Cycle Talk für Dummies

Um es den Fahrrad-Auskenner beim Velo-City-Kongress gleichtun zu können, bietet dieses kleine Klugscheißer-Lexikon eine Diskussionsgrundlage zur bestehenden Radverkehrsinfrastruktur in Wien.

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Das scheinbar nicht aussterben wollende Killer-Vorurteil »Wien ist eine Auto-Stadt« wäre bereits mit folgender Tatsache vorweg zu wiederlegen: Das Fahrrad ist das bestverfügbarste Verkehrsmittel der Stadt. Der Hälfte aller Wiener steht ein Pkw zur freien Verfügung, doch über 60 % hätten auch die Möglichkeit, auf das eigene Fahrrad umzusteigen. Rund 40 % besitzen eine Jahreskarte für die Öffentlichen Verkehrsmittel und könnten so auch jederzeit bei Schlechtwetter in die U-Bahn umsteigen. Das lässt hohe Radverkehrsanteile von über 30 % wie in oft genannten nördlichen Fahrradhauptstädten auch für Wien durchaus als realistisch erschienen. Um die Wiener schlussendlich auch wirklich innerstädtisch auf’s Rad zu bekommen, muss nur noch vermehrt in die Radverkehr-Infrastruktur investiert werden. (Aufteilung der Haushalte nach Fahrzeugartennutzung in Prozent: Über 60 % Fahrräder, 40 % ohne Kfz, mit Jahreskarte, ungefähr 50 % mit einem Pkw, …)

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Auf den Konter so mancher noch unbeeindruckter Personen, »Es gibt in Wien ja ohnehin schon viele Radwege«, könnte man auf den unverhältnismäßig geringen Ausbaugrad hinweisen. Der 10 % höheren Verfügbarkeit stehen nämlich nicht einmal halb so viele Kilometer Radwege wie Autostraßen – eher unproportional – gegenüber.

Und das, obwohl der Ausbau und die Erhaltung der Radinfrastruktur sehr günstig ausfallen. Kosten Stadtstraße ohne Radweg versus diverse Radwege:

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Auf den in Österreich beinahe unter Garantie funktionierenden Trigger der Kosten für die Bevölkerung – kurz: Steuern – sollte Verlass sein. Um die Gesprächsglut noch ein wenig mehr zu entfachen, könnte man mit den in astronomischen Höhen gelegenen, jährlichen Ausgaben für Straßeninfrastruktur in Österreich noch einen Scheit nachlegen.

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Sollte das Vis-à-vis den seltenen relaxten Gemütern angehören, die verpuffende Gelder nicht aus der Reserve locken können, kann verbal auf die soziale Ader gedrückt werden. Zum Beispiel mit dem leider ganz und gar nicht hinkenden Vergleich dieser Summen etwa mit Ausgaben für Kinderbetreuungseinrichtungen. Die halten sich in Wien nämlich beinahe die Waage. Noch Pro-Straße?

Und wer seine Nachkommen bequemlichkeitshalber mit dem Auto in die Schule chauffiert, tut nicht nur den nachhaltigen Verkehrmitteln Unrecht, nein, auch gleich den Kindern selbst. Denn abgesehen von den öffentlichen Massen-Transportmitteln ist das Fahrrad auch Spitzenreiter, was die Leistungsfähigkeit angeht. Und dieser theoretische Terminus lässt gänzlich einen frisch duftenden Schrank voll positiver Zusatznutzen außer Acht. Radverkehr braucht um Welten weniger Platz als Autoverkehr, fließend sowohl als auch ruhend. Kein Stau, kaum Lärm und eine vernachlässigbar aufwendige Parkplatzsuche reduzieren den morgendlichen Stress auf ein Minimum. Und wo viel Rad gefahren wird, steigt die Verkehrssicherheit, und die Lebensqualität nimmt zu.

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Als berühmte Luftwatschen, die das Gegenüber jetzt noch benötigt, um endgültig zu fallen, wäre ein leiser Wink mit dem Zaunpfahl in Richtung sündhaft teurer Parkpickerl zu empfehlen. Denn Radabstellplätze sind in jeder Hinsicht vergleichsweise billigst.

Willigen Diskutanten mit Zahlenschwäche, Beschreiter des indianischen Weges und Angehörigen der 400 Promille radloser Bevölkerung sei an abschließender Stelle ein Zitat mit der Wucht und Wirkung von 400 Punschkrapfen mit Schlag zum Auswendiglernen ans Herz gelegt:

»Die Automobilität hat uns zu einer Verzichtgesellschaft gemacht. Wir verzichten wegen des Straßenlärms darauf, bei geöffnetem Fenster zu schlafen, wir verzichten aus Angst vor Unfällen darauf, unsere Kinder draußen spielen zu lassen, wir verzichten auf ausgedehnte Fußwege in der Stadt, wir verzichten auf ungetrübte Blicke auf Architektur. Es ist Zeit, in unserer Gesellschaft mit dem Verzichten aufzuhören.«

— Dr. Willi Nowak, Mitbegründer und Geschäftsführer des Verkehrsclub Österreich (VCÖ), über Infrastrukturen für nachhaltige Mobilität.

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