„Würde kein Vegan-Cover machen“

News-Chefredakteur Wolfgang Ainetter. Bild: NEWS/Herrgott

News-Chefredakteur Wolfgang Ainetter.
Bild: NEWS/Herrgott

Seit Wolfgang Ainetter News-Chefredakteur ist, widmet sich das Blatt vermehrt dem Thema Essen. Warum er kein Vegan-Cover machen würde und es in News keine Gastro-Kritiken mehr gibt, über Essensmärchen und Leserbriefe, den Kochshow-Hype und sein persönliches „Fress-Idol“.

BIORAMA: Seit du 2012 die Chefredaktion bei News übernommen hast, setzt das Magazin massiv auf das Thema Ernährung. Welche Überlegungen stehen dahinter?

Wolfgang Ainetter: Blattmachen hat sich ein bisschen zum Lotteriespiel entwickelt. Cover-Themen, die noch vor zehn Jahren glänzend funktioniert haben, können heute schon einmal ein echter Flop sein. Anders als früher gibt es keine Regeln mehr, was im Einzelverkauf funktioniert und was nicht. Wo die Erfolgschancen am höchsten sind – und das gilt für den Spiegel genauso wie für Stern und News: Ernährung. Aber auch hier wollen die Leser ein frisches und kein abgekautes Thema. Eines der bestverkauften News war in meiner Zeit als Chefredakteur „Unser Essen kommt aus China“. Ein Thema, das zwar der Lebensmittelhandel wenig mochte, dafür aber der Leser.

Früher gab es in News die legendären Gourmetkritiken von Christoph Wagner, später die von Herbert Hacker. Vom kulinarischen Zugang hat sich News heute eher verabschiedet. Warum?

Warum wir keine Gourmetkritiken mehr haben? Ganz einfach: Christoph Wagner konnte nie ersetzt werden. Er war ein Gourmet-Genie. Mich langweilen fast alle Gourmetkritiken, die ich heute in Zeitungen lese. Grund ist die weit verbreitete Verhaberung zwischen Kritiker und Gastronom. Ausnahme: Wolfram Siebeck, mein Fress-Idol.

Auf der einen Seite: Lebensmittelskandale, Ernährungsrisiken; auf der anderen Seite: Genussorientierug und Kochshow-Hype – was dominiert die Themenauswahl?

Bei der Themenauswahl verfolge ich ein süß-saures Prinzip: überraschen, überraschen, überraschen. Ein Beispiel für einen Treffer, der uns wieder mit einem Essensthema im Einzelverkauf geglückt ist: „Die Naturlüge im Supermarkt“. Anhand konkreter Produkte zeigten wir auf: Erdbeerjoghurt aus Tomaten, Schimmelpilze statt Nüssen, Schoko-Bananen ohne Bananen. Der Leser hat es uns gedankt, weil er merkte, dass hinter dieser Story riesige Recherchearbeit steckte. Der Kochshow-Hype ist in meinen Augen eine klassische Gratiszeitungs-Story: schöne Bilder garniert mit langweiligen Rezepten von unerträglich langweiligen Typen wie Lichter und Lafer. Dafür gibt kein Mensch Geld aus.

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News gehört zum Gruner & Jahr-Konzern, der sicher auch Marktforschung zu einzelnen Themenfeldern betreibt. Was inspiriert eure Ernährungsthemen: Bauchgefühl oder Studien?

Wir lassen uns durch beides inspirieren. Ich würde zum Beispiel kein Vegan-Cover machen, weil es in unserem Schnitzel-Land nur neun Prozent Veganer gibt. Aber wir haben eine riesige Story im Heft gebracht, wo eine Redakteurin zwei Wochen lang fleischlos gelebt hat und ihre Sojatofu-Erlebnisse niederschrieb. Wir haben dafür mehr als 300 Leserbriefe bekommen, was eine ganze Menge ist.

Food-Blogs und Koch-Magazine tendieren dazu, Essen in seiner optischen Vollendung zu zeigen, aber die Produktionsweisen der Produkte nicht zu hinterfragen. Wie viel kritische Fragen verträgt die Berichterstattung?

Unsere Berichterstattung lebt von kritischen Fragen. Wir sind halt einmal kein Wohlfühl- und Wellnessmagazin. News muss schon einmal den Finger in die Wunde legen. Aber es geht uns nicht darum, alles madig zu schreiben. Wir wollen konkrete Lebenshilfe bieten und dem Leser bei gewissen Konsum-Entscheidungen helfen. Dann kann es schon einmal sein, dass es wütende Anrufe gibt wie etwa bei einem Coffee-to-go-Test, den Experten für uns in ganz Österreich gemacht haben. Aber schreiende Anrufer halte ich locker aus.

