Craft-based Design: „Handwerk bedeutet Autonomie über gesamte Produktion“

„Craft-based Design. On Practical Knowledge and Manual Creativity“ von Stefan Moritsch, Studiengangsleiter in der New Design University (Niggli Verlag)

Gestalten Praktiker, die selbst produzieren und die Fertigung nicht aus der Hand geben anders als klassische Industriedesigner? Ja, meint Stefan Moritsch – und spricht von ‚Craft-based Design‘. Der Leiter des Sankt Pöltener Studiengangs „Manual & Material Culture“ im Interview. 

Handwerk bedeutet für mich heutzutage die Autonomie über eine Produktion im kleinen Rahmen zu haben.“ Stefan Moritsch, New Design University

BIORAMA: Die einen sprechen vom postindustriellen Zeitalter, Politiker wiederum fordern eine Re-Industrialisierung Mitteleuropas. Welche Rolle spielen Handwerk und die Crafted-Kultur in diesem Spannungsfeld?
Stefan Moritsch: Ich bin grundsätzlich natürlich kein Politiker, denke aber nicht, dass Politiker eine Industrialisierung wie im 19. und 20. Jahrhundert meinen, wenn sie von Re-Industrialisierung reden. Das ist wohl eher im Sinne einer Industrie 4.0 gedacht – auch kleinteiliger in kleiner strukturierten Unternehmen, die selbst über eine industrielle Fertigung verfügen. Das trifft sich dann mit dem, was wir in St. Pölten an der New Design University mit Studenten untersuchen: Inwieweit gestaltet sich Handwerk heute anders weil Technologie bereit steht, die bislang vielleicht nur große industrielle Unternehmen zur Verfügung hatten. Wir sprechen da vom oft erwähnten, aber sehr selten angewandten 3D-Drucker, von CNC-Fräsen und anderen Möglichkeiten der Digitalisierung. Handwerk bedeutet für mich heutzutage die Autonomie über eine Produktion im kleinen Rahmen zu haben. In einem Beitrag in unserem Buch ist es als ‚Kleinkonzernproduktion‘ beschrieben – im Gegensatz zur Großkonzernproduktion. Handwerk spielt mittlerweile auch eine Rolle, um schnell Nischen zu besetzen und um Innovation rasch und flexibel voranzutreiben.

An der New Design University in St.Pölten gibt es seit Wintersemester 2013 einen Studiengang Manual & Material Culture. Wo ist denn die Nachfrage nach fundiertem Knowhow in den Bereichen Handwerk und Design besonders groß?
Stefan Moritsch: Im laufenden Studiengang haben wir aktuell ca. 70 Studierende und es gibt seit Juni 2016 auch 35 Absolventen, die ihn mit Diplom abgeschlossen haben. Auch für uns war immer die spannende Frage: Wohin gehen die? Was werden die machen? Prinzipiell handelt es sich um ein Bachelor-Studium mit fundierter Grundausbildung im professionellen Entwerfen, mit starkem Fokus auf Umsetzung und Produktion. Prototypen sind bei uns wichtig. Was wir sagen können: Unsere Absolventen haben bisher recht unterschiedliche Wege eingeschlagen. Einige gehen weiter einen akademischen Weg – eine Absolventin studiert nun an der Design Academy Eindhoven, eine an der Angewandten, andere sind in Designbüros gelandet und es gibt auch Absolventen, die eigene Büros aufmachen. Wir denken, dass unsere Absolventen gerade für kleine mittelständische Unternehmen, die sowohl Knowhow in der Entwicklung als auch in der Gestaltung brauchen, besonders geeignet sind. Eine fundierte Evaluierung wird es aber erst geben, die haben wir bislang noch nicht gemacht.

Die „Patchworkkitchen“ von Tischlermeister Martin Aigner verbindet pragmatisch Vorgefundenes, Design-Geschick – und Wünsche des Auftraggebers. (Foto: Thomas Steinert)

Wer studiert denn Manual & Material Culture? Handelt es sich durchwegs um Studenten mit bereits abgeschlossener Handwerksausbildung?
Stefan Moritsch: Nein, absolut nicht. Wir haben den Studiengang in Hinblick auf Personen mit handwerklicher Ausbildung entwickelt, um ihnen einen Universitätszugang zu geben. Es gibt eine Aufnahmeklausur wie an jeder Kunsthochschule, eine Matura ist nicht erforderlich. Nun haben wir eine gute Mischung von Menschen mit Lehrabschluss, etwa als Tischler, HTL-Absolventen aber auch ca. 50 Prozent Leute, die aus Studien wie Kunstgeschichte, Architektur oder vom Marketing kommen – mit dem klaren Bedürfnis handwerklich arbeiten zu wollen. Wer keinen Lehrabschluss hat, muss in den ersten vier Semestern jeweils einen Tag in der Woche eine Tischler- oder Schlosserausbildung absolvieren. Das ist zwar keine Lehre, aber Voraussetzung, um nach 2 Jahren in einem Gewerk fundiert ausgebildet zu sein.

