Meterware Milch

Regal-Check: Milch ist nicht gleich Milch. Welche Milch kann was? Und wo steckt doch mehr Marketing als Qualität drin?

Weil Milch nicht gleich Milch ist: Wie erkenne ich woher sie stammt? (Foto: Flickr/StateofIsrael, CC BY 2.0)

Regal-Check: Welche Sorte kann was? Und wo steckt doch mehr Marketing als Qualität drin? Über Bio-Milch, Weide-, Heu- und Bio-Wiesenmilch. 

Vollmilch von der Kuh hat einen Fettgehalt von mindesten 3,5%. Der natürliche Fettgehalt liegt meist bei etwa 4,2% und variiert je nach Rasse und Fütterung. Gehandelt wird vor allem Pasteurisierte , die nach dem Melken für wenige Sekunden auf über 72 Grad erhitzt wird, um Keime und andere Krankheitserreger abzutöten. Für Rohmilch – laut EU-Recht „das unveränderte Gemelk von Nutztieren, das nicht über 40 °C erhitzt und keiner Behandlung mit ähnlicher Wirkung unterzogen wurde“ – gelten besonders strenge Hygienevorgaben. Rohmilch – ein wachsender Nischenmarkt – wird teilweise direkt ab Hof vermarktet, in Reformhäusern verkauft oder aber zu Käsen verarbeitet. Die neben Rohmilch „Natürlichste“ ist also frische Vollmilch. Im Handel wird allerdings immer öfter länger Haltbare verkauft: ESL-Milch (gekühlt bis zu 3 Wochen haltbar) sowie die H-Milch (ungekühlt bis zu vier Monate haltbar). ESL-Milch ist mittlerweile sogar in Bio-Qualität erhältlich. „Wir haben lange diskutiert, ob wir eine ESL-Milch ins Sortiment einführen sollen, weil es ein großer Schritt im Bio-Bereich ist,“ erklärt Martina Hörmer von Ja! Natürlich. Schließlich bringt jeder Verarbeitungsschritt mehr die Bio-Bewegung einen Schritt weiter weg von ihrem ursprünglichen Verständnis von Bio. „Wir haben uns aber schließlich dafür entschieden.“ Diese auch von anderen Vermarktern ähnlich getroffene Entscheidung und auch die Einführung von laktosefreier Bio-Milch dürfte mit ein Grund dafür sein, dass Milch und Molkereiprodukte neben Eiern die meistverkauften Bio-Produkte überhaupt sind.

Was ist … Bio-Milch?
Bio-Milch ist nicht gleich Bio-Milch. Einerseits weil einige Bauernverbände (Naturland, Bioland, Bio Austria, Bio Suisse) aber auch Handelsmarken (Ja! Natürlich, Zurück zum Ursprung) von Mitgliedern oder Produzenten höhere Standards punkto Fütterung und Tierwohl einfordern als in der EU-Bio-Verordnung gesetzlich vorgeschrieben. Andererseits weil sowohl Bio-Frischmilch, als auch Bio-Heumilch oder laktosefreie Bio-Milch verkauft wird. Der Naturland Verband hat sogar eine eigene „Naturland Fair“-Kategorie definiert, die etwa einige Bio-Produkte der Molkereien Berchtesgadener Land führen. „Naturland Fair“ schützt Bauern vor Dumpingpreisen. Was für jede Bio-Milch gilt: Sie erfüllt strenge Haltungsauflagen, die mindestens einmal jährlich kontrolliert werden. Erkannt wird sie am grünblättrigen EU-Bio-Siegel.

 

Was ist … Heumilch?
Seit 2016 ist Heumilch eine von der EU anerkannte und standardisierte „garantiert traditionelle Spezialität in den Ländern entlang des Alpenbogens“. Mittlerweile wurde auch nachgewiesen, dass Heumilch durch ihren höheren Anteil an Omega3-Fettsäuren gesünder ist als normale Industrie-Milch. Tatsächlich handelt es sich allerdings vor allem um einen gewaltigen Marketingerfolg, der die hygienebedingten Notwendigkeiten in der Molkereiwirtschaft zu einem Wettbewerbsvorteil umgemünzt hat. „In Österreich hat der Siloverzicht in bestimmten Regionen Tradition,“ erinnert sich Reinhard Gessl vom Forschungsinstitut für biologischen Landbau. „Zur Vermeidung von Fehlgärungen bei der Hartkäseherstellung haben Molkereien noch vor Österreichs EU-Beitritt ganze Sammelrouten zu ‚Siloverzichtsregionen’ ausgerufen. Aus diesen Gebieten stammt heute überwiegend die Heumilch.“ Heute werden bereits 50 Prozent der in österreichischen Heumilch (2016: 485 Millionen Liter) exportiert, vor allem nach Deutschland. Auch die Bezeichnung Heumilch setzt sich durch, etwa in der Schweiz. Wichtig zu wissen: Heumilch ist nicht automatisch auch Bio-Milch. In Österreich erfüllt etwa ein Drittel der Heumilch die strengeren Bio-Kriterien und wird als Bio-Heumilch oder Bio-Heublumenmilch verkauft. Auch im Bio-Bereich setzt sich Heumlich durch. Philipp Thiel von den Ökologischen Molkereien Allgäu (ÖMA) sieht darin „eine Zusatzqualifikation für hochwertige Bio-Produkte“. Wem Tierschutz wirklich wichtig ist, der muss ohnehin zu Bio-Heumilch greifen. Denn nur bei Bio-Heumilch wird auch das Tierwohl berücksichtigt. Bei der konventionellen Heumilch gibt es kaum Vorgaben zur Haltung – selbst Anbindehaltung ist teilweise (noch) erlaubt. Garantien gibt es lediglich für die Fütterung der Tiere: also Heu, Gras, keine Silage, keine industriellen Nebenprodukte (etwa Brauereiabfälle). Weder besonders nachhaltig, noch artgerecht für Wiederkäuer: Der Kraftfutteranteil (Getreide, Mais, Soja) darf bei konventioneller Heumilch bis zu 25 Prozent betragen. Wenngleich auch Bio-Kühe teilweise intensiv gefüttert werden. (Laut EU-Bioverordnung ist ein Kraftfutteranteil von bis zu 40 Prozent erlaubt. Einige Bio-Verbände sind allerdings deutlich strenger.)
Fazit: Heumilch ist jedenfalls besser als „Normale“, aber nur Bio-Heumilch ist wirklich empfehlenswert.

