Rumänien: Wo die wilde Natur nach Wertschätzung schmeckt

Bild: Chris Cummins

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In manchen Dörfern Rumäniens fehlt eine ganze Generation. Die Jungen wollen keine Bauern sein und neue Marktkräfte drohen die ökologische Landwirtschaft auszulöschen. Doch: Es geht auch anders.

Mit einer Sense zu mähen sieht relativ einfach aus. In Costesti, einem Bergdorf am Rande des dicht bewaldeten Buila-Vanturarita-Nationalpark in Rumänien, mähen die Bäuerinnen und Bauern ihr Heu jedes Jahr für den Winter. Mit langen, rhythmischen Handgriffen schwenken sie ihre Klingen scheinbar mühelos durch die Weiden, die kniehoch mit Wildblumen gesprenkelt sind, süßlich duften und vom Gezirpe der Grillen vibrieren. Eine Idylle?

Nicht unbedingt. In unerfahrenen Händen wie meinen ist eine Sense eine schwere und gefährliche Waffe. Meine Versuche, das geschliffene Metall horizontal über den Boden gleiten zu lassen ähnelten eher Abschlagübungen auf dem Golfplatz. Trotz der Anweisungen von Ion Ungareanu, Kleinbauer und mein Gastgeber in Costesti, mache ich kaum Fortschritte und bin bald schweißgebadet. Während sich Ion wie ein Schneepflug durch das Gras ackert, schaffe ich nur eine kleine Stelle um meine Füße. Zudem werden die Klingen schnell stumpf. Alle 20 Minuten müssen wir sie schärfen. Den Schleifstein trägt Ion an einer Schnur um den Hals. Mit einer Sense zu mähen ist alles andere als einfach.

Bild: Chris Cummins

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Ion war im Morgengrauen aufgestanden. Er und seine Frau hatten bereits ihre vier Schweine und die Hühner gefüttert, drei Kühe gemolken und sie wie jeden Tag zur Weide getrieben. Am Vormittag unterrichtet er in der Volksschule im Ort und nachmittags arbeitet er im Feld oder repariert das Haus. Für jede warme Dusche muss Ion den Heizungskessel mit Holz füllen. Das Gemüse fürs Abendessen kommt aus dem Garten, dazu gibt es oft Maiskolben von seinen Feldern und die Hühner werden selbst geschlachtet. Wenn Ion Zeit hat, geht er in den Wald jagen. Als Kleinbauer kann man in Rumänien gut leben, sagt er – wenn man hart arbeitet.

Bild: Chris Cummins

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Gemeinsam Essen und verstehen

In Rumänien betreiben rund 30 Prozent der Bevölkerung subsistenzielle Landwirtschaft. Ein großer Verteidiger dieser kleinbäuerlichen Strukturen ist Ökoaktivist Willy Schuster, der einen Biobauernhof in Mosna in Siebenbergen führt. »Komm, iss mit mir«, sagt er zu mir, als er mit dem abendlichen Melken fertig ist, »dann verstehst du, worum es geht.« Auf einem langen Holztisch im Freien ist selbstgezogenes Gemüse und frisch gebackenes Brot angerichtet. Die Teller sind mit bunten Wiesenblumen geschmückt, sogar die Deko kann man essen. »Ich war immer davon überzeugt, dass Bio die Lösung für Rumänien ist, denn es ist kein Zufall, dass wir eine Artenvielfalt aufzuweisen haben, die in Europa einzigartig ist«, sagt Willy. »Als ich 1998 mit der Landwirtschaft begonnen habe, war hier alles noch sehr sauber und es wurden kaum Pestizide verwendet.« Als Mitglied von Eco Ruralis, einer Grassroots-Bewegung von rumänischen Kleinbäuerinnen und Kleinbauern, versucht er die Idee der ökologischen Landwirtschaft weiterzuverbreiten.

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Willy Schuster ist dabei immer schon gegen den Strom geschwommen. Während er Ende der 90er von der Stadt aufs Land gezogen ist, ziehen jedes Jahr tausende Rumänen in die andere Richtung. Vielen jungen Landbewohnern sind die bäuerlichen Arbeiten zu mühsam und zu wenig lukrativ. Seit dem EU-Beitritt Rumäniens im Jahr 2007 hat die Landflucht noch rasanter zugenommen. Mit der Lockerung der Visabeschränkungen sind viele auf der Suche nach besseren Löhnen nach Spanien und Italien gezogen, um in der Gastronomie oder Bauindustrie zu arbeiten. Dazu kommt zunehmend Druck vom Agrobusiness. Etliche Firmen sind hungrig nach Land. In manchen Dörfern fehlt eine ganze Generation.

Urlaub am Bauernhof wiederbelebt

Gabrielle Mindu aus Bukarest versucht, gegen diese Entwicklung anzukämpfen. Sie ist Mitbegründerin des Vereins Village Life, der das traditionelle Landleben mithilfe von sanftem Tourismus wiederbeleben will. Village Life vermittelt Touristen aus der Stadt an Bauern wie Ion Ungareanu. Die Urlauber zahlen ein wenig Geld an die Familie (rund 20 Euro pro Tag) und bekommen dafür Einblicke in den Alltag eines rumänischen Bauerndorfs – reichlich köstliches Essen inklusive.