Sie porträtieren im Band „Craft-based Design. On Practical Knowledge and Manual Creativity“ nun eine Reihe von Handwerkerinnen und Handwerker mit unterschiedlichsten Hintergründen. Wie kam es zur Auswahl?
Stefan Moritsch: Das Buch entstammt einem Forschungsprojekt der vergangenen Jahren. Das Forschungsprojekt wurde vom Land Niederösterreich gefördert. Wir wollten uns dabei dem Handwerk annähern und haben dafür mit dem Institut für Soziologie der Universität Wien einen Fragebogen entwickelt, mit dem wir Handwerker, Gestalter und Maker interviewt haben – bewusst älteren und jüngeren Semesters. Das Projekt wird erst abgeschlossen. Die Porträts im Buch sind im Zuge der Recherche entstanden, basieren aber auch auf meinen persönlichen Begegnungen im Lauf der vergangenen 25 Jahre. Die Auswahl ist also durchaus subjektiv und auch nicht als wissenschaftliche Publikation gedacht. Es liefert Beispiele für produzierende Gestalter, die anderes Designen als das etwa im Industriedesign praktiziert wird – weil sie selbst auch produzieren und die Produktion eben nicht ausgelagert wird. Im Buch sind auch zwei sehr spannenden NDU-Absolventen vertreten: Thomas Rösler und Tischlermeister Martin Aigner. 

Wie lässt sich „Crafted-based Design“ am besten definieren?
Stefan Moritsch: Ich sehe es als eine Form des Designs, die sehr stark mit der Umsetzung zusammenhängt. Im Buch habe ich das Beispiel eines Armlehnstuhls von Peter Bruckner aus dem Jahr 1998 gebracht. Es handelt sich um einen handwerklich erzeugten Esszimmerstuhl, der an die Wiener Werkstätte erinnert, wobei beim Gestalten besonders darauf geachtet wurde, dass er sehr ökonomisch herstellbar ist und insgesamt sehr pragmatisch gedacht ist. Dieses Craft-based Design entwirft pragmatisch mit einer eigenen Gestaltungshaltung, die nicht auf einer Uni gelernt wurde, sondern die Bruckner sich autodidaktisch in Form von Kursen angeeignet hat.

„Raw Pilates“ – Recyceltes Porzellan von Sandra Haischberger, vorgestellt im Band „Craft-based Design“. (Foto: Robert Markensteiner)

Der Strukturwandel in den Handwerksbranchen ist nicht zu leugnen. Dennoch stellt in der Wirtschaftskammer die Sparte „Handwerk und Gewerbe“ immer noch die größte Sparte dar. Wird das so bleiben?
Stefan Moritsch: Da muss ich passen, diese Frage kann ich nicht beantworten. Was definitiv stimmt: Handwerk verändert sich sehr. Die klassischen Bildungswege ins Handwerk ändern sich und sind sehr komplex geworden. Da gibt es ganz neue Modelle und Varianten. Wichtig wäre, dass Interessenvertretungen und auch die Politik darauf eingeht.

Die Stadt Wien hatte zuletzt einen Förderwettbewerb laufen, um unter dem Titel „Crafted in Vienna“ die innerstädtische handwerkliche und durchaus auch Design-lastige Produktion zu fördern. Am anderen Ende Österreichs haben sich im „Werkraum Bregenzerwald“ bereits 1999 eine Reihe von handwerklichen Betrieben zu einem Verein zusammengetan, um Handwerk, Design und Architektur gemeinsam zu denken. Gibt es auch in Niederösterreich einschlägige Aktivitäten?
Stefan Moritsch: Meines Wissens nach nicht, nein. Aber ich war selbst in der Jury des Crafted-in-Vienna-Wettbewerbs und kenne also auch die geförderten Projekte. Im aktuellen Semester haben wir ein Kooperationsprojekt mit dem Werkraum Bregenzerwald laufen – wir sind also sehr gut vernetzt. Stärkere punktuelle Initiativen in Niederösterreich wären sicher gut, auch um interessante Einzelkämpfer – etwa GEA im Waldviertel, man kennt ja einige – zu vernetzen. Unsere Perspektive ist aber definitiv überregional.


Weiterlesen? Hier findet sich ein Porträt von William Morris (1834–1896), dem Begründer des Arts & Craft Movement.

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