Chronisch unruhig

Die Unternehmerin und Pensionistin Renate Schlatter kennt keinen Ruhestand. Ein Gespräch über Reparatur – und Instandhaltung.

Renate Schlatter
Die 65-jährige Geschäftsführerin des Villacher Kaufhauses »ReVilla«, Renate Schlatter, denkt nicht ans Aufhören. Bild:Revilla/Musabeg Magmedov.

Die Kärntner Geschäftsfrau Renate Schlatter hat Jahre in Deutschland, dann in der Schweiz gelebt und gearbeitet, mit 60 hätte sie nach einem Jahr als Angestellte in Österreich ihre Pension antreten sollen. Die im Ausland erworbenen Pensionszeiten konnten noch nicht abgerufen werden und Schlatter dachte nicht daran, zu arbeiten aufzuhören. Auf dem Arbeitsmarkt sah es jedoch schlecht für sie aus. Sie gründete den Verein »unruhestandAktiv« mit dem klingenden Vereinszweck »Förderung der Generationensolidarität in Wirtschaft und Gesellschaft« und auch dessen Jobplattform für über Fünfzigjährige: »Das war sinnlos«, sagt sie heute, »weil die Unternehmen gar nicht bereit waren, ältere Leute noch einzustellen. Zu teuer«. Statt einen Job anzunehmen, der weit unter ihrer Qualifikation liegt, hat sie ein Reparaturnetzwerk aufgebaut, das sich gegenseitig hilft, und in Folge ein Reuse-Kaufhaus in Villach eröffnet. Im September dieses Jahres wurde sie dafür mit dem Austrian-SDG-Award vom österreichischen Ableger des internationalen Vereins »Senat der Wirtschaft« ausgezeichnet.

BIORAMA: Wie geht es Ihnen und den anderen Mitgliedern des Vereins so im Unruhestand?

Renate Schlatter: Wir sind gut beschäftigt und wurden inzwischen auch mehrfach für unsere Initiativen ausgezeichnet. Wir wollten zeigen, dass es viel ungenütztes Potenzial und Know-how Arbeitswilliger 50 plus in der Gesellschaft gibt, und haben daher nach Möglichkeiten gesucht, diese Leute vor den Vorhang zu holen. Dabei ist uns das Format Repaircafé begegnet und ich dachte: Das ist es! Da versammeln wir unterschiedlichste Berufsgruppen, können ElektrikerInnen und TechnikerInnen genauso brauchen wie MarketingexpertInnen. Unsere erste Motivation war, einen dauerhaften Treffpunkt zu haben, wo alle zeigen können, was sie können, auch Jüngere.

Man kann wohl sagen, dass das geglückt ist. War das der erste Schritt eines Masterplans oder war der weitere Verlauf glückliche Fügung?

Wir haben nun ein Mal monatlich unser Repaircafé in einem Villacher Einkaufszentrum und sind damit das einzige, das regelmäßig in einem solchen Zentrum des Konsums stattfindet. Und das größte Repaircafé Österreichs. Mit TeilnehmerInnen zwischen 17 und 85 Jahren und mit unterschiedlichsten sozialen und auch nationalen Hintergründen. Ein älterer Teilnehmer hat – als der ORF einen Beitrag bei uns aufgenommen hat – gesagt: »Der schönste Tag im Monat ist der, an dem ich ins Repaircafé gehe.« Mir gefällt, wie hier ökologische und soziale Dimensionen ineinandergreifen.

Es wurde aber schnell klar, dass der nächste Schritt für uns lautet, auch auf dem ersten Arbeitsmarkt Arbeitsplätze zu schaffen. Wir wollen nicht nur nett die Gesellschaft auffordern, im Ehrenamt für die Umwelt aktiv zu werden. Menschliche Arbeit hat einen Wert, Freiwilligenarbeit sollte immer nur Teil oder erster Schritt sein, kein Ersatz einer Professionalisierung.

Der Nutzen muss langfristig betrachtet für alle Beteiligten ausgewogen sein?

Es gibt durchaus viele Organisationen, die Leute als Freiwillige für sich arbeiten lassen, während dahinter ein Big Business steht. Das zu sehen macht mich schon immer ein ›bissl grantig‹. Im Endeffekt ist es nicht nachhaltig, wenn ältere Menschen nur im Ehrenamt beschäftigt werden und junge nur, weil sie wenig kosten. Wir setzen auf wechselseitiges Lernen. Den Menschen und Dingen wieder einen Wert geben!

Daher hat der Verein unruhestandAktiv ein Unternehmen gegründet – um Arbeitsplätze zu schaffen?

Wir haben vor eineinhalb Jahres das Reuse-Kaufhaus »ReVilla« gegründet, als GmbH. Der Verein unruhestandAktiv ist beteiligt. Das Kaufhaus befindet sich auf den 1400 Quadratmetern einer ehemaligen C&A-Filiale, die zuvor acht Jahre leer stand. ReVilla ist Vintage- und Secondhand-Store mit Reuse-Waren, Upcycling- und Refurbish-Produkten. Wir haben derzeit zehn MitarbeiterInnen.

Woher kommt die Ware?

