Wie lebt es sich eigentlich als Aussteiger?

„Ein richtiger Garten, viel Freizeit, um im Freien die Kreativität freizulassen, – das wär’ doch etwas!“, so Patrick W. @ Patrick W.

Wie lebt es sich als Aussteiger? Im Biorama-Interview erzählt Patrick W. von seinem Leben in einer Hütte in Ungarn, fern von Vollzeitjob und Alltagshektik, dafür selbstbestimmt. 

Sein bisheriges Leben hinter sich lassen, den (gut bezahlten) 40-Stunden-Job aufgeben, die Wohnung ebenso, Freunde und Familie nicht mehr (so oft) sehen, das sind Schritte, die nicht jeder wagt. Patrick W. jedoch schon. Er entschloss sich nach einem Aufenthalt in einer Kommune in Deutschland dazu, in einer Hütte in Ungarn zu leben. Was seine Beweggründe dafür waren, wie sein Alltag aussieht und was er aus seinem alten Leben vermisst, das hat er uns im Interview erzählt.

Hier lebt Patrick W. © Patrick W.

Du hast früher in einer Kommune in Deutschland gelebt. Wie hat das Leben dort ausgesehen und wieso bist du von dort wieder weggegangen?

Stimmt, ich habe ca. ein Jahr in einer Kommune in Deutschland gelebt und konnte das gut mit meinem Beruf – ich habe Software Engineering studiert – verbinden. In der Kommune lebten rund 200 Leute und da gab es unter anderem (nebst Anwaltsbüro, kleinem Bioladen, Bauernhof…) auch eine Software-Schmiede. Das Leben dort hat mir auf jeden Fall mehr zugesagt als mein voriges „normales“ mit 40-Stunden-Job. Der brachte zwar viel Geld, dafür aber wenig Freizeit und ich hatte immer öfter das Gefühl, im Büro zu versauern. In der Kommune habe ich nur 30 Stunden gearbeitet und in der Freizeit gab es viel intensivere soziale Kontakte. Außerdem ist die Arbeit mit „Gleichgesinnten“ doch gleich ganz etwas anderes als für einen großen Konzern zu schuften. Ich hatte dort ein kleines schmuckes Zimmer, aber sonst kaum etwas Eigenes. Küche und Bad wurden gemeinschaftlich genutzt. Am meisten störte mich, dass ich keinen schönen Garten haben konnte. Dafür war die Gemeinschaft zu sehr in der Stadtmitte. Deswegen bin ich mehr und mehr auf den Geschmack eines Grün-Dachs gekommen, aber das wollte die Gemeinschaft nicht. Also habe ich mir gedacht: Es muss etwas Eigenes her. Ein richtiger Garten, viel Freizeit, um im Freien die Kreativität freizulassen, – das wär’ doch etwas!

Warum hast du dich dann dazu entschieden, Grund in Ungarn zu kaufen und dort alleine in einer Lehmhütte zu wohnen? Wieso auch gerade Ungarn?

Ich war hier nie alleine. Ich bin mit meiner Freundin hergekommen, die ähnliche Vorstellungen vom Leben hat. Nach langer Reise und als wir dann ein Monat hier waren, rund um die Uhr zusammen, haben wir festgestellt, dass unsere Vorstellungen doch zu unterschiedlich sind – wir haben uns getrennt und sie ist jetzt (erneut) nach Australien ausgewandert. Also hab ich gute vier Monate, den ganzen Winter, ohne sie in meiner „Hütte“ (Pince nennen die Ungarn das, vergleichbar vielleicht mit einem Weinkeller im Burgenland) verbracht. Einen neuen Holzboden, neue Fenster und Türen (vom Tischler im Ort), die mehr Licht hineinlassen, brauchte ich. Was ich kann, habe ich selbst gemacht und was ich nicht konnte, habe ich eben so lange probiert, bis es geklappt hat. Zum Beispiel Löcher in der Wand mit Lehm ausbessern, Kamin reparieren, Tische bauen, Bäume Pflanzen und den Garten planen. Also von Langeweile keine Spur. Einsam habe ich mich auch nicht gefühlt. Vielleicht auch, weil mir das Alleinsein als Einzelkind nicht gänzlich unbekannt ist und ich gut damit zurechtkomme. Im Frühling 2015 hab ich dann auch meine jetzige Freundin kennengelernt. Sie wohnt gleich am Nachbarhügel und ist aus Deutschland hierhergezogen.

Ich hab Ungarisch gelernt. Naja, ich bin noch dabei, aber es hat von Anfang an gut geklappt und es wird immer besser. Meine Eltern haben einen Garten mit Englischem Rasen, eine Handvoll Tomaten und sonst nur Zierpflanzen. Zu Hause hab ich mich daher nie großartig für den Garten interessiert, aber hier möchte ich richtiges Gemüse anbauen: Karotten, Zwiebeln, Kartoffeln, Pastinaken, Tomaten, Kürbisse, Salate, Rote Beete,… Also habe ich etliche Bücher über Gemüseanbau, Selbstversorgung und Permakultur verschlungen. Außerdem wollte ich ein Lehm-/Strohballen-Haus bauen und habe einiges dazu gelesen. Jetzt bin ich aber dennoch froh, dass das Lehmhaus schon hier stand.

Wie sieht dein Alltag aus? Welche Tätigkeiten im Haus und am Grund musst du regelmäßig durchführen?

