Elisabeth Scharang: „Mut haben alle, uns fehlen nur die Vorbilder“

Mario Rampitsch, Büro En Garde. Bild: Elisabeth Scharang KGP 2014

Mario Rampitsch, Büro En Garde. Bild: Elisabeth Scharang KGP 2014

„Kick Out Your Boss“, der Dokumentarfilm von Elisabeth Scharang, dreht sich um die Neuorganisation von Arbeit. Arbeit betrifft uns alle. BIORAMA hat die Regisseurin zum Interview getroffen.

Wenn wir schon beim Thema Arbeit sind: So lange kann Arbeit auch liegen bleiben. Denn als ich Elisabeth Scharang zum Interview treffe, ist es eigentlich noch nicht einmal Sommer. Die österreichische Regisseurin hat ihren Dokumentarfilm „Kick Out Your Boss“ damals gerade in Warschau vorgestellt. Drei Unternehmen lassen uns an dem Denkprozess teilhaben: Von Semco in Brasilien, das dessen Mehrheitseigentümer Ricardo Semler mit radikaler Demokratisierung wirtschaftlich erfolgreich macht, über Serbien, wo sich Arbeiter eine eigene Fabrik bauen nach Graz, wo junge Menschen im Lend ihre Wünsche an ein Arbeitsleben umsetzen.

Nach der internationalen Premiere tourt der Film nun durch die österreichischen Kinos. Daneben haben Menschen aus der ganzen Welt die Möglichkeit ihre Gedanken und Erfahrungen auf der interaktiven Plattform www.kickoutyourboss.com zu teilen. Jetzt, Ende November, startet „Kick Out Your Boss“ im Admiral Kino in Wien. Zeit, die begonnene Arbeit an diesem Interview zu vollenden …

BIORAMA: Gut, reden wir über Arbeit.

Elisabeth Scharang: Manchmal arbeitet man für Geld, manchmal für Freunde, manchmal für sich selber. Der Begriff Arbeit löst sich dann irgendwo. Die Beweglichkeit, die man innerhalb von Strukturen haben kann, finde ich sehr wichtig.

Beschreibst du da deine eigene Flexibilität? Oder warst du selbst schon einmal in Strukturen gefangen?

Nein. Zwischen 10 und 14 Jahren wollte ich Skirennläuferin werden. Ich hab später dann aber angefangen zu Studieren. Das Gestalten meines Umfelds war immer das, was mich interessiert hat. Das hab ich aber nicht mit einem fixen Job verbunden. Ich hab mich dann für’s Arbeiten statt für die Uni entschieden. Über das Radio und Fernsehen bin ich dann zum Dokumentarfilm gekommen. Ich wollte mich länger mit etwas beschäftigen – und mit dem Begriff der Wahrheit.

Regisseurin Elisabeth Scharang

Regisseurin Elisabeth Scharang

Wo liegt denn die Wahrheit in der Arbeit?

Jeder hat seine Wahrheit und dann gibt es Schnittmengen. Immer wenn ich auf Urlaub fahre, sind die Tage davor ein Albtraum. Ich schwör dir, dass es vielen Leuten so geht. Was bedeutet das für die Welt da draußen? Welchen Druck macht man sich da? Was heißt Anerkennung, was heißt Erfolg?

Auf FM4 hab ich gelesen, dass du die Arbeit an „Kick Out Your Boss“ begonnen hast, als sich die freien Mitarbeiter im ORF vor mehr als zwei Jahren zusammengetan haben, um bessere Bezahlung zu fordern. Was war deine Intention?

Vor vier Jahren hatte ich eine Phase, in der zwei Projekte abgesagt worden sind. Da hab ich nicht gewusst, wie ich weiter tun soll. Parallel dazu ist im Funkhaus eine Bewegung der freien Mitarbeiter entstanden. Wir haben uns zusammengetan und es war super, was allein die Solidarität untereinander ausgelöst hat. Öffentlichkeit schützt. Es war gut zu sehen, wie man zusammen an alten Strukturen rütteln kann.

Wenn du aber niemanden hast, der kontinulierlich dran arbeitet, dann verändert sich nichts. Alleinerziehende Mütter, Arbeitslose oder Selbstständige haben diese Strukturen nicht. Ich habe beschlossen diesen Film zu machen, um herauszufinden, ob es Leute gibt, die in Bezug auf Arbeit andere Ideen haben, um zu schauen, wohin kann man sich bewegen kann und was das mit Menschen macht.

