design – ob Food oder nicht – steht damit auch an der Schnittstelle zwischen Ressourcenaufwand und Müllproduktion.

In Anbetracht von Klimawandel, weltweiten sozialen Verwerfungen und einer westlichen Gesellschaft der Überproduktion und des Überkonsums sollte vielleicht der Lebensmittelmarkt etwas überdacht werden. Biobrot fünf Minuten vor Supermarktladenschluss verlangt nach Teiglingen, also nach Industriedesign. Ein „Coffee to go“ wird weder von einem angestellten Kellner serviert, noch in einer abwaschbaren Tasse gereicht. Wir haben nicht über „food waste“ zu diskutieren, sondern über Überproduktion und damit über das Dogma der westlichen Gesellschaft, über das Wirtschaftswachstum. Ob sich die sogenannte westliche Welt für oder gegen Nachhaltigkeit wendet, wird letztendlich am Umgang mit „dem Objekt“ entscheiden.


Über Gefundenes Fressen:

Jeder Bissen ist ein politischer Akt. Was wir wann wie und warum essen, kann unwürdige Arbeitbedingungen, Bodenerosion in Zentralafrika oder brennende Amazonasflächen auslösen. Die Frage des täglichen Essens hat nichts mit Diäten, Rezepten oder Gourmetkritiken zu tun sondern mit CO2 Emissionen, Fracking oder Gentechnologie. Jeder Biss ist Kultur. Jedes Schlucken ist Politik. Sonja Stummerer und Martin Hablesreiter wollen in ihrem Blog das Essen als essentielles politisches Thema in der Mitte der Gesellschaft positionieren, weil die Aufnahme der alltäglichen Kalorien nicht nur eine Frage von Genuss und Geschmack sondern auch der Lebenseinstellung und Denkweise einer Gesellschaft ist. Erst das Fressen, dann die Moral? Nein.

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