Was ist … Bio-Wiesenmilch?
Bei der Bio-Wiesenmilch handelt es sich um eine ursprünglich vom Bauernverband Bio-Austria gemeinsam mit der Molkerei Kärntner-Milch entwickelte Eigenmarke. Bio-Wiesenmilch garantiert Weidehaltung. Um zu zeigen wie aktiv die Tiere wirklich sind, treten seit einigen Jahren ausgewählte Kühe unter Social-Media-Begleitung bei einem „Kuhmarathon“ gegeneinander an. Bio-Wiesenmilch orientiert sich allerdings nicht nur am Tierwohl und ethischen Fragestellungen, sondern kommt gleichzeitig einer traditionellen, kleinstrukturierten bäuerlichen Milchviehwirtschaft entgegen. Wenige andere Richtlinienkataloge lassen sich derart gut mit den individuellen Anforderungen der teils doch sehr unterschiedlichen Bio-Höfe vereinen. Die kleinstrukturierten Biobauern aus Kärntnen unterliegen besonders strengen Auflagen und müssen die ohnehin bereits sehr hohen Haltungsbedingungen ihrer Milchkühe laufend verbessern.

Was ist … Demeter-Milch?
Unverkennbar: der weiße Demeter-Schriftzug auf orangem Grund. Als Gütesiegel des weltweit aktiven Demeter-Verbands macht es besonders anspruchsvollen Konsumenten klar, dass sie es mit einem bio-dynamisch produzierten Lebensmittel zu tun haben. Demeter-Standards gehen weit über die Vorgaben der EU-Bio-Verordnung hinaus. Für Demeter-Milch (erhältlich z.B. bei Denns) bedeutet das u.a.: Die Kühe werden wesensgerecht gehalten, dürfen nicht enthornt werden. Ihre Milch darf nur pasteurisiert, nicht aber homogenisiert werden. Sie behält also ihren natürlichen Fettgehalt und schmeckt besonders rahmig und sahnig. ESL-Milch ist ausgeschlossen.

Was ist … Weidemilch?
Für Weidemilch gibt es – genau wie für so genannte Landmilch oder Alpenmilch – keine gesetzliche Definition. In den meisten Fällen handelt es sich um leere Werbehülsen für Konventionelle. Lediglich das norddeutsche Label „Pro Weideland“ listet in seiner Deutschen Weidecharta verbindliche Kriterien für ihre Weidemilch-Produzenten – z.B. gentechnikfreies Futter, Weideauslauf an mindestens 120 Tagen im Jahr für mindestens 6 Stunden. Alpenmilch und Landmilch sind reine Marketingbegriffe, die letztlich genau nichts garantieren als die Einhaltung absoluter Mindeststandards.

Was ist … ESL-Milch?
Oft wird die ESL-Milch als „ länger haltbar“ beworben. ESL bedeutet Extended Shelf Life, übersetzt in etwa „verlängertes Regal-Leben“. Das heißt: ESL-Milch ist gekühlt länger haltbar als Frischmilch. Auf jeder Packung ist angegeben mit welcher Technologie haltbar gemacht wurde (z.B. Hocherhitzen, Filtrieren). ESL-Milch gibt es längst auch in Bio-Qualität. In Österreich hat der Absatz der Haltbarmilch mittlerweile jenen der Frischmilch überholt. Nur mehr ein Fünftel der Trinkmilch ist Frische.
In der H-Milch, kurz für Haltbar-Milch, werden alle Keime durch Ultrahocherhitzen abgetötet. Dabei gehen Vitamine (A, D, K) und Folsäure verloren – es entsteht der typische Kochgeschmack. Dafür ist sie ungekühlt bis zu 12 Monate haltbar. Nach dem Öffnen muss sie gekühlt werden. Sie säuert nicht mehr, sondern fault. H-Milch ist auch in Bio-Qualität verfügbar.

Was ist … laktosefreie Milch?
Milchzucker (Laktose) ist ein natürlicher Bestandteil. Weil einigen Menschen das zur Aufspaltung von Laktose in Galaktose oder Glukose erforderliche Enzym Laktase ganz oder teilweise fehlt, wird mittlerweile auch immer öfter Laktosefreie– manchmal auch in Bio-Qualität – angeboten. Für ihre Herstellung wird Laktose durch künstliche Enzyme extrahiert. Lange gereifter Hartkäse ist übrigens von Natur aus laktosefrei, da diese während des Reifungsprozesses in Milchsäure wird.


Weiterlesen? „Auf Gedeih und Verderb vereint: Mensch und Kuh“ – Werner Lampert im Interview über seinen Bildband über indigene Rinderrassen:

Auf Gedeih und Verderb vereint: Mensch & Kuh

BIORAMA #51

Dieser Artikel ist im BIORAMA #51 erschienen

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