Hast du dich bewusst dafür entschieden, drei sehr positive Beispiele von Neuorganisation im Arbeitsbereich vorzustellen? Reden wir zu oft über das Schlechte an der Arbeit?

Negativität ist grundsätzlich kein Problem, weil es gut ist zu sagen: „Das ist scheiße.“ Aber es ist auch wichtig, im eigene Umfeld dann etwas zu bewegen. Bei En Garde war es beispielsweise so, dass die Firma innerhalb von drei Jahren sehr groß geworden und von 3 auf 30 Mitarbeiter gewachsen ist. Bei En Garde hat sich während des Films alles geändert. Hol dir ein Filmteam in deine Firma und du brauchst kein Coaching mehr. Wenn ich vor Ort bin, stelle ich Fragen, für die man im Alltag vielleicht keine Zeit hat. Dabei werden Kommunikationsprozesse losgetreten. Die Firma ist also gewachsen, aber die Struktur ist nicht mitgewachsen. Die Frage bei En Garde war: Wie können sie trotzdem ihrer Idee treu bleiben? Das führte so weit, dass Johannes und Mario, die beiden die in der Doku auch in Brasilsien mitwaren, nicht mehr dabei sind. En Garde hat sich verändert und das ist auch gut so. Es heißt nicht, dass die Idee gescheitert ist, sondern die Leute sind einfach weitergegangen.

Adir Fassina, Arbeiter, Semco. Bild: Elisabeth Scharang KGP 2014

Adir Fassina, Arbeiter, Semco. Bild: Elisabeth Scharang KGP 2014

Du warst u.a. bei Semco in Brasilien. Keine Anwesenheitspflicht, selbstbestimmte Gehälter, beinahe keine Hierarchie. Was klingt wie die utopische Vision einer romantischen Wirtschaft. Wie ist es dort wirklich?

Bei Semco bin ich hingefahren und wollte mal schaun, ob das wirklich so funktioniert. Ich wollte sehen, wie sie das umsetzen, was man so liest. Ich habe erstmal zwei Tage gebraucht, um herauszufinden, wer in diesem Großbüro in Sao Paolo überhaupt der Chef ist. Da hat sich kein Pressemensch um mich gekümmert, sondern ich konnte einfach überall hignehen und mit jedem reden.

Die Schweizer haben mit einer Mehrheit gegen die von Gewerkschaften und Linken geforderte Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns gestimmt. In Wien wurde im Sommer ein Mitarbeiter eines Restaurants enlassen, weil er sich einen Löffel Zucker auf seine selbstgekauften Erdbeeren gestreut hat. Gönnen wir uns gegenseitig nichts?

Ich hab nach dieser Plachutta-Geschichte in einem Magazin eine Geschichte gelesen: „Dafür können Sie entlassen werden“. Da wurden Fragen behandelt wie „Darf ich mich unerlaubt von meinem Arbeitsplatz entfernen?“ oder „Darf ich während meiner Arbeitszeit ein Privatgespräch führen?“ Wir sind erwachsene Menschen. Außerhalb deines Arbeitsplatzes musst du deine Familie organisieren, deine Kinder großziehen, dich selber versorgen, Steuern zahlen … das wird dir alles zugetraut. Aber dass du innerhalb deines Jobs deine Arbeit einfach so erledigst, wie du sie für richtig hältst, das traut man dir nicht zu.

Ist Mitarbeiterbeteiligung der Schlüssel zum Erfolg?

Ich weiß es nicht. Ich kann dich nur fragen: Würde das bei euch anders funktionieren? Ich glaube, es ist ein Schlüssel – nicht nur in Bereichen, wo Leute kreativ, nachhaltig etc. arbeiten, sondern in allen Bereichen. Im Supermarkt genauso wie in der Werkstatt. Mitbeteiligung ist Selbstverantwortung. Die ganze Macht in einer Hand zu halten ist nicht nur wahnsinnig anstrengend, sondern im Endeffekt bedetut es Stillstand. Wie willst du mit Leuten zusammenarbeiten, denen du keine Verantwortung übergibst, die aber tolle Ideen haben sollen?