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Gabrielle schätzt die selbstständige Lebensweise der Kleinbauern: »Einige nähen sich sogar ihre Kleidung selbst und tischlern ihre eigenen Möbel.« Für viele ist das nicht nur eine Frage der Wirtschaftlichkeit, sondern eine generelle Einstellung. Eine symbiotische Beziehung zur Natur trägt sehr viel zum Wohlbefinden bei, findet Gabrielle.

Die Wertschätzung der Touristen aus der Stadt ist für die Kleinbauern sehr wichtig. In ländlichen Gebieten gibt eine Krise des Selbstvertrauens, sagt die Bloggerin Ioana Maria aus Sibiu. „Es wäre toll, wenn mehr Leute kämen, um die Landbevölkerung zu ermutigen. Wenn sie wieder Stolz auf ihre Lebensweise und Ressourcen wären, dann würden sie all das beibehalten wollen.“ Denn über lange Zeit war die Landbevölkerung eher mit Ablehnung konfrontiert, die viele schließlich selbst übernommen haben. „Sie haben gelernt, dass alles, was sie auf dem Land machen, als schlecht und rückständig betrachtet wird. Wenn sie in die Stadt kommen, um die Schule zu beenden, legen sie also alles, was sie mit ihrem Dorfleben verbindet ab.“

Zu klein für Subventionen

In diesem Kampf am Rande Europas geht es um die essenzielle Frage, in welchem Europa wir leben wollen. In Brüssel ist unter dem Motto „United in Diversity“ zwar viel von Vielfalt die Rede, die meisten rumänischen Kleinbauern fühlen sich aber im Stich gelassen. Neue Marktkräfte drohen die ökologische Landwirtschaft auszulöschen. Willy Schuster hat diese Entwicklung in den letzten zehn Jahre mit Bestürzung beobachtet: „In Rumänien sind jetzt viel mehr Chemikalien im Einsatz und es ist zu befürchten, dass die kleinen Bauern von den großen Konzernen einfach weggefegt werden.“ Laut Schuster erhalten 70 Prozent der rumänischen Betriebe keine EU-Subventionen, weil die Höfe zu klein sind, um sich für diese Beihilfen zu qualifizieren. Die industrielle Landwirtschaft dagegen wird reichlich mit EU-Geldern unterstützt. Der Ökoaktivist sieht darin eine Konkurrenzverzerrung, die vielen Kleinbauern ihre Existenz kosten könnte.

Dabei ist es verständlich, dass Rumänien dem Entwicklungspfad von Westeuropa folgen will, wo industrielle Landwirtschaft die Norm ist. Zwar werden großflächig Pestizide versprüht, aber in den entlegensten Orten herrscht Wohlstand.

Das Leben genießen können

Pia Brodstrager ist eine junge Österreicherin, die in einem kleinen rumänischen Dorf namens Viisoara lebt. Sie hat gelernt, wie man Kühe melkt und wie man ohne große Maschinerie Saatgut pflanzt und erntet. Doch sie weiß auch, worüber sich die Dorfbewohner wirklich Gedanken machen. „Der Anmarsch der großen Konzerne bereitet ihnen Sorgen, aber sie wollen auch mehr Luxus und Entwicklung. Es gibt eine Frau in Viisoara, die kein Badezimmer hat. Sie muss sich draußen mit kaltem Wasser waschen. Ich kann die alte Art der Landwirtschaft genießen, aber wenn ich das harte Leben satt habe, kann ich immer nach Hause gehen, in vergleichsweise luxuriöse Verhältnisse. Die meisten können das nicht.“

Bild: Chris Cummins

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Dennoch gibt es junge tatkräftige Bäuerinnen, die mit Stolz, aber ohne Nostalgie ein Leben in der Landwirtschaft planen. Sie wollen Alt mit Neu kombinieren und sehen darin keinen Widerspruch. Anca Dalmasso betreibt einen kleinen Bauernhof namens „Casa de pe Deal“. Das Haus haben ihr französischer Mann und sie mit Holzbalken aus dem Stall liebevoll selbst renoviert. Mittels klugem Online-Marketing verkauft sie ihre hausgemachten, regionalen Produkte an die Stadtbewohner. Sie weiß, dass sie in der Stadt mehr verdienen könnte: „Die Versuchung, wegzuziehen ist groß. Wir müssen uns jeden Tag dieser Herausforderung stellen. Aber wir wählen unsere Art des Lebens sehr bewusst. Es geht darum, eine Balance zu finden. Man muss das Leben ja genießen können.“

Der Geschmack der biologischen Lebensmittel ist vielleicht die beste Waffe der Kleinbauern. Die Produkte von Anca sind teurer als industriell hergestellte Lebensmittel, aber es scheint, dass viele Menschen in Rumänien bereit sind, mehr für Essen aus der Region auszugeben. Rumänischer Honig gewinnt Preise. „Die Qualität des Honigs kommt von der Qualität der Blumen“, sagt Anca Dalmasso, „das ist das Geheimnis“. Im Frühling und Sommer sind die Wiesen mit Wildblumen übersät und selbst im Herbst ist alles noch lila und blau. Imker ziehen mit ihren bunten Bienenstöcken wie Nomaden durchs ganze Land. „Wenn wir weiterhin Qualitätsprodukte herstellen möchten, müssen wir unsere biologische Vielfalt erhalten. Und vielleicht können Lebensmittel aus sanfter Landwirtschaft internationale Investitionen anlocken.“ Es gehe um Balance, sagt Anca. „Wir wollen nicht gegen etwas kämpfen. Wir fordern nur, dass wir in der Lage sind zu existieren und die Wahl dem Verbraucher überlassen wird.“

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