Die Abgründe der Orangenindustrie

© Global 2000

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Brasilien ist führend in der Orangenproduktion, astrein läuft auf den gigantischen Plantagen aber fast nichts. Über die Abgründe im Hintergrund und wo auch wir unseren Teil beitragen können.

Die Orange: im Westen nichts Neues

Seit dem 15. Jahrhundert ist sie der Inbegriff der Zitrusfrucht: Die Orange. Rund, geschmacksintensiv und allseits beliebt. Unverarbeitet wird sie in unseren Breiten selten verschmäht und in flüssiger Form sogar geliebt – als Institution des Frühstückstisches. 11 Liter Saft der runden Exotin erfreuen europaweit pro Kopf und Jahr die durstigen Kehlen. Wir Österreicher stehen sogar an vierter Stelle im Ranking der exzessivsten europäischen Orangensafttrinker: 15 000 t Orangensaftkonzentrat werden in Österreich jährlich importiert – das entspricht etwa dem Gewicht von 3000 Elefanten!

230 000 Menschen – 9,6 Millionen Orangen – 5,5 Milliarden Liter Saft

Brasilien ist eindeutig ein Hot Spot, wenn es um die Produktion der Exotin in Orange geht. Aus 270 000 Hektar Orangenplantagen bezieht Brasilien die Früchte und hält somit die Spitzenposition im Welthandel inne. 80 % an gefrorenem Orangensaftkonzentrat stammt aus dem südamerikanischen Staat und wird von dort aus nach Europa und die USA exportiert. Erst dort wird es dann zu diversen Produkten, insbesondere Orangensaft weiterverarbeitet. Fast eine viertel Million Arbeiter sind rund um die Orange beschäftigt – eine entsprechend wichtige Wirtschaftsader ist dieser stetig wachsende Sektor für Brasilien. Trotzdem stellt sich die Frage – lohnt sich das Ganze? Für die Großkonzerne – in jedem Fall. Bei den Arbeitern sieht die Sache anders aus.

Clockwork Orange

Um die – großteils europäische – Nachfrage an Orangensaft zu stillen, müssen entprechend viele Orangen von den Bäumen geholt werden. Damit die Rechung aufgeht, wird im Akkord gepflückt: rund 1,5 Tonnen der Zitrusfrucht wandern täglich durch die Hände eines einzelnen Arbeiters, entlohnt wird der Aufwand fast gar nicht. 10 Euro machen die Großkonzerne für den Aufwand locker, ebenfalls: pro Tag.

„Im Schnitt verdient ein Plantagenarbeiter 750 – 900 Real (ca 213 – 259 Euro). Dem gegenüber steht der Betrag, den die brasilianische Regierung als Existenzsichernden Lohn definiert hat, er liegt bei 3 200 Real (ca. 922 Euro)“ – Martin Wildenberg | Global 2000

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Von Lidern, Ausbeutung und anderen Absurditäten

Die Menschen, die dafür sorgen, dass die Orange nicht hängengelassen wird, sind die Arbeiter – angestellt von sogenanten Lidern. Jene Arbeitgeber stehen bei den Großplantagen selbst unter Vertrag und organisieren den Transport und die „Unterkunft“ der Arbeiter. Jedoch nicht umsonst. Diese Dienste, die in Anspruch genommen werden müssen, werden instant vom Lohn abgezogen, den die Arbeiter oft erst nach Monaten zu Gesicht bekommen – um ein Wesentliches dezimiert. Denn: Lebensmittel können sie nur in kleinen Läden kaufen, die ebenfalls den Lidern gehören, wo alles doppelt so teuer ist, als überall anders.

Wenn die Eigenmarken zum Problem werden…

Wo bekommt man den begehrtesten aller Säfte? Im Supermarkt, wo sonst. So groß die Distanz zwischen dem Laden um die Ecke zum Schauplatz des brasilianischen Orangen-Desasters sein mag, ändert dies nichts an den unglaublichen Auswirkungen, die Kauf und Verkauf auf die Produktionsbedingungen haben. Europaweit konzentriert sich der Lebensmittelverkauf auf 4 Großkonzerne die wir alle kennen: Hofer, Lidl, Spar und Rewe. Was aus deren Regalen in den letzten Jahren nicht mehr wegzudenken ist? Eigenmarken. Angebote von Zurück zum Ursprung, S-Budget und Clever sind der Grund für die Dumpingpreise – Zwischenschritte in der Wertschöpfungskette werden schlicht und einfach übersprungen. Das Leid tragen die Arbeiter.

