Tage wie dieser: Der Tag des guten Lebens in Köln

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Wenn es regnet, Nachbarn feiern und 25 Straßen gesperrt sind – dann sind 60 000 Menschen auf den Beinen. So geschehen am Tag des guten Lebens in Köln-Ehrenfeld. Martin Herrndorf, einer der Organisatoren, stand BIORAMA Rede und Antwort.

BIORAMA: Was macht einen guten Tag im Leben für dich persönlich aus?

Martin Herrndorf: Der kann ganz unterschiedlich aussehen – und das soll er auch! Bei mir persönlich gehört da meist dazu: Menschen treffen, im Café sitzen und viel Fahrradfahren. Und ein Abendbierchen am Rathenauplatz – der ist direkt bei mir um die Ecke, grün, vielfältig, urban, lebendig und, in der Mitte, autofrei. So, wie ein Platz sein soll.

Wie motiviert man tausende Menschen, einen Tag lang auf das Auto zu verzichten und ihn – trotz Regen – gemeinsam im Freien mit Aktionen, Diskussionen, etc. zu verbringen? Oder braucht es dafür keine besonderen Motivationsstrategien, weil damit ein allgemeines Bedürfnis umgesetzt wird?

Wir schaffen Freiraum, freie Straßen und freie Parkbuchten, der von den Menschen dankbar angenommen wird, dieses Jahr schon zum zweiten Mal. Das Bedürfnis, sich im öffentlichen Raum aufzuhalten und zu bewegen ist groß, bei ganz unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen. Und dabei geht es speziell um den städtischen Raum – mit seiner Vielfalt und seinen Kontrasten – und nicht um die liebliche Idylle auf dem Land. Wer mit offenen Augen durch Köln, oder andere Städte, geht, wird das an allen möglichen Orten sehen. Wir schaffen eine Plattform und einen Kanal für dieses Bedürfnis und erlauben dadurch Menschen, ihr Viertel und ihre Stadt neu zu erleben. Viele, die Aktionen machen, laden auch ihre Freundeskreise ein – und schon sind die Straßen gefüllt.

Große Motivationsstrategien brauchen wir da nicht. Aber ein Facebook-Post mit den freien Straßen am Morgen hilft natürlich, dass sich die Leute wirklich aufraffen und vorbeikommen.

Was wir dieses Jahr gesehen haben: Der Tag des guten Lebens funktioniert auch bei Regen. Die Anwohner haben ihre Aktionen in Hauseingänge und Wohnungen verlegt, und sind in den Regenpausen auf die Straße gekommen. Auch Gäste von außerhalb haben in Cafés und Privatwohnungen Unterschlupf gefunden. Und die Kinder freuen sich eh an den Pfützen. Insgesamt waren 60.000 Menschen vor Ort.

Wie erlebst du das enorm positive Echo auf die Tage des guten Lebens?

Es ist toll – grade weil der Tag des guten Lebens für das Organisations-Team erstmal natürlich sehr lang und anstrengend ist. Aber wenn man merkt, wie viel davor und danach, durchaus auch kritisch, in den Straßen und Cafés über den Tag und die Ideen dahinter diskutiert wird, dann freut mich das natürlich. Auch die Lokalpresse berichtet sehr ausführlich und wohlwollend. Ich habe früher viele Reports geschrieben und Seminare organisiert. Das ist ja sicher sinnvoll, aber doch sehr trocken und theoretisch. Zu sehen, wie der Tag des guten Lebens die Leute motiviert, wie sich ganz unterschiedliche Menschen damit identifizieren und sich engagieren, das berührt mich, ja.

Bild: flickr.com/Marén Wirths/CC BY-NC-SA 2.0

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Welche Pläne gibt es konkret zum bald stattfindenden, nächsten Tag des guten Lebens: Kölner Sonntag der Nachhaltigkeit?

Am 21. September 2014 war für dieses Jahr ein zweiter Tag des guten Lebens geplant – den wir leider verschieben mussten. Wir sind in Köln-Sülz im Frühling und Frühsommer gut gestartet, haben aber über die Sommerferien und im Ehrenfeld-Stress an Schwung verloren. In Sülz wollten wir 35 Straßen sperren – da brauchen wir an den Absperrungen und hinter den Kulissen wir hunderte Helfer, auch als Auflage vom Ordnungsamt. Dafür wollten wir uns mehr Zeit nehmen, auch, damit die Anwohner nicht zwischen ihrer eigenen Aktion und einer Sperre hin- und her-rennen müssen, sondern dass alle den Tag des guten Lebens mit Muße genießen können. Am Anfang hat diese Entscheidung für viel Enttäuschung und auch Wut, gesorgt – mittlerweile haben sich die Wogen geglättet, viele Aktionen werden trotzdem und unabhängig von uns stattfinden, und wir freuen uns alle gemeinsam auf den Tag des guten Lebens im Mai!

Sind die Tage des guten Lebens ein Green Event?