Belegschaft, Jugoremedija, Serbien. Bild: Elisabeth Scharang KGP 2014

Belegschaft, Jugoremedija, Serbien. Bild: Elisabeth Scharang KGP 2014

Warum glaubst du gibt es so wenige Firmen, die so eine Struktur leben können, oder sie sich so etwas trauen?

Weil es eine Frage von Machterhalt ist. Das war auch meine erste Frage bei Semco: Eure Firma läuft mit diesem Konzept seit 30 Jahren sehr erfolgreich, die Leute arbeiten hier gern. Warum macht das nicht jeder so?

Semler hat gesagt: „Du kannst nicht sagen, du willst das, gibst aber auf der andere Seite nichts. Die Frage ist, wie sehr du deinem Chef  vertraust und er seinen Mitarbeitern?“ Vertrauen ist in der Arbeitswelt aber nicht gerade unsere Stärke.

Glaubst du, dass Arbeit heutzutage richtig entlohnt wird? Geht’s um den Gehaltszettel, den man am Ende des Monats bekommt? Kann man vielleicht auch etwas erreichen, wenn man mit Möglichkeiten, oder den Angebot, auf die Fähigkeiten anderer zurückzugreifen, entlohn wird? Ist das eine Utopie?

Ich habe eher das Gefühl, dass das Realität ist. Die Leute, die mehr und mehr verdienen, die sind eine kleine Gruppe. Die Leute, die wenig verdienen und unzufrieden sind mit ihrer Arbeit, sind eine große Gruppe und dann gibt’s die, die wenig verdienen und trotzdem glücklich sind. Ich habe z.B. aufgehört, zu vergleichen. Ich frag nicht mehr nach, wie viel andere bkommen. Ich überlege mir, was sich für mich richtig anfühlt. Davor steht die Frage: Was brauche ich und was kostet mich das?

Ich glaube auch, dass die Spezialisierung auf eine Sache nichts bringt. Das Leben ist ein Garten und wenn du den als Monokultur anlegst, dann is alles hin, sobald du einen Schädling hast. Vielleicht kann etwas, wofür du Interesse hast, auch einmal etwas werden, womit du dein Geld verdienst. Man sollte sich als Mensch einfach als vielfältigeres Wesen sehen.

En Garde, gemeinsames Mittagessen. Bild:  Elisabeth Scharang KGP 2014

En Garde, gemeinsames Mittagessen. Bild: Elisabeth Scharang KGP 2014

Da gehört aber auch Mut dazu.

Ich glaube, den Mut haben alle, uns fehlen nur gerade die Vorbilder. Es gibt noch keine Langzeitstudien über Menschen, die seit 20 Jahren mit dem Internet leben. in Wirklichkeit ist das alles vollkommen neu. Man sollte immer behirnen: Es gibt nicht die, die’s besser wissen. Alle sind immer am Ausprobieren. Und deine Bedürfnisse kennst nur du selber. Wie viel Schlaf brauchst du? Was macht dir Freude? Wie viel Geld brauchst du? Ich halte nichts von Statistiken. Wenn eine Statistik sagt, dass du arm bist, wenn du unter 1.200 Euro im Mmonat verdienst, dann muss das nicht so sein.

Glaubst du an den Unterschied von Arbeit und Freizeit?

Manche brauchen das und manche brauchen es nicht. Und manche würden es brauchen. Bei der Zahnarzthelferin da drüben macht es wohl Sinn, dass sie um 18 Uhr nach Hause geht und dann nicht mehr über ihre Arbeit nachdenkt. Bei dir macht es wahrscheinlich weniger Sinn.

Ist das hier für dich Arbeit?

Nein. Ja und Nein. Es wäre Arbeit, wenn ich hier mit jemandem sitzen würde, der etwas von mir will, das mühselig für mich wäre. Aber so rede ich über das, was mich interessiert. Deswegen mache ich auch Filme: Während dem Dreh, während der Gespräche komme ich auf neue Facetten drauf. Am Ende haben hoffentlich alle Beteiligten etwas mitgenommen.

Die Wien-Premiere von „Kick Out Your Boss“ ist am 20. November im Admiral Kino. Ab 21. November läuft die Doku dann regulär. Im Rahmen von Sonntagsmatineen werden verschiedene Aspekte zum Thema neue Arbeits- und Unternehmensstrukturen diskutiert.

Alle Infos: www.kickoutyourboss.com

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