Die Neo-Nischenbeere

Die Gojibeeren sind klassische Importfrüchte aus Fernost. Die Pflanze fühlt sich auch bei uns wie zuhause – wenn man mit ihr umgehen und sie zu vermarkten weiß.

Gojibeeren aus Deutschland: Die von Mentzingens leisten echte Pioniersarbeit. Bild: Biohof von Mentzingen.

Die von Mentzingens sind allein. Zumindest mit ihrer Idee, Bio-Gojibeeren anzubauen und als Dörrware zu verkaufen. Die Landwirtschaft liegt der Familie im Blut, bereits 16 Generationen haben den Hof in der Nähe von Heilbronn, auf dem unter anderem konventionell Spargel und Himbeeren kultiviert werden, bereits weitergegeben. Als Katja und Nikolaus von Mentzingen aber im Jahr 2016 die Chance hatten, einen seit den 80er-Jahren bestehenden Demeter-Hof im Dorf zu pachten, wollten sie mit ihrer ersten Fläche, die sie nach Verordnungen der biologischen Landwirtschaft betreiben, auch noch etwas Neues beginnen: den Anbau einer Frucht, die sonst fast ausschließlich aus Fernost importiert wird. Bislang sind sie damit die Einzigen in Deutschland, die die außergewöhnliche Beere in größerem Umfang anbauen und durch schonende Trocknung für den ganzjährigen Verkauf haltbar machen.

Ningxia in Neunenstadt

»So etwas gab’s einfach noch nicht. Und solche Nischen braucht man nun mal.«
– Katja von Mentzingen, Demeter-Landwirtin
Bild: Biohof von Mentzingen.

Das ursprüngliche Areal des Gemeinen Bocksdorns (Lycium barbarum), der Wildform der Gojibeere, liegt vermutlich in China, wo sich in der Provinz Ningxia auch das Hauptanbaugebiet der Beere befindet. Für Deutschland ist bekannt, dass der Strauch schon im 18. Jahrhundert – vermutlich erstmals – eingebracht wurde. Heute ist er großräumig auch in anderen mittel- und südeuropäischen Ländern verbreitet. Dennoch betreibt kaum jemand außerhalb Zentralasiens großflächigen Anbau. Von genau dieser Tatsache motiviert, fiel für Katja und Nikolaus vor rund fünf Jahren die Entscheidung, das oft als »Superfood« gepriesene Lebensmittel nach den EU-Standards der biologischen Landwirtschaft im baden-württembergischen Neuenstadt anzubauen. Katja von Mentzingen erinnert sich: »2016 habe ich auf einem Fachseminar einen Vortrag über eine spezielle Züchtung der Gojibeere besucht. Sie sollte besonders süß sein, wenig Bitterstoffe enthalten und auch in Europa gut wachsen. Gleichzeitig hat hier bei uns am Dorf ein Demeter-Bauer einen Nachfolger für seinen Hof gesucht.« Die Tatsache, dass der Anbau der Beere in Deutschland noch kaum verbreitet war, bestärkte Katja in ihrem Vorhaben: »So etwas gab’s einfach noch nicht. Und solche Nischen braucht man nun mal.« Da der Hof außerdem nur gut vier Hektar misst, bedurfte es einer speziellen Kultur, damit sich die Bewirtschaftung lohnt – von der Gojibeere konnten die Landwirte hier ganze 20.000 Sträucher anbauen. Die passenden Jungpflanzen konnten sie quasi aus der Nachbarschaft beziehen.

In der Traditionellen Chinesischen Medizin wird die Gojibeere zur Stärkung des Immunsystems und zur Stärkung der Sehkraft eingesetzt.

Mister Goji

Klaus Umbach ist Gärtnermeister und darf dabei als Pionier bezeichnet werden. 2010 hat er
begonnen, verschiedene Sorten der Gojibeere zu selektieren, und entwickelte über die Jahre eine nach EU-Richtlinien biozertifizierte Jungpflanze, der es auch in Deutschland ziemlich gut gefällt. Die »Turgidus« ist im Gegensatz zu ihren Verwandten aus China orange, nicht rot, dabei süßer, winterhart bis minus 27 Grad Celsius, mehltaufrei und bis zu 40 Jahre ertragreich. Wie es der Zufall will, befindet sich die Biogärtnerei fast um die Ecke von Familie von Mentzingen in Heilbronn und so verkaufte Umbach dem Paar zunächst seine Jungpflanzen und wurde später selbst zum treuen Kunden. Mit der Beschaffung der Jungpflanzen und dem Erwerb des biodynamischen Guts waren die ersten Schritte getan. Hinsichtlich der Frage, wie man das Nachtschattengewächs am effektivsten kultiviert, war das Paar jedoch auf sich allein gestellt.