Jeder Tag ist neu. Ich koche regelmäßig und dafür gibt’s jedes Mal ein Feuer. Ansonsten genieße ich es, ohne Routine zu sein und in den Tag hineinzuleben hier mehr als alles andere.

Patrick W. bei Reparaturarbeiten © Patrick W.

Hast du Strom und Wasser?

Ein kleines Solarpanel liefert genug Strom für Licht, Handy und den kleinen Laptop. Ich sammle Regenwasser vom Dach und habe einen kleinen Brunnen für den Trinkwasserbedarf. Die Dusche funktioniert dank Schwerkraft und einem aufgebockten Regenfass. Ansonsten gibt es kein fließendes Wasser.

Du betreibst auf deinem Grundstück Permakultur. Was genau baust du an? Wovon ernährst du dich?

Ich bin absoluter Anfänger, was das Gärtnern betrifft. Permakultur fasziniert mich, aber zu behaupten, dass ich das hier schon praktiziere, wäre wohl übertrieben. Ich nehme hie und da ein paar Ideen davon und versuche, diese hier umzusetzen. Aber vieles funktioniert hier nicht so wie andernorts. Ich ernähre mich seit vier Jahren vegan. Ich baue klassisches Gemüse an (Karotte, Zwiebel, Erdäpfel, Paradeiser, Kürbis, Zucchini, Aubergine, Salat, Rote Bete, Kohl, Topinambur) und habe Obstbäume, Sträucher und Gewürzkräuter gepflanzt. Auf meinem Grundstück sind schon große Walnuss- und Maroni-Bäume. Außerdem sammle ich Pilze und esse Wildkräuter. Wenn die besagten Gemüse mal gut kommen, möchte ich auch außergewöhnliche Gemüsesorten anbauen: Schwarzwurzel, Pastinaken, Süßkartoffel, Artischocken oder was mir eben so unterkommt.

Was machst du, wenn du krank bist?

Wenn ich gesund bin, achte ich darauf, dass das so bleibt. Außerdem kümmere ich mich schon lange selbst um meine Krankheiten. Schlucke also keine Pillen, sondern höre auf meinen Körper. Ruhe mich aus, wenn ich Fieber habe und trinke Tees aus frischen Kräutern. Einmal hab ich mich ordentlich in den Finger geschnitten, so dass er (gefühlt) halb ab war. Dann gibt’s eben einen Verband und ein paar besonders ruhige Tage. Sonst ist (toi toi toi) bisher nichts Schlimmes passiert. Die Krankenkassen zahlen überdies sowieso kaum alternative/ganzheitliche Behandlungsmethoden, die für mich interessant sind.

Wie überstehst du den Winter in der Hütte?

Mit einem Feuer im Ofen, einem tollen Erdkeller voller Gemüse und ein paar spannenden Büchern. Ich mag den Winter.

„Ich mag den Winter“, sagt Patrick W. © Patrick W.

Wie hat deine Familie damals auf deine Entscheidung reagiert? Hast du noch Kontakt zu ihnen oder zu Freunden?

Nach dem Schock, dass ich in einer Kommune lebe, war das doch eine ganz gut Wendung für sie: etwas Eigenes machen, Verantwortung übernehmen, Großgrundbesitzer sein,… Klar, sie hätten sich nach dem Studium etwas anderes vorgestellt, aber sie finden sich ganz gut damit zurecht, dass ich jetzt hier lebe. Wir haben noch Kontakt. Zu den meisten Freunden (die in Vorarlberg und Deutschland leben, wo ich vorher lange Zeit war) habe ich den Kontakt verloren. Mit einigen langjährigen wichtigen Freunden habe ich aber noch unregelmäßig Kontakt.

Es ist manchmal einsam?

Selten, eher ist es in der Stadt einsam.

Was waren die größten Herausforderungen bisher?

Die Sprache.

Gibt es auch etwas, das du aus der Zivilisation vermisst?

Internet zu Hause.

Einen 40-Stunden-Job und ein Leben in der Stadt – das kann sich Patrick W. nicht mehr für sich vorstellen © Patrick W.

Kannst du dir vorstellen, wieder in die Zivilisation zurückzukehren?

So weit bin ich nicht von der Zivilisation entfernt. Ich bin oft im Dorf, gelegentlich auch mal in der Stadt unterwegs und kann mir gut vorstellen, mehr in Richtung Zivilisation zu rücken. Nur einen 40-Stunden-Job und ein Leben in der Stadt – das sind Dinge, die ich mir nicht mehr vorstellen kann.

Was hast du, seitdem du in Ungarn lebst, über dich und das Leben gelernt?

Auf jeden Fall lerne ich mich mehr und mehr selbst kennen. Meine Schwächen und Stärken. In der Schule oder von den Eltern hört man ja oft, dass man dieses oder jenes nicht kann oder dieses oder jenes Talent hat und nutzen soll. Hier merke ich, dass ich handwerklich gar nicht so ungeschickt bin, wie alle immer behaupteten. Und dass mir die Arbeit am Computer wieder Spaß macht, wenn ich selbst entscheide, wie viel Zeit ich damit verbringe. Außerdem komme ich öfter an meine Grenzen: In der Sonne mit dem Spaten in der Hand halte ich es kaum eine halbe Stunde durch. Im Winter kostet es manchmal Überwindung, überhaupt das Haus zu verlassen.


Das Thema Aussteigen aus der Gesellschaft beschäftigt auch die Filmindustrie.

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