Das Fahrrad im Mainstream

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Und so nimmt das Wiener Radjahr 2013 schon Anfang Oktober seinen aus Tweed gefertigten Deerstalker-Hut und sagt beim Abschied leise Servus. Ein Radjahr-Essay.

Ein Blick in den Fahrrad Wien-Kalender bestätigt: Noch ein Tweed-Ride und eine Ausfahrt, um der Wienerstadt Architektur zu bewundern, und dann ist er vorbei, der ganze Zauber. 1.400 Abgesandte und Teilnehmer fanden sich Juni 2013 in Wien zur bislang größten aller Velo-city-Konferenzen zum Thema Radfahren ein. Sie bot Anlass, ein offizielles Radjahr auszurufen, ein erstes international besetztes Bikepolo-Turnier zu veranstalten und war über ein halbes Jahr mit einer Vielzahl an teils aufwendiger fahrradspezifischer Aktionen dicht umrankt. BIORAMA widmete dem ein Spezial. Aus Sicht des Hosts – der Stadt Wien – und aller Beteiligten bestimmt ein voller Erfolg, wurde doch bereits jetzt eine merkliche Mehrzahl an Radlern offensichtlich. Das erklärte Ziel.

Für all jene, welche sich durch diese über das Jahr verteilten Veranstaltungen als Fahrradfahrer bestätigt und bestärkt fühlten und dem Vergangenen nun ein wenig nachtrauern, darf ich an dieser Stelle etwas bisher kaum publik Gemachtes preisgeben: Das Radjahr ist noch gar nicht wirklich um. Und dem nicht genug, gleich im Jänner schon starten wir in ein neues! Das Radjahr 2014.

Setzt Freude in Gang

Mein persönliches erstes Radjahr war 2008, das Jahr nach der Fixed-Gear-Apokalypse laut Eben Weiss (bikesnobnyc.blogspot.com) und somit ein Jahr, in dem – wie auch nach diesem – scheinbar schon alles vorbei war. Zumindest den beleidigten Gesichtern der Pabst Blue Ribbon trinkenden Hip-Kids aus Brooklyn nach zu urteilen, die die Attribute ihrer Subkultur sich zum Mainstream wandeln sahen. Mein Arbeitgeber hatte mir damals zur Auflage gemacht, mir ein Rad zu besorgen, um die Anreise zu Kundenterminen zu vereinfachen. Seine Überlegungen bezüglich eines vernünftigen, versatilen Mountainbikes – um auch gleich seine Freitag-Nachmittag-Runde innerfamiliär zu untermauern – mussten nach kurzer Recherche im Netz meiner Vorstellung eines möglichst unvernünftigen Ein-Gang-Stadtrades weichen. Ob der finanziellen Mittel verbrachte ich nicht nur viele Stunden mit dem DIY-Aufbau meines neuen Fahrrades, auch jegliche Wartung und Verbesserung wurde fortan – teils unter Anleitung von schnell gefundenen Gleichgesinnten in einschlägigen Institutionen wie der IG Fahrrad, der Bike Kitchen und der WUK Fahrradwerkstatt – in Eigenregie durchgeführt. Die frisch geschraubten Räder wurden dann während Ausfahrten getestet. Und nach kurzer Zeit erkannte ich den scheinbar schon lange existierenden Fahrrad-Mikrokosmos, in dem ich mich bewegte. Neben laufend stattfindenden Veranstaltungen, Ausfahrten mit mehreren hunderten Radlern, Fahrrad-Filmabenden, Stammtischen, Reparatur-Workshops und Bikepolo-Spielen, an denen sogar Radklubs aus Nachbarländern teilnahmen, war es das annuale Bike-Filmfestival, welches als Hauptfest dieser Religion mehrere Tage lang gefeiert wurde. Und über die Jahre kamen bestimmt noch ein halbes Dutzend weitere dazu.

Die Freude über mein Fahrrad und an der es umgebenden Gemeinschaft eröffnete mir in diesem Jahr ein neues Bewusstsein für diese Art von Fortbewegung. Setzt Freude in Gang. Eine wohlgewählte Logline der Stadt Wien, welche für mich kaum passender sein könnte. 2013 war ein großartiges Radjahr wie andere zuvor und viele, die noch kommen mögen. Größer, ohne Frage. Und auch lauter. Und – dank sei Sheldon Brown – hat sich final jemand gut darum gekümmert, dass die den Mikrokosmos umgebende, scheinbar vorhandene Barriere durchbrochen wurde und uneingeschränkt die ganze Stadt davon erfahren und daran teilhaben konnte. Offensichtlich wird auch Fahrradfahren in Wien irgendwann Mainstream.

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