Klaus Umbach baut gemeinsam mit der Uni Hohenheim im Rahmen eines Forschungsprojekts auch Chiasamen an, um eine Sorte für den erfolgreichen Anbau in Deutschland zu selektieren. Chia wird derzeit vorwiegend aus Südamerika importiert.

»Es macht halt jeder anders«

»Der Gemeine Bocksdorn kann ja wild neben der Autobahn wachsen. Aber wie man ihn so kultiviert, dass er langfristig ertragreich ist, das mussten wir selbst herausfinden«, erinnern sich Katja und Nikolaus. Bei einem Besuch in Südtirol haben sie sich verschiedene Gojikulturen der Sorte Turgidus angesehen und stellten fest, dass es keinen allgemeinen Erfahrungsschatz gibt, auf den sie hätten bauen können: »Der eine hat’s so gemacht, der andere so und der Dritte wieder ganz anders.« Schließlich nutzten sie die Technik und ihr bereits vorhandenes Know-how zum Anbau von Himbeeren und passten es auf die Bedürfnisse der Gojibeere an. Die Dauerkultur akklimatisierte sich erstaunlich schnell in den hiesigen Bodengegebenheiten, trug zahlreiche Früchte und entwickelte sich in den Sommermonaten zum regelrechten Magneten für Bienen und Hummeln. »Dadurch, dass der Gojistrauch eine remontierende Pflanze ist, blüht er auch dann, wenn im August und September eigentlich nichts mehr blüht, und lockt somit allerlei Insekten und Vögel auf unsere Anlage.«

Katja und Nikolas von Mentzingen auf ihrer Gojiplantage. Bild: Biohof von Mentzingen.

Wie verkauft man auf einem Markt, den es nicht gibt?

Die getrockneten Gojis aus Baden-Württemberg sind bisher deutschlandweit die einzigen ihrer Art. Ein Grund dafür ist, dass sie über den ganzen Sommer alle vier Tage einzeln von Hand gepflückt werden müssen, wodurch die Lohnkosten die Rechnung normalerweise aus einem betriebswirtschaftlich sinnvollen Rahmen treiben würden. Die Familie von Mentzingen hatte hier den Vorteil, ihre SaisonarbeiterInnen des Spargelbetriebs auch auf der Gojiplantage einsetzen zu können: »Ein Betrieb, der diese Infrastruktur nicht bereits hat, kann sich das nicht leisten.«

Goji-Beeren verlieren durch den Trocknungsprozess rund zwei Drittel ihres Gewichts. Bild: Biohof von Mentzingen.

Vor dem Problem, dass die Beere insbesondere als Frischobst noch keinen sehr hohen Bekanntheitsgrad hat, standen die beiden dennoch. » Wir mussten 2018 erleben, dass sie einfach kein Mensch kennt. Die Beeren lagen also im Supermarkt, wurden nicht verkauft und waren dann, weil sie so schnell wie Erd- oder Himbeeren verschimmeln, nach 5 Tagen auch nicht mehr verkäuflich. Also haben wir uns Trocknungshilfen angeschafft, sodass wir sie haltbar machen und so das ganze Jahr über verkaufen konnten.« Heute vertreiben Katja und Nikolaus außer den Trockenfrüchten auch Saft und Balsamessig aus Gojibeeren über ihre Website, im lokalen Einzelhandel und durch OnlineversandpartnerInnen.

Ebenfalls getrieben von der Suche nach Neuem baut im Nachbarland Johannes Hummel die rote Beere bereits seit 2005 an. Auch er betrieb damit Pionierarbeit: In Österreich gibt es bis heute niemand anderen, der die Gojibeere biologisch kultiviert. Direkt ab Hof, der sich im niederösterreichischen Bezirk Mistelbach befindet, verkauft er zwischen August und November auch frische Beeren. Er sieht den Geschmack der Beere als Herausforderung für ein lukratives Gojibeeren-Business: »Insbesondere die frischen Beeren schmecken schon etwas gewöhnungsbedürftig, ziemlich herb-bitter.«

Dass er es dennoch schafft, das Obst auch in seiner frischen Form erfolgreich zu vermarkten, verdanke er sowohl dem regionalen Direktverkauf vom Hof als auch dem medialen Hype um das »Superfood«: »Viele unserer KundInnen sind sehr gesundheitsbewusst, die wissen bereits von den guten Inhaltsstoffen. Sie kennen das getrocknete Produkt meist schon aus dem Supermarkt und freuen sich dann, dass sie es nun frisch und aus dem Weinviertel statt nur getrocknet und aus China kaufen können.«

