Vom ritterlichen Karpfen und der feuchten Minne

»Das Letzte von Leopold« – eine fabelhafte Erzählung über einen eigentümlichen Zierkarpfen, die außerdem – kein Tippfehler – Gedichte über Krapfen enthält.

„Das Letzte von Leopold“ ist ein Spin-off des 2010 erschienenen Romans „Der letzte Badegast“ und einer zur Fabel fortgesponnenen Kurzgeschichte, für die Hugo Ramnek 2008 den Preis des Kärntner Schriftstellerverbandes erhielt.

»Das Letzte von Leopold«: eine abenteuerliche und amouröse Fabelei über einen aristokratischen Kärntner Zierkarpfen und eine slowenische Bachforelle, ersonnen, erzählt und mitunter gereimt von Hugo Ramnek

In vielem unterscheiden sich der Zierkarpfen und die Bachforelle, rein zoologisch sowieso, bei Hugo Ramnek allerdings sind die Unterschiede vor allem kultureller Natur. Der am Schweizer Zürisee lebende Schauspieler und Deutschlehrer hat eine Romanze um den Zierkarpfen Leopold und die Bachforelle Milka gestrickt. Keine Romanze im strengen, formalen Sinn. Denn die Reime sind bloß eingestreut, dienen weniger dem Flow der Geschichte als zwischendurch dem Gaudium des Lesers, zumeist aber der Erbauung des vereinsamten Leopold, der in einem kitschigen Fischbassin vor der Villa eines neureichen Kärntner Eventmanagers gestrandet ist und sich nur durch Gedichte geistig am Leben hält. »Nur die gebundene Sprache hilft gegen den Wahnsinn der Welt.«, erfahren wir immer wieder.

K&K: Karpfen und Krapfen
Der Kärntner Ursprung des Autors liefert der Fabel allerlei Lokalkolorit und Assoziationen. Das Bassin ist die Welt im Kleinen, die in Kärnten bekanntlich besonders eng ist. Weshalb wir immer wieder auch ins Trübe abtauchen: Bevor ihm der Zufall die slowenische Bachforelle Milka ins Becken wirft, teilt sich der Aristokarpfen das Becken mit zwei dumpfen, bräunlich schimmernden Goldfischen. Unweigerlich denkt man bei Gerfried und Herfried, die klagen, das Becken müsse einsprachig bleiben, an die politisch längst in der Versenkung verschwundenen Brüder Kurt und Uwe Scheuch. Der Wahnsinn der Welt war 2008, als »Leopold der Letzte«, damals noch in Form einer Kurzgeschichte, den Preis des Kärntner Schriftstellerverbandes gewann, noch anders ausgeprägt. Ramnek hat sich viel Zeit gelassen, sie zur romantischen Fabel umzuarbeiten, der er, teils in Fußnoten, Kalauer zur Seite stellt – Karpfenverse und Karpfenreime, kurz: K&K bezeichnet. Wobei das K immer wieder auch den Krapfen bezeichnet.

Dem Genre entsprechend reibt sich die Fabel an der Standesordnung. Etwas anachronistisch vielleicht, aber wir amüsieren uns über das pseudoüberhöhte Aristogetue, das in den Wäldern und um die Seen des Südens in Österreich ja tatsächlich noch mancherorts zelebriert wird. Während Leopold durchaus bedauernswert erscheint, gehören die Sympathien den »Vulgärkarpfen«.

Was 2008 als Kurzgeschichte begann, hat sich 2019 zur fabelhaften Erzählung ausgewachsen: „Das Letzte von Leopold“ von Hugo Ramnek.

Womit wir nun endlich bei den feinen Unterschieden angelangt sind, die Leopold Theodor Balthasar Edler von Altenweihern-Wellenhof und Milka Bistritz, die gemeine Bachforelle unterscheiden. Er ist der Letzte eines uralten Geschlechts, fühlt sich den Ahnen verpflichtet. Sie stammt aus dem Lippitzgraben – »wo früher die Hammerwerke gestanden hatten, und waren die Grabenfische unter seinesgleichen nicht verschrien wegen ihrer stählern republikanischen Gesinnung?«. Milka hat bevor sie in Gefangenschaft geriet gelernt, sich ihre Nahrung selbst zu beschaffen. Leopold wurde sein ganzes Leben lang gefüttert. Wie er aussieht – Kois gibt es in den schillerndsten Farbschlägen, gescheckt, einfarbig schimmernd oder dreifarbig – erfahren wir nicht. Wichtiger als die Zier ist ohnehin, dass er sich ziert. Nämlich davor, den niederen Trieben hin zu Milka zu ergeben. Sein Begehren hält er gleichsam ritterlich zurück. Dass es schließlich gleich in mehrfacher Hinsicht zum Dammbruch kommt, kündigt sich an. Davor allerdings geben wir uns allerlei abenteuerlichen Abschweifungen hin und begleiten etwa eine »Sommerflocke«, eine versehentlich im Sommer gelandete Schneeflocke, dabei wie sie versucht, mit dem Häuptling der Hagelkörner zu Boden zu rasen. Alle Figuren hier – ob Sommerflocke, der Spatz Kevin, der Kröterich Jahomir oder der edle Leopold selbst – sind tragische Figuren, Ritter von der traurigen Gestalt.

Wir bleiben also skeptisch, ob es wirklich ein Happy End geben wird, wenn Leopold sich schließlich Milka hingibt, er im Wörthersee seinen Rogen über ihren Laich ergießt, sich »ein neues Geschlecht« ankündigt. Denn die Edelsten und Schönsten der Zierkarpfen werden mancherorts bestrahlt und absichtlich unfruchtbar gemacht zum Unikat, zum umso wertvolleren Zierfisch. Dann wäre Leopold doch der Letzte.

Worte wie Fischmesser
Was den Reiz dieser eigentümlichen Geschichte ausmacht, ist die Konsequenz, mit der Hugo Ramnek seine kindische Verspieltheit, seine Liebe und Lust an der Sprache auslebt, zu Ende denkt, ohne sich jemals in Ernsthaftigkeit zu verbeißen. Seine Versuche, sich in das fremde Wesen Fisch hineinzudenken, sind bisweilen höchst vergnüglich. Natürlich ist Weihnachtskarpfen »ein Wort wie ein Fischmesser«; zumindest aus Sicht des Karpfens, der in der Badewanne wartet. Dass Ramneks ständigen Karpfen/Krapfen-Kalauer manchmal nerven, was soll’s! Wohlwollend liest man weiter. Auch Morgensterns Gedichte nerven mitunter. Und auch Ringelnatz ist nicht jeder Reim geglückt. Unterm Strich weiß man, wird man dieses Büchlein gerne wieder einmal zur Hand nehmen. Das hat auch mit dem wunderschönen Cover und dem Buchdesign von Gottfried Moritz zu tun.

»Das Letzte von Leopold« von Hugo Ramnek ist 2019 im Wieser Verlag erschienen.

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