Leute bringen uns Dinge vorbei, die sie noch gut finden. Wir bereiten die auf und bieten sie zum Verkauf. Außerdem hat die Stadt Villach ein Reuse-Projekt gestartet und versorgt die BürgerInnen der Stadt mit Kartonagen und Bags für Ware, die nicht mehr gebraucht, aber noch für brauchbar befunden wird. Wir sind eine der Annahmestellen und die Stadt unterstützt dieses Reuse-Netzwerk ganz aktiv, denn sie hat sich inzwischen das Reuse-Konzept auf die Fahnen geheftet. Wir kooperieren mit Sozialbetrieben, so zum Beispiel auch, wenn jemand kein eigenes Fahrzeug hat und größere Mengen oder Möbelstücke hat – die oder der kann uns anrufen und wir holen das mit unserem Kooperationspartner ab. Wer die Sachen nicht verschenken will, kann bei uns eine Shopfläche ab 5 Quadratmetern anmieten. Diese Ware bekommt dann eine eigene Artikelnummer und wird von uns betreut. Wann immer etwas davon bei uns verkauft wird, ist ein Anteil des Geldes für die Verkäuferin oder den Verkäufer abrufbar.

Wir konnten insgesamt auch viele Haushaltsgeräte reparieren und wieder in Umlauf bringen. Im letzten coronafreien Jahr – zwischendurch mussten wir pausieren – hatten wir im Repaircafé 130 bis 150 Reparaturen monatlich und eine Reparaturquote von 60%. Wenn wir uns am Durchschnittswert von 24,7 Kilogramm eingespartem CO2 der Organisation repaircafe.org orientieren, haben wir 2019 immerhin 45 Tonnen CO2 durch generationsübergreifende Arbeit eingespart.

Ökonomisch nachhaltig fürs Individuum?

Und für die Gesellschaft. Für die vielen Leute der Boomer-Generation sollen die Jungen bald aufkommen, dazu brauchen sie aber auch ein Einkommen. Und dazu muss auch ins Sozialsystem eingezahlt werden. Schwarzarbeit ist, so weit ich es erlebe, sehr verbreitet. Nicht nur Nachbarschaftshilfe, sondern alles Mögliche wird ohne Rechnung erledigt – »nur kurz was machen« und so. Ich finde das asozial.

Ähnlich geht es mir, wenn ich sehe, dass eine Dame aus meinem Umfeld Kommunikationskurse für diverse Organisationen und Unternehmen kostenlos anbietet. Wenn ich sie frage: Wieso machst du das? Du könntest ein Honorar verlangen, antwortet sie: Ach, mein Mann verdient ja genug. Damit nimmt sie allen anderen die Chance, die damit ihr Geld verdienen müssen, und zahlt selbst nichts ins Sozialsystem ein. Da will ich eigentlich schreien. Wenn Frauen ihre Arbeit nicht als wertig einschätzen. Gleichzeitig werden sie, wenn sie es doch tun, von der Gesellschaft allzu oft heruntergemacht.

Es geht in Ihrem Leben viel um Arbeit. Ist das mit dem Unruhestand nicht auch anstrengend?

Ja, aber es ist so wie mit dem Umweltschutz. Ich möchte es nicht als Strafe empfinden, etwas für die Umwelt zu tun, weil ich auf irgendwas verzichte. Ich möchte, dass mir immer neue Bilder davon entstehen, was mir Freude macht. So geht es mir auch mit dem Arbeiten. Natürlich stecke ich im derzeitigen Projekt so drin, dass ich nicht einfach hinschmeißen und sagen kann: Jetzt ab sofort geh ich viel wandern. Dazu hängt zu viel dran. Aber weil ich aus Freude und aus Überzeugung arbeite, ist es für mich nicht schwer. Ich habe nicht vor, es bis 100 zu machen, vielleicht nicht mal bis 70, aber im Moment fühle ich mich noch am richtigen Platz und auch noch energetisch genug aufgeladen.

Renate Schlatter bei einer Verleihung
Das Reuse-Kaufhaus »ReVilla« wurde im September 2021 mit dem österreichischen SDG-Arward in der Kategorie Kleinunternehmen ausgezeichnet. Bild: Musabeg Magmedov. revilla.at.

Das heißt, ab 70 würden Sie vielleicht aufhören wollen zu arbeiten?

Ich bin nebenbei gerade damit beschäftigt, wie man eine Firma dieses Typs gut übergibt, vor allem angesichts des Miteigentums vieler MitarbeiterInnen. Leider sprechen die rechtlichen Rahmenbedingungen in Österreich eher gegen die Lösungen, die ich für die besten halten würde. Da gibt es also genug Lobbyarbeit zu machen, das wären Sachen, auf die ich mich dann stürzen werde. Oder auch für ein Recht auf Reparatur oder ein bedingungsloses Grundeinkommen. Dann eben in meiner Freizeit, dazu brauche ich nur ein Netzwerk und es ist wichtig, dass ich gesund bleibe und meinen Optimismus und meine Gelassenheit nicht verliere.

Das Motto »Halt dich fit!« wird manchen irgendwann zu mühsam. Haben Sie Verständnis für Leute, die mit dem Alter der Drive verlässt?

Mich hat mal einer gefragt, ob ich gerne nochmal 25 wäre. Ich habe geantwortet: »Ja, am Samstag in der Früh, wenn ich am Freitag ausgegangen bin.« Aber ja, es lässt ganz klar die Leistungsfähigkeit nach, die Haare werden dünner und die Zähne und die Ausdauer weniger. Der Spruch »Alt werden ist nichts für Feiglinge« stimmt. Und es gibt so viele Umstände, unter denen ich es als gerechtfertigt ansehe, dass man sich zurückzieht. Es ist an uns, die Augen offen zu halten und zu erkennen, ob man einem Gegenüber jetzt die Hand reichen sollte. Wo es einfach ein Gebot der Nächstenliebe ist, zu sagen: »Komm, ich helfe dir ein paar Schritte!« – sowohl beruflich als auch persönlich, emotional oder physisch. Denn das funktioniert.

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