»Insbesondere die frischen

Beeren schmecken schon

etwas gewöhnungsbedürftig,

ziemlich herb-bitter.«

Johannes Hummel, Biolandwirt

»Insbesondere die frischen
Beeren schmecken schon
etwas gewöhnungsbedürftig,
ziemlich herb-bitter.«,

-Johannes Hummel, Biolandwirt
Bild: Netzwerk Kulinarik/Pov.at

Exoten in der Heimat

Trotz dieser Erfolgsgeschichten stellt sich die Frage, ob es überhaupt sinnvoll ist, die Beere hierzulande anzubauen. Eine Studie der NGO Global 2000 und der niederösterreichischen Arbeiterkammer untersuchte 2017 verschiedene als »Superfoods« vermarktete Lebensmittel unter anderem hinsichtlich ihres CO2-Fußabdrucks. Es zeigte sich wenig überraschend, dass der Transport chinesischer Gojibeeren bei einem Kauf in Österreich das Klima 75 Mal stärker mit CO2 belastet als der Kauf eines »vergleichbaren« österreichischen Produkts. Als vergleichbar wurden dabei Beeren wie etwa Heidelbeeren gewertet. Nun werden Gojibeeren allerdings großteils getrocknet importiert, sind daher vergleichsweise emissionsarm zu transportieren und werden von den meisten KonsumentInnen wohl nicht in rauen Mengen verzehrt – doch Dagmar Gordon, die das »Pestizidreduktionsprogramm« bei Global 2000 leitet, betont: »Gojibeeren sind klein und ihr Import wirkt harmlos. Doch sie sind ein gutes Beispiel für Lebensmittel, die um die Welt reisen, obwohl das nicht nötig ist. Das können wir nicht wollen.« Und sie setzt nach: »Im Übrigen machen wir es mit Tomaten genauso – auch die werden aus China importiert und in Europa als Dosentomaten verkauft.« Wer an die Kraft des Superfoods glaubt, wird außerdem nicht gerne lesen, dass in vielen der untersuchten Gojibeeren erhebliche Rückstände von Pestiziden nachgewiesen wurden. Das sei bei landwirtschaftlichen Produkten aus Asien leider generell häufig der Fall, so Gordon: »Darunter sind leider auch Pestizide, die bei uns mit gutem Grund generell verboten sind.« Vor allem in der konventionellen Landwirtschaft habe das besorgniserregende Ausmaße angenommen, doch auch bei Bioprodukten komme das leider aufgrund insgesamt schwächer ausgeprägter Umweltschutzregime mitunter vor. »Einerseits, weil zum Teil die Böden und das Wasser in schlechterem Zustand sind. Andererseits ist der Schutz vor Pestizid abdrift nicht so gut gegeben.« Sprich das Risiko, vor allem durch Wind Pestizide auf die eigenen Flächen getragen zu bekommen, ist überall dort, wo am Nachbarfeld konventionell gearbeitet wird, höher als in Europa. Und zwar Gordon zufolge auch deswegen, weil Bauern und Bäuerinnen einen schlechteren Zugang zu Informationen haben, als das in Europa insgesamt der Fall ist.

Der »Superfood-Test« (2017) von Global 2000, Südwind und der AK Niederösterreich, der sogenannte
Superfoods auf Rückstände von Schwermetallen und Pestiziden untersucht hat, steht zum Download unter
global2000.at

Die orangene Beere, sei sie aus Neuenstadt oder Mistelbach, scheint also in mehrerlei Hinsicht gut anzukommen. Sie ist außergewöhnlich im Geschmack und bisweilen aus deutscher oder österreichischer Bioproduktion noch ein echtes Nischenprodukt auf dem Markt. »Außerdem gibt es ja hierzulande im Gegensatz zu anderen exotischen Kulturen keinen Mehraufwand in der Pflanzung und Kultivierung. Die Sorte, die wir verwenden, ist speziell aus verschiedenen Gojibeeren aus aller Welt gezüchtet, damit es ihr hier so gut geht. Das ist eine ganz normale Freilandkultur, ohne Plastiktunnel oder Regenkappe. Und obendrein schmeckt sie süßer«, sagt Nikolaus.

BIORAMA #77

Dieser Artikel ist im BIORAMA #77 erschienen

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