Das simple Dasein der Katze: Unveröffentlichtes von Charles Bukowski

Die Welt der verschmuddelten Taschenbücher ist auch eine Welt mit Katzenhaaren am Sofa. Es war auch die Welt des »Dirty old man« Charles Bukowski. Fast ein Vierteljahrhundert nach dem Tod des Kultautors macht die Textsammlung »Katzen« nun Unveröffentlichtes zugänglich. Eine Wiederentdeckung auf vier Pfoten?

Die Katze bei Bukowski ist verwegen und rauflustig, draufgängerisch und schwer zu besiegen, aber leicht zu überfahren. (Foto: Thomas Weber)

»Wenn ich furze
juckt das meine Katze
einen Scheiß.«

Charles Bukowski, »Schlaues Kerlchen«

Liest noch jemand Charles Bukowski? Dem Autor, gestorben 1994, erging es nicht viel anders als Henry Chinaski, seinem literarischen Alter Ego: Beide repräsentieren heute das tiefste 20. Jahrhundert, ein Nachweltkriegsamerika lange vor Obama oder Trump, genauer: ein Kalifornien lange bevor dort Dürre und Aircondition, Schwarzenegger und Start-ups die öffentliche Wahrnehmung prägten. Eine Welt, in der Offenheit eine Zeit lang mehr zu sein schien als ein bloßer Standortvorteil, der die Superkreativen und Geschniegelten magnetisch anzieht. Statt strategischer Positionierung eher Scheiß-drauf und Leben-Lassen.

Weirdos und Wannabes gibt es auch im Werk Bukowskis zuhauf. Wobei sich seine halbautobiografischen Storys und Gedichte allesamt in der Welt der (meist männlichen) Verlierer, der Versandelten und der versagt habenden Kämpfer abspielten, in einem Paralleluniversum aus terrestrischem Klassikradio, Pferderennbahn und serieller Monogamie, Suff, Sex, Gewalt und Dosenbier. Für bedeutende literarische Preise war Bukowski nie auch nur im Gespräch. Fasziniert gelesen wurde er ab den ausklingenden 70ern, hauptsächlich aber in den 80er- und 90er-Jahren, oft von Leserinnen und Lesern, die sich komplett im Off des literarischen Betriebs bewegten. Abgegriffene Bände mit Bukowski-Gedichten, vor allem aber mit seinen Storys wurden als schmuddeliger Initiationsritus von Pickelgesicht zu Pickelgesicht weitergereicht. So las man in WGs, auf Skikursen und Schullandwochen angeregt über sexuell Abseitiges, sinnierte über die »Fuck Machine« oder die »Gedichte vom südlichen Ende der Couch«.

Verpufft: die Schockwirkung von einst
Und heute? Da ist Bukowski weitgehend in Vergessenheit geraten. Zurecht, fühlt man sich verleitet anzumerken. Als Zeitzeugen fungieren popkulturelle Bilder: Gilbert Sheltons »Freak Brothers«, Robert Crumbs »Fritz The Cat«, die angekitschten Vintage-Überhöhungen Quentin Tarantinos. Die Bücher, die aus der Epoche, die er aus dem Abseits miterzählt hat, geblieben sind, sind bedeutsamere als die von Bukowski. Seinen fehlt der doppelte Boden, die Aussagekraft über die heute verpuffte Schockwirkung hinaus. Wiedergelesen verblüfft heute die in ihrer Unzweideutigkeit doch oft eindimensionale, facettenlose Schreibe. Und als profane Erbauungsliteratur und Initiationsritus hat sich die Lektüre Bukowskis schlicht erübrigt wenn in hüllenloser Fülle Pornografie vorhanden und alles Absonderliche normal und verfügbar ist.

Dirty (White) Old Men
Einerlei ob Bukowski und Chinaski heute als weiße alte Männer abgekanzelt würden: Als Dirty Old Men wirken sie seltsam aus der Zeit gefallen. Seltsam, dass im Verlag Kiepenheuer & Witsch nun ausgerechnet eine Sammlung von bisher Unveröffentlichtem, von Prosa und Gedichten über »Katzen« einen Wiederbelebungsversuch der Bukowski-Lektüre unternimmt.

Stimmt schon, die Welt der verschmuddelten Taschenbücher war auch eine Welt mit Katzenhaaren am Sofa. Und nun, da es geballt als Paperback vor einem liegt, offenbart sich: Bukowski war ein Katzennarr. Sonderlich bedeutsam waren die Tiere für sein Gesamtwerk aber eher nicht. Sollte der Herausgeber Abel Debritto das anders sehen, hätte ein Vor- oder Nachwort vielleicht Klarheit verschafft.

Wir blättern in einem herzeigbaren Büchlein, einem idealen Coffee Table Book für den stillen Ort, welches oft genug ein und dasselbe Motiv variiert. Nicht nur diesbezüglich mag es sogar stellvertretend für Bukowskis Schaffen stehen. Denn anders als in den unzähligen Katzenbüchern am Markt, mit denen mit Katzenverrückten Geschäfte gemacht werden, ist es nie die liebkosende Samtpfote, auf der stereotyp herumgeritten wird. Bukowski feiert den räudigen Straßenkater, dem das Leben zwar das Rückgrat gebrochen, nicht aber seinen Stolz und Lebenswillen genommen hat. Gemeinsam ist diesen Kreaturen nur ihr Eigensinn.

»Ich mag Hunde lieber als Menschen. Und Katzen lieber als Hunde.«
Charles Bukowski

Aus dem Zusammenhang der jeweiligen Story oder aus dem Gesamtwerk des Autors gerissen gilt für jede einzelne seiner Katzen das Gleiche: Gerade ihr simples Dasein spricht für sie. Oft tauchen sie ungefragt auf, laufen sie ihm zu oder zu ihm über. Sie fallen ihm als Erbe zu oder bleiben in der Nachbarschaft, während ihr bisheriger Obdachgeber die Miete nicht mehr zahlen kann und das Weite suchen muss. Die Katze, der Kater wird – oft namenlos – meist nach dem Grundton bloß »der Graue« oder »die Schwarze« gerufen, oder als Lieblingskater (»der Manx«) bevorzugt. Meist ist die Kreatur alt, fett, vom Leben auf der Straße gezeichnet – wie Big Butch, der Kastrierte, »dem sie die Eier abgeklemmt haben«, oder »meine liebste weiße Katze, The Jinx«.

Die Katze bei Bukowski ist verwegen und rauflustig, draufgängerisch und schwer zu besiegen, aber leicht zu überfahren.

Insgesamt bleibt das Buch eher enttäuschend – lakonisch und kurzweilig zwar, letztlich lohnend aber nur für all jene, die selbst ein Faible für Katzen sowie Bukowski bereits schätzen gelernt haben. Zugänglicher wird einem der Autor jedenfalls eher mit einem seiner Klassiker, dem »Liebesleben der Hyäne« oder »Fuck Machine«.

»Katzen« von Charles Bukowski ist 2018 im Verlag Kiepenheuer & Witsch erschienen. Das von Abel Debritto herausgegebenen Original »On Cats« stammt aus dem Jahr 2015, die deutsche Übersetzung aus dem amerikanischen Englisch von Jan Schönherr.

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