An welcher Stelle versucht News eventuell auch die politische Bedeutung von Essen herauszuarbeiten?

Die politische Bedeutung von Essen haben wir erst vor drei Wochen herausgearbeitet. Das Cover „Die Wahrheit über unser Fleisch“ hat ein gewaltiges Echo ausgelöst. Erstmals hat eine ehemalige Gesundheitsministerin gesagt, wie das System tatsächlich funktioniert. Ein Novum. Auch hier haben es unsere Leser gedankt. Das Heft hat sich gut verkauft.

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Das Chlorhuhn hattet ihr nicht auf dem Cover. Wurde in der Redaktion darüber diskutiert?

Das Chlorhuhn hatten wir nicht auf dem Cover, bewusst nicht. Wir dürfen das Thema Essen auch nicht überstrapazieren. Es gibt ja zum Glück auch noch andere spannende Themen.

Was ist den Lesern beim Thema Ernährung wichtiger: die wissenschaftliche Expertenmeinung oder traditionell überliefertes Wissen rund um’s Essen?

Bei jedem Essensthema greifen wir auf wissenschaftliche Experten zurück. Für jedes Bezahl-Medium ist Glaubwürdigkeit das wichtigste Kapital. Deshalb ist es uns wichtig, dass unseren Lesern kein Halbwissen und keine pseudomedizinischen Weisheiten auf den Tisch kommen. Erst diese Woche haben wir mit Ernährungswissenschaftlern und Medizinern Essensmärchen entzaubert. Die Zeile der Story war: „Grüner Salat hat viele Vitamine und 33 weitere Lügen über unser Essen.“

Der Anspruch von News ist unter deiner Regentschaft klar populistisch-aufklärerisch. Bei Ernährungsthemen ist es in Mainstream-Medien schon fast auffällig, dass ihr keine Rücksicht auf Werbekunden nehmt. Honoriert das die Leserschaft?

Ach ja, die Werbekunden. Ich bin da sicher nicht everybody’s darling. Wir schreiben nun einmal für den Leser, nur für den Leser. Aber mehr und mehr Anzeigenkunden (und das freut mich) realisieren, dass eine Werbung dann am besten wirkt, wenn die Storys eben nicht gekauft sind, wenn der Journalismus nicht käuflich ist. Dafür stehen wir mit unserem Namen. Mache ich jetzt gerade auf Hipp?

News orientiert sich in den vergangenen beiden Jahren recht offensichtlich an den Lesegewohnheiten der Generationen 50+. Essen diese so genannten „Best Ager“ anders als Jüngere?

Die Leser von Spiegel, Stern und News sind halt ein bisschen älter geworden, das stimmt schon. Aber Essen ist keine Frage von Alter, sondern eine Frage von Geschmack. Gerade das vegane Thema hat so viele unter 30-Jährige angesprochen wie kein anderes Essensthema zuvor.

Euer bislang letztes Ernährungscover lautete „Die Wahrheit über unser Fleisch“. Variiert hat das vergangene Woche auch die Wiener Stadtzeitung Falter mit ihrer Coverstory über die Tierfabriken aufgegriffen. Welche Reaktionen gab es denn auf die Offenbarung der Wahrheit?

„Die Wahrheit über unser Fleisch“ hat bei zahlreichen Fleischern und Schlachthofbetreibern Reaktionen ausgelöst. Die meisten haben über Andrea Kdolsky heftig geschimpft, es hat aber auch ein paar gegeben, die gesagt haben: Die Frau hat recht. Anhand dieser Reaktionen haben wir wieder einmal gesehen: Es gibt wenige Themen, die so emotionalisieren wie Fleisch. Und wenn über News geredet und diskutiert wird, dann haben wir es in der Redaktion richtig gemacht. Für ein Medium gibt es nichts Schlimmeres als tödliche Langeweile.

AD PERSONAM

Wolfgang Ainetter ist seit 2012 Chefredakteur von News. Davor war der gebürtige Tiroler u.a. Chefredakteur des Gratis-Blatts Heute und Ressortleiter bei Bild. Ein ausführliches Gespräch mit dem Blogger und Kobuk-Betreiber Helge Fahrnberger gibt es bei The Gap.

Die News-Cover zum Thema Essen zum Durchklicken:

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