…und Saftmultis schlimmer als Multivitamin

Citrosuco, Cutrale und Luis Dreyfuß sind Namen, die man kennen sollte. Die Macht dieser Riesenunternehmen hat sich in den letzten 30 Jahren eklatant verdichtet – sie sind es, bei denen die gesamte Safterzeugung zusammenläuft. Die Orangen stammen Teils aus eigenen Plantagen oder werden von Kleinbauern zugekauft – die Preise sind erschreckend. Eine Kiste Orangen á 40,8 Kilogramm ist den Konzernen im Schnitt 3,4 Euro wert. Zieht man von diesem Preis noch 70 Cent ab, die für den Transport ausgegeben werden, kommt man auf 4 Cent pro Kilo Orangen. Das ist nichts, außer der Ruin für Kleinbetriebe.

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Pestizide: gefährliches Steckenpferd, oder wenn die Umwelt kapituliert

Gewinnmaximierung im Fokus, das Resultat: eine Menge an Problemen, im sozialen Bereich genau so wie in ökoligischer Hinsicht. Belastung der Gesundheit und der Umwelt sind die fatalen Folgen des Pestizideinsatzes. In den Plantagen, deren Dimensionen für einen Europäer kaum vorstellbar sind, gestaltet sich auch die Kontrolle der eingesetzten Spritzmittel entsprechend schwierig. Verbotenes im Verborgenen, die Zahlen sprechen aber für sich.
34 000 t Pestizide und 100 000 t Stickstoffdünger wirbeln jährlich rund um die brasilianischen Orangenbäume. Transparenz im Produktionsprozess gibt es nicht, und auf den Plantagen ist die Missachtung von Vorgaben Gang und Gebe. Leere Pestizidkanister werden oft nicht nach Vorschrift abgeholt, sondern im schlimmsten Fall direkt am Anbaugebiet verbrannt. Was das für die Umwelt, die Gesundheit der Arbeiter und auch für die Orangen selbst bedeutet, lässt der Fantasie wenig Spielraum.

Fairtrade muss mehr werden

Nur im brasilianischen Norden gibt es vereinzelt biologische Produktion unter fairen Bedingungen, ein erschreckend kleiner Bruchteil der von der Gesamtfläche alle Plantagen nur  etwa 1-2% ausmacht. Derzeit sind in Brasilien 9 Kleinbäuerliche Kooperationen zertifiziert. Die Standards zeichnen sich durch die Einhaltung aud Auszahlung von Mindestpreisen aus, sowie durch zusätzlich ausgezahlte Prämien für Projektfinanzierungen. Auch für ökologische Standards hat Fair Trade entsprechende Vorgaben. So gibt es etwa eine Liste an Pestiziden, die in drei Kategorien eingeteilt bedenkenlos verwendet, langsam durch andere ersetzt oder auf keinen Fall eingesetzt werden können, müssen oder dürfen.

Die Macht des Orangensafttrinkers

In der Orangenproduktion spielt der Konsument eine Schlüsselrolle und hat einen nicht unwesentlichen Einfluss auf die Orangenindustrie. Im Wunsch der Konsumenten, nach qualitativen Billigprodukten sinken auch die Preise, die für Rohstoffe und verarbeitete Ware an die Hersteller und Arbeiter bezahlt werden stetig. Durch bewussten Konsum, den Kauf von Fairtrade-Säften und die konsequente Aussparung von Eigenmarken kann jeder einzelne längerfristig dazu beitragen, dass die Konzerne und Großproduzenten endlich Verantwortung übernehmen müssen.

Die Organisationen Global 2000 und Südwind haben im Zuge des Projektes „Supply Cha!nge – Make Supermarkets Fair“ in Brasilien vorort untersucht, wie es um die Produktions- und Arbeitsbedingungen der Orangenindustrie steht. Die Ergebnisse des Lokalaugenscheins wurden heute erstmals präsentiert, in der Studie: Ausgepresst: Hinter den Kulissen der Orangensaftproduktion.

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