Weniger ist mehr – der Designer und sein Experiment

Moritz Grund Bild: Jan Gonschorek

Moritz Grund Bild: Jan Gonschorek

Moritz Grund, Berliner Produktdesigner und Autor, entschloss sich eines Tages dazu, seine persönlichen Gegenstände auf 100 zu reduzieren. In seinem Buch „Einhundert“ erzählt Grund über diesen Selbstversuch. Ein Interview über Verzicht, Besitz und dem Mehr am Leben. 

BIORAMA: Im Rahmen der Langen Nacht der Museen Berlin, die von 17. auf den 18. Mai 2014 stattgefunden hat, haben Sie im Museum der Dinge, das sich an diesem Abend dem Thema Konsumverzicht und Recycling widmet,  aus Ihrem Buch „Einhundert“ vorgetragen. Glauben Sie, dass solche Events und Veranstaltungen Menschen zu einem Umdenken in puncto Konsum bewegen?

Moritz Grund: Umdenken, im Sinne eines umfassenden Lebenswandels, denke ich nicht. Aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass das Teilen meiner Erfahrungen, Menschen immer wieder dazu animiert, das eigene Konsumverhalten und Beziehungen zu eigenen Dingen kritisch zu hinterfragen und einen anderen Umganz zu versuchen.

Das Buch handelt über Ihren Selbstversuch, persönliche Gegenstände auf die Zahl 100 zu reduzieren. Was zählen Sie als persönliche Gegenstände?

Das Buch beginnt mit einer zufälligen Zählung meiner Dinge und beschreibt den späteren Weg zurück – in Richtung der ursprünglichen Summe. 2003, als ich gerade umgezogen war, zählte ich meine Gegenstände und kam auf knapp einhundert. Viele Jahre später zählte ich wieder und es waren deutlich mehr – das wollte ich wieder ändern. Aber formell beschrieben: Persönliche Gegenstände sind die Summe des Eigentums und meines Besitzes.

Wie hat Ihre Wohnung während dieser sieben Jahre ausgesehen?

Da ich öfter umgezogen bin: Wohnungen. Also sehr unterschiedlich. Von einem leeren Volumen bis hin zu lebendigen Archiven.

Ehrlich: Wie ist es Ihnen dabei gegangen? Sind Ihnen Gegenstände abgegangen?

Nein. Bis auf ein paar Fotos, die im Zuge eines Wohnungseinbruches abhanden kamen. Vermisst habe ich bisher nichts. Zudem sind die allermeisten Dinge ersetzbar oder gar wieder beschaffbar.

Was war der Anstoß, diesen Selbstversuch zu tätigen? Sind Sie eines Tages aufgewacht und dachten: „Jetzt will ich weniger besitzen“?

Wenn Sie genau nachdenken, welche Lebenszeit Sie bereits um ihre Dingen verhandelt haben (Geldbeschaffung, Kauf, Inbetriebnahme, Wartung, Miete, Reparatur, Entsorgung), dann fangen Sie morgens nach dem Aufwachen an mit dem Weniger und dem Mehr an Leben und Freiheit.

Sie sind Absolvent der Universität der Künste zu Berlin Absolvent im Lehrgang Industrial Design und als Designer tätig. Sie entwerfen Gegenstände, wollen sie aber reduzieren. Ist das nicht ein gewisser Widerspruch?

Produkte entstehen bei mir eigentlich nur in privaten Szenarien, etwa ein Kinderbett. Derzeit schreibe ich viel, habe Lehraufträge und berate Kreativunternehmen strategisch.

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Ist hinter diesem Selbstversuch auch ein gesellschaftskritischer, gar politischer Aspekt?

Ich habe das Experiment nicht in diesem Sinne erdacht. Aber wenn Sie so wollen: Ja. Konsumieren Sie weniger, wertschätzen Sie ihre einzige Ressource Lebenszeit. Hören Sie nie auf zu fragen, was sie im und zum Leben wirklich benötigen und welche Dinge Ihnen dabei überhaupt helfen können.

Warum denken Sie, wäre es wichtig persönliche Dinge zu reduzieren? Gab es Gegenstände bei denen es Ihnen schwerer gefallen ist, sie zu reduzieren als bei anderen?

Je mehr ein Ding von Emotionen getragen wird, desto intensiver ist die Trennung.

Raten Sie Ihren Lesern diesen Versuch selbst zu tätigen? Könnte man Ihr Buch auch als Anleitung zur Reduktion persönlicher Gegenstände sehen?

Wer „Einhundert“ so lesen möchte kann das tun, allen anderen empfehle ich auf meinen praktischen Ratgeber „Leichter Leben“ zu warten, der bald erscheinen wird.

Welche Gedanken erhoffen Sie bei Lesern zu erwecken?

Unterhaltung und Inspiration für den eignen Lebensalltag. EINHUNDERT ist weder Bibel noch Bedienungsanleitung.

Gab es nach dem Ende des Selbstversuchs eine gewisse Schlussfolgerung, die Sie gezogen haben? 

Jeder wir aus dieser Geschichte seine eigenen Schlüsse ziehen und Impulse erhalten. Gäbe es ein dreizeiliges Ergebnis hätte ich kein ganzes Buch schreiben müssen.

Haben Sie wieder Gegenstände gekauft oder leben Sie nach wie vor mit 100 persönlichen Gegenständen? Hat sich Ihr Konsumverhalten durch diesen Selbstversuch verändert? 

Mein Konsumverhalten hat sich nicht verändert, wohl aber meine Lebensumstände, das Szenario, in dem ich lebe. Ich habe eine Familie gegründet  und insofern hat sich meine Dingwelt natürlich verändert.

Moritz Grund
„Einhundert“
Band 4 der Reihe „Designkritische Texte“, Wilhelm Braun-Feldweg Förderpreis
erschienen im Niggli Verlag

www.moritzgrund.com

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