Sie schaffen Bewusstsein für alternative Mobilität und neue Nutzungen im öffentlichen Raum – in dem Sinne schon. Ansonsten lassen wir den Nachbarn sehr viel Freiraum, da ist dann nicht jedes Bier Bio oder jeder Kaffee Fairtrade, da wollen wir anregen und Menschen auf ganz breiter Basis miteinbeziehen, das verträgt sich schlecht mit Vorschriften und Kontrollen. Aber wenn die Nachbarn sich den öffentlichen Raum, der sonst in Köln komplett zerparkt ist, aneignen, dann ist das schon an sich ein “politischer” oder “ökologischer” Akt. Unsere eigenen Stände sind, auch Dank unser Sponsoren, sozial-ökologisch ausgerichtet, so gibt es dann Biobier und Biolimonade, veganes Catering und grüne Smoothies.

Lässt sich das Kölner Projekt deiner Meinung nach auch einfach auf andere Städte übertragen?

Übertragen lässt es sich mit Sicherheit. Und es gibt ja sowohl autofreie Sonntage, als auch offene Nachbarschaftsfeste – ob in der Kombination und im Umfang wie bei uns, weiß ich nicht.

Ob es einfach wird, sowas zu übertragen, weiß ich nicht – der Tag des guten Lebens ist schon ein aufwändiges und komplexes Projekt. Es braucht ein Kernteam, dass den Tag des guten Lebens langfristig vorbereitet. Es braucht ein starkes und breites Netzwerk von Unterstützern, Kommunikationskanäle und Expertise, Finanzierung und Wissen über die juristischen Aspekte und die Absperrlogistik. Und vor allem viel Geduld und Fingerspitzengefühl. Bei uns arbeiten sehr viele sehr kompetente Menschen mit – Designer, Programmierer, Pressesprecher, etc. – und das ganz überwiegend ehrenamtlich. Soetwas muss, und soll vor Ort wachsen, von außen lässt sich das nicht aufpropfen.

In Wien findet im Rahmen der Europäischen Mobilitätswoche das Streetlife Festival statt. Hast du Anregungen und Empfehlungen für die Veranstalter, damit auch deren Vorhaben so gut gelingt?

Die Veranstalter haben ja viel Erfahrung aus Münschen, mehr als wir, wenn ich das richtig sehe. Aus meiner Warte: Selber konsequent sein, und dabei anderen eine offene Plattform bieten. Wer mit vielen, unterschiedlichen Vereinen und Anwohnern zusammenarbeitet, der kann da nicht viel falsch machen – aber wenn ich mir das Programm angucke, ist das Streetlife Festival da auf einem guten Weg!

Wirken sich die Tage des guten Lebens mittlerweile auf die Gestaltung des öffentlichen Raums in Köln aus? Können die Träger des Projekts in irgendeiner Form auf die Stadtgestaltung Einfluss nehmen?

Das möchten wir! In der Agora Köln hat sich eine Gruppe gebildet, die ein umfassendes Mobilitätskonzept entwickelt hat, mit vielen Gruppen und Vereinen zusammen. Dabei geht es um eine Mobilitätswende, in der sanfte Mobilität, das Zu Fuß-gehen und Radfahren, eine tragende Rolle spielen und sich auch in der Gestaltung des öffentlichen Raums widerspiegeln. Hier sind wir im Dialog mit der Stadtverwaltung, die grade ein eigenes, aus meiner Sicht eher wenig ambitioniertes, Mobilitätskonzept vorschlägt.

Auch die Anwohner und Vereine, die den Tag des guten Lebens tragen, sind natürlich politisch aktiv, und haben sich zum Beispiel für die Umwidmung von Parkplätzen in Bürgersteige und Radständer eingesetzt und einen Beschluss der lokalen Bezirksvertretung erwirkt. Und bei der Umgestaltung der benachbarten Vogelsangerstraße wird es jetzt wohl Tempo 30 geben – auch nach Beifall und Zuspruch Seitens einer Bürgerversammlung. Viele von denen, die da saßen und geklatscht haben, kenne ich persönlich vom Tag des guten Lebens. Da einen direkten Zusammenhang zu ziehen wäre zu viel – aber wir tragen schon zu einem Kulturwandel, der andere politische Entscheidungen möglich und durchsetzbar macht, bei.

Wie sieht die Zukunft der Tage des guten Lebens aus? Welche Pläne gibt es für die nächsten Tage? Oder sind gar „gute Wochen“ geplant?  

Wir möchten gerne weitermachen, gerne in neuen Vierteln und mit neuen Formaten. Aber es geht auch darum, sich als Bewegung und Netzwerk zu finden und zu wachsen – um politische Entscheidungen zu beeinflussen, Bürgerbeteiligung in der Stadt zu verankern und das „gute Leben“ in den Alltag zu tragen. Der Tag soll keine Insel bleiben. Und ich finde, dass sich auf lange Sicht der Tag des guten Lebens überflüssig machen soll: Wenn Kinder jeden Tag auf der Straße spielen und Nachbarn, ohne Lärm und Gehupe, dort frühstücken können, wenn überall genug Platz für Rollatoren, Kinderwagen und Lastenräder ist, dann müssen wir den Aufwand nicht mehr betreiben. Sondern können uns ganz entspannt dazusetzen und in Ruhe einen Kaffee trinken.

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