#der ökotrend hat es bis auf den laufsteg geschafft.

Die Modewelt hat Stoffe aus organisch angebauter Baumwolle entdeckt. Was als Nischenprodukt seinen Anfang nahm, hat längst die Straße erobert. Bei der Berliner Fashion Week sind die Kreationen aus organischen Stoffen der letzte Schrei. Umweltbewusste Kunden sind bereit, für Kleidung aus Biofasern mehr zu bezahlen als für herkömmliche Textilien. Fast alle großen Modeketten haben eigene Ökolinien auf den Markt gebracht, darunter Giganten wie Nike, H&M, C&A oder Zara. Der Jahresumsatz mit Biotextilien hat sich von 2006 bis heute beinahe vervierfacht, die weltweite Produktion von Biobaumwolle ist binnen vier Jahren von 20.000 auf 141.000 Tonnen gestiegen.

Doch wo „Biobaumwolle“ draufsteht, ist nicht immer Biobaumwolle drin. Wenn ein Markt so rasant wächst wie die Biotextilbranche und zugleich die Baumwollproduktion mehrere Jahre braucht, um auf Öko umzustellen, kommt es automatisch zu Lieferproblemen – und das verführt zum Betrug. Nach jüngsten Recherchen sind erhebliche Mengen als „bio“ verkaufter Baumwolle aus Indien gentechnisch verändert worden – was den strengen Ökostandards widerspricht, mit denen große Handelsketten bei entsprechenden Produkten werben. Textilhändler arbeiten für ihre Biolabel üblicherweise mit privaten Zertifizierern zusammen. Diese sollen für sie überprüfen, ob Produzenten die Ökostandards einhalten. Lothar Kruse, Leiter des unabhängigen Labors Impetus, untersucht für kleinere Ökoanbieter Fasern und Garne. „Etwa 30 Prozent der Biobaumwollproben aus Indien sind gentechnisch verändert“, sagte der Experte. Aus Indien kommt rund die Hälfte der gesamten Biobaumwolle. Zwar sei der ökologische Anbau von Baumwolle dem herkömmlichen vor allem überlegen, weil keine Giftstoffe eingesetzt werden. Daran ändert sich auch nichts, wenn das Erbgut der Baumwollpflanze künstlich verändert wurde, doch sei der jüngst aufgedeckte Betrug dennoch ein Skandal: „Wer in Europa Bio kauft, will sicher kein Gentech.“ Was auch immer man von genmanipulierten Pflanzen hält: Bei Bioprodukten ist ihr Einsatz nun mal untersagt. Diesen Anspruch haben all jene Kunden, die solche Waren kaufen. Dafür sind sie schließlich bereit, deutlich mehr zu zahlen als für herkömmlich hergestellte Produkte.

Modehäusern, die mit dem Bioanspruch werben, bleibt keine Wahl: Sie müssen Produzenten und Zertifizierern unmissverständlich klarmachen, dass sie nicht bereit sind, bei der Einhaltung der Kriterien Abstriche zu machen. Können sie dann weniger Bioware einkaufen, als der Kunde nachfragt, müssen sie das eben akzeptieren. Selbst wenn sie dann weniger Kleidung mit der lukrativen Bio-Kennzeichnung verkaufen können als gewünscht. Und: Sie dürfen nicht so naiv sein und sich nur auf das Siegel der Zertifizierer verlassen, sondern müssen eigene Kontrollen aufbauen. Verzichten sie darauf, schwächen sie nicht nur ein für sie selbst lukratives Segment. Sie bringen auch den Bioanbau ausgerechnet bei jenem Produkt in Misskredit, wo er mit am meisten Sinn ergibt: Obwohl Baumwolle nur auf 2,5 Prozent der weltweiten Ackerflächen wächst, werden hier 16 Prozent aller Insektizide und Pestizide gespritzt. Auch das ist ein Skandal.

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