Von hier aus, oder warum es aussteigen nicht gibt

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© Kirsch/Lampert | Von hier aus

„Von hier aus“ ist ein Dokumentarfilm, und doch ist er viel mehr. Er ist kein Film übers Aussteigen, sondern vielleicht eher darüber endlich Anzukommen. Drei unterschiedlichste Lebenskonzepte im Portrait.

Für die beiden Regisseurinnen Johanna Kirsch und Katharina Lampert begann alles mit ihren Eltern. Schon als sie in den 68ern noch in den Kinderschuhen steckten wurden deren Ideale zu ihren eigenen – so auch der Wunsch die Welt ein Stückchen besser zu machen. Im Laufe der Zeit wandelten sich diese Ansprüche an das Leben, und wichen eigenen (oder denen der Gesellschaft). Und dann tat sich plötzlich eine brennde Frage wieder auf. „Wie wollen wir leben?“, wurde zum Ausgangspunkt ihres Films.

Drei Jahre lang haben die beiden verschiedene Menschen begleitet, die drei verschiede Entwürfe selbstgewählter, utopischer Lebenskonzepte realisiert haben. Völlig verschieden, haben sie doch alle eine Sache gemeinsam: sie setzen den gesellschaftlichen Normen unserer konsumorientierten Welt ihre ganz eigene Vorstellung von einem Leben in Freiheit entgegen. Durch die bewusste Entscheidung in die andere Richtung zu gehen, sind sie ungebunden in ihrem Tun. Technische und gesellschaftliche Annehmlichkeiten werden in den neuen Alltag übernommen oder wiedereingeführt. Sei es der Internetstick in Portugal, der zum Abrufen der e-Mails einfach praktisch ist, die laute Motorsäge in der Stille des französischen Montavoix oder eine junge Mama im steirischen Hofkollektiv, die mit ihrem Kind Eisessen geht.

Der Film besteht zum einen aus optischen Eindrücken der verschiedenen Orte, die nur in Begleitung von Vogelzwitschern und dem Rascheln der Bäume wirken dürfen. Unbefangene Interviews bieten Raum für die persönlichen Ansichten und Gedanken der Protagonisten. Man spürt den Dialog zwischen den Protagonisten und Regisseurinnen durch die Bilder zwischen den Zeilen. Gleichzeitig wird er hörbar, wenn das Frage-Antwort-Spiel spontan umgekehrt wird, und die Darsteller plötzlich die Fragen stellen.

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Gemeinschaftsökonomie, das funktioniert so, dass alles, was wir verdienen von jede(r) von uns, in einen Topf geht und wenn eine Person etwas braucht, nimmt er, sie aus dem Topf. Ich finde das genial. – Antonin (Wieserhoisl)

Mit der ersten Minute des Films steigt man ein – ein in das Leben des Hofkollektivs Wieserhäusl in der Steiermark. In aller Härte, irgendwo zwischen Dankbarkeit und Notwendigkeit, wird ein Hahn geschlachtet. Für das gemeinsame Mittagessen. Die kleine Tochter einer Hofbewohnerin fragt sich, „was die da eigentlich machen“, als die Federn gerupft werden. „Damit man ihn Essen kann“ ist die Antwort, und die Reaktion des Kindes ist nicht Ekel, sondern Erkenntnis. Das Kollektiv bezeichnet sich selbst als Gesellschaftsökonomie, als selbstgewählte Familie. Langsam und entschleunigt ist die Geräuschkulisse, genauso wie die Tätigkeiten am Hof.

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(…) Und ich finde, das gehört sich auch, dass man schaut, was kann man denn und was kann man nicht, um sich nicht vollkommen zu überfordern und irgendwann in die Stadt zu ziehen und den Wasserhahn aufzudrehen. Weil du’s nicht mehr packst. – Ute

Ute war in ihrem Leben schon so einiges, vor allem: eine unglaubliche Frau. Zum Zeitpunkt der Dreharbeiten ist sie Schamanin, selbsternannte. Die Stadt erschien ihr damals untragbar, zu laut und zu dicht, und so hat sie sich auf die Suche gemacht, nach einem Leben, das sie leben möchte. Gefunden hat sie es in einem riesengroßen, verwilderten Grundstück mitten in Portugal. Dort wohnt sie seit 17 Jahren mit ihrer Lebensgefährtin Rita in zwei Haushalten, mit selbstgebackenem Brot und einer Menge an Pflanzen, Natur und Gedanken die allein es schon wert sind, den Film anzusehen.

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I think that words don’t work well for us. That we use them all the time, but I don’t know, they don’t go deep … and I like words. I mean I write quite a lot, and I like to read. But still. I think it is very important that people can touch each other for moments. And of course we developed this tool of language but it very often fails. And I think that in space there is a possibility for some kind of universal way of communication. – Wim

Wim war 25 Jahre lang Architekt. Bis er sich einen Berg gekauft hat, um diesen zum öffentlichen Raum zu machen. Er selbst sieht sich mehr als als „Guard“ denn Eigentümer und kümmert sich im französichen Montavoix als Förster um den Wald, eine Wanderhütte die jedem offensteht genauso wie um Architekturstudenten und straffällige Jugendliche die zeitweise bei ihm leben. Zu Beginn sieht man ihn mit seiner Motorsäge einen Baum fällen. Nach dem Zählen der Jahresringe wird deutlich, dass dieser schon seit den Sechzigern dort wächst – eine schöne Entsprechung, wenn Ausläufer der Natur genauso wie die Ideale und Wertvorstellungen die Zeiten überdauern.

Premiere feierte VON HIER AUS am 24. April 2015 beim Crossing Europe Film Festival in Linz, in Wien wird er das erste Mal am 3. Dezember im Rahmen von This Human World gezeigt. Danach bekommt man ihn im Topkino zu sehen.

Zum Trailer geht’